§ 1
Wer in Arbeit tritt, hat sich von dem Augenblick
seines Eintritts an nach folgenden
Gesetz zu richten.
§ 2
Während des zweiten Michaelis und Ostern ablaufenden
Jahres wird wöchentlich 72
volle Stunden gearbeitet.
Montags von früh 7 bis Abends 8 Uhr, Sonnabends von
früh
6 bis Abends 5 Uhr, alle übrigen Arbeitstage von
früh 6 bis Abends 8 Uhr. [...]
§ 4
Wenn jemand außerstande wäre, seine Arbeit wie es
sich gehört anfangen und bis
zur bestimmten Zeit fort-
führen zu können, hat er dies auf dem Comtoire mit
der Bemerkung
wie lang und aus welchen Gründen er
bei der Arbeit fehlte, anzuzeigen. Wer diese Vorschrift
nicht befolgt, ist des Lohnes auf denjenigen Theil
des Tages, an welchem er gearbeitet
hat, verlustig.
Im Wiederholungsfall verliert er ein volles Tageslohn.1
Die hier niedergeschriebenen Regelungen zur Arbeitszeit aus dem Jahr 1834 stammen von einem der führenden Maschinenbauer seiner Zeit, Carl Gottlieb Haubold in Chemnitz. Nach dem Anschluss Sachsens an den Zollverein 1833 hatte der sächsische Unternehmer eine ältere Fabrik übernommen, die rasch in die Aktiengesellschaft Sächsische Maschinenbau-Compagnie überführt wurde und sich zu den »am besten eingerichteten Werken Deutschlands« entwickelte.2 Haubold war bald nicht nur Pionier technologischer Neuerungen, sondern auch einer der ersten, der für seine Werkstätten ein sogenanntes Hausgesetz3 erließ.4 Für seine rund 300 Beschäftigten schrieb er eine Ordnung vor, um den Arbeitsablauf in den Werkstätten zu regeln, die Arbeiter5 zur Arbeitsdisziplin zu erziehen, vor allem aber, um die Arbeitszeit um täglich eine Stunde zu erhöhen und damit die vom Staat aufgenommenen Kredite zu erwirtschaften.6
Dass der Fall Haubold in der Forschung so viel Aufmerksamkeit erlangte, liegt nicht nur an seiner Rolle als Vorläufer, sondern auch an der guten Ausgangslage. Das Hausgesetz von Haubold gelangte ins Stadtarchiv Chemnitz, da sich kurz nach |seiner Verkündung der Rat der Stadt als Schlichter einschalten musste. Die Arbeiter hatten dem Hausgesetz nicht zugestimmt und in Folge die Arbeit verweigert. Erst nach Einschaltung der Kommunalgarde und anschließender Verhandlung, die die Bezahlung der zusätzlichen Arbeit erreichte, nahmen die Arbeiter ihre Beschäftigung wieder auf.7 Von den 218 dokumentierten Arbeitsordnungen sind im Stadtarchiv Chemnitz 157 erhalten.8 Damit war für die Forschung auch der Vergleich verschiedener zu dieser Zeit und später entstandener Arbeitsordnungen möglich.9 Über die Entwicklung von Arbeitsordnungen in bestimmten Regionen oder zu einzelnen, eher größeren Unternehmen gibt es vergleichbare historische Arbeiten.10 Diese sind bisher allerdings noch nicht in einer übergreifenden Studie zusammengeführt worden und waren in diesem Sinne auch nicht Gegenstand der Arbeitsrechtsgeschichte. Dabei sind betriebliche Regulierungen für die Arbeitsrechtsgeschichte von außerordentlichem Wert.
Der folgende Artikel ist ein Werkstattbericht aus dem Projekt Nichtstaatliches Recht der Wirtschaft. Die normative Ordnung der Arbeitsbeziehungen in der Metallindustrie vom Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik dar, durchgeführt am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie (mpilhlt).11 Ziel des Projektes ist die Erstellung einer digitalen, annotierten Quellenedition, in der Arbeitsordnungen einen außerordentlichen Stellenwert haben. Sie sind nicht allein auf Grund ihrer Anzahl von Bedeutung, sondern auch wegen der Vielfalt ihrer Regelungsmaterien. Der Artikel geht zunächst auf ihre arbeitsrechtshistorische Bedeutung ein. Anschließend wird ein Einblick in das gesamte Forschungsprojekt gegeben und dessen Bedeutung für die Arbeitsrechtsgeschichte sowie seine Anschlussfähigkeit an das mpilhlt. Im zweiten Teil loten wir mit Hilfe eines Pilotprojekts zur Arbeitszeit die Möglichkeiten der Analyse einer digitalen Quellenedition aus und stellen nach methodischen Vorüberlegungen vier Beispiele aus diesem Pilotprojekt vor, die verdeutlichen sollen, welchen Mehrwert Annotationen in digitalen Quelleneditionen haben können, wie die Annotationskategorien mit Hilfe der Literatur und Stichproben der Quellen definiert werden und welche Forschungsfragen sich aus diesen Analysen explorieren lassen. Dabei soll betont werden, dass wir am Anfang dieses Annotationsprozesses stehen und alle Beobachtungen einen vorläufigen Charakter haben, der sich erst mit entsprechender Quellenbasis und Bearbeitung der Quellen bestätigen lassen wird.
Arbeitsordnungen schrieben Arbeitsbedingungen und Verhaltensansprüche an die Arbeiter fest und stellten im 19. Jahrhundert die einzig formalisierte und schriftlich festgehaltene Rechtsgrundlage für betriebliche Arbeitsverhältnisse dar.12 Wolfgang Wüst schreibt, Arbeitsordnungen seien »Schlüsseldokumente zum Verständnis von regionalen Arbeits- und Lebenswelten« gewesen, vergleichbar mit Gerichts- und Policeyordnungen der vorindustriellen Zeit.13 Sie hatten im industriell produzierenden Betrieb eine disziplinierende |Funktion.14 Sie regulierten den Arbeitstag, dessen Länge und Pausen, die Anfangs- und Endzeiten. Zugleich spiegelte sich im Regelungsbemühen ein viel umfassenderer Anspruch des Arbeitgebers auf das (Arbeits-)Leben der Beschäftigten. Arbeitsordnungen regelten den Aufenthalt auf dem Betriebsgelände und am Arbeitsplatz, das Putzen von Maschinen, die Pausen, Toilettengänge, das Waschen, Umkleiden, Essen, Trinken, Rauchen. Erlaubte und unerlaubte Abwesenheit wurden ebenso geregelt, wie Pünktlichkeit oder blaue Montage.15 Außerdem wurde festgelegt, wer die Regelungen kontrollieren und gegebenenfalls sanktionieren durfte. Arbeitsordnungen stellten Strafordnungen auf, wie das Beispiel des Hausgesetzes von Haubold zeigt: Sechs der 20 Paragrafen beinhalteten Strafmaßnahmen, in der Regel Lohnabzug, aber auch Kündigung, die bei Nichteinhaltung der vorgesehenen Arbeitszeiten oder einem Zuwiderhandeln gegen betriebliche Regeln eingesetzt wurden. Das konnte das Zuspätkommen betreffen, Trunkenheit oder Widerstand gegen Anordnungen des Vorgesetzten. Später wurden den Arbeitsordnungen Strafkataloge angehängt, die Vergehen und Strafe detailliert regelten. Damit dokumentieren sie Herrschafts- und Machtverhältnisse und die dadurch entstehenden Konflikte zwischen Fabrikbesitzern und Arbeitern – ablesbar auch an den mehrfach überarbeiteten Arbeitsordnungen, die in der Quellenedition gesammelt werden. Denn das Hinzukommen oder Wegfallen bestimmter Regulierungen war häufig das Resultat von Aushandlungsprozessen innerhalb der Fabrikgemeinschaft bzw. des industriellen Interessenkonflikts.16
Ähnlich wie es Gerd Bender für die Tarifautonomie diskutiert hat,17 kann auch die Geschichte der Arbeitsordnung als Geschichte regulierter Selbstregulierung verstanden werden, denn einerseits ging die Normsetzung und Normdurchsetzung maßgeblich von Wirtschaftsorganisationen bzw. wirtschaftlichen Interessenvertretern aus, zunächst vornehmlich von Unternehmen, später auch von der erstarkenden Arbeiterbewegung. Andererseits war diese wirtschaftliche Selbstorganisation aber immer auch – und seit der Proklamation des Kaiserreichs um so stärker – staatlichen Steuerungsprozessen unterworfen.18 Zwar war die Ausgestaltung der betrieblichen Arbeitsverhältnisse laut Reichsgewerbeordnung »Gegenstand freier Übereinkunft« und somit »staatlich geschützter, gesellschaftlicher Freiraum«,19 doch zeigte sich, dass der Staat – auch schon vor 1869 – eine gewisse Beobachtungsfunktion innehatte.20 Auch im Fall von Konflikten beanspruchte er Entscheidungsbefugnisse für sich. So legte § 19 des Hausgesetzes von Haubold fest, dass bei Konflikten zwischen Unternehmer und Arbeiter der Chemnitzer Stadtrat »auf polizeilichem Wege« entscheiden sollte, was wie oben berichtet bereits bei Bekanntgabe geschehen war.21 Nicht zuletzt ist diesen staatlichen Vorgaben zu verdanken, dass heute eine solche Fülle an Arbeitsordnungen in den Archiven existiert. 1861 schrieb die sächsische Gewerbeordnung vor, dass ein Unternehmen ab 20 Arbeitern |eine Arbeitsordnung zu verfassen habe und diese auch einer »obrigkeitlichen Genehmigung bedurfte«,22 weshalb gerade für den sächsischen Raum eine Vielzahl an Arbeitsordnungen aus den Jahren 1861/1862 im Sächsischen Staatsarchiv zu finden waren.
Für das Kaiserreich kam diese Vorgabe erst mit der Gewerbeordnungsnovelle 1891 zustande, die nun ebenfalls ab 20 Arbeitern eine Arbeitsordnung vorschrieb.23 Mit dem Inkrafttreten des Betriebsrätegesetzes 1920 wurde schließlich festgelegt, dass Arbeitsordnungen mit dem Betriebsrat abzustimmen und von diesem zu unterzeichnen seien.24 Für diesen Zeitraum ist in den Archiven fast in jedem der dort archivierten Unternehmensbestände eine Arbeitsordnung zu finden. Viele der Unternehmer orientierten sich dabei an den von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen ausgehandelten, sektoralen Arbeitsordnungen.25 Eine letzte Welle neuer Arbeitsordnungen erklärt sich aus dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit 1934. Laut Arbeitsordnungsgesetz hatte der »Führer des Betriebes« über die Ordnung des Betriebes zu entscheiden und schriftlich eine nun als Betriebsordnung bezeichnete Arbeitsordnung zu erlassen.26
Arbeitsordnungen sind also nicht nur wegen ihrer frühen Existenz für die Arbeitsrechtsgeschichte interessant, sondern auch wegen ihrer Langlebigkeit, auch wenn sich im Laufe der Jahrhunderte ihre Funktion veränderte. Stellten sie im frühen 19. Jahrhundert die einzig formalisierte Rechtsquelle zur Regulierung von betrieblichen Arbeitsverhältnissen dar, waren sie im 20. Jahrhundert neben Tarifnormen und Gesetzesrecht eine von vielen. Dass wir keine umfassenden Kenntnisse über die Regulierung von Arbeitsbeziehungen im 19. Jahrhundert haben, liegt nicht zuletzt an der fehlenden Quellenbasis27 und ist einer der Gründe, weshalb die Arbeitsrechtsgeschichte häufig erst mit der Betrachtung des Kaiserreichs beginnt bzw. hier sogar die Wurzeln des heutigen Arbeitsrechts gesehen werden.28 Es fehle an eigenständigen, quellengestützten Gesamtdarstellungen und überhaupt an einer zusammenfassenden Darstellung des Rechts der Arbeitswelt, so der Arbeitsrechtshistoriker Joachim Rückert und meint damit auch die Leerstellen im 19. Jahrhundert.29 Diese fehlen|de Quellengrundlage war Anlass am mpilhlt über eine Quellenedition nachzudenken, die die Normativität industrieller Beziehungen in ihrer Vielgestaltigkeit abbilden sollte – vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.30 Dabei wird nicht nur nach Arbeitsordnungen recherchiert, sondern auch nach anderen Quellen, die die Arbeitsbeziehungen in der Metallindustrie regulierten.31 Die Quellen werden in Staats-, Stadt- und Wirtschaftsarchiven recherchiert,32 digitalisiert33 und anschließend für die computergestützte Weiterverarbeitung und Publikation vorbereitet. Die mit Hilfe eines automatischen Textkennungsprogramms (OCR, Optical Character Recognition) gesammelten Normtexte werden anschließend in mehreren teils automatischen, teils manuellen Schritten ediert.34 Die Quellenedition beinhaltet momentan 417 Quellen, dabei haben Arbeitsordnungen (140) und Tarifverträge (99) den größten Anteil.35
Das Projekt knüpft an eine Vielzahl bisheriger Forschungen am mpilhlt an. In der Wissenschaft steht eine ausführliche Diskussion über die Möglichkeiten der Zusammenführung noch aus.36 Der Aufsatz verortet das Projekt zunächst im Kontext der Multinormativität. Multinormativität geht von der »Koexistenz verschiedener modi von Normativität« im selben sozialen Raum aus und greift dabei auf einen weiten Kreis von Rechtsquellen zurück.37 In Bezug auf unser Projekt heißt das zwar nicht, dass mit der Quellenedition alle Texte erfasst werden (können), die alle Änderungen von Arbeitsordnungen dokumentieren – wie beispielsweise die wöchentlichen Ankündigungen über Mehrarbeit –, und ebenso wenig kann Material dokumentiert werden, das die Aushandlungen oder Praktiken dieser Regulierungen betrifft.38 Es bedeutet aber dennoch, dass wir alle Formen von Arbeitsordnungen, von den frühen Hausgesetzen der 1830er Jahre bis zu den Betriebs|vereinbarungen im 20. Jahrhundert, als Rechtsquellen ernst nehmen und damit über traditionelle Quellen der Arbeitsrechtsgeschichte hinausgehen.39 Im Fokus der Multinormativität stehen besonders Interaktionen und Dynamiken, Austausch- und Verschmelzungsprozesse.40 Das bedeutet für unser Projekt, den Einflüssen von Gesetzen auf betriebliche Regulierungen nachzugehen. Welchen Einfluss hatten beispielsweise die Regelungen zu Arbeits- und Pausenzeiten für jugendliche Arbeiter seit dem Preußischen Regulativ von 1839? Fand durch die gesetzlichen oder durch die von Interessenvertretern ausgehandelten Vorgaben zu Arbeitsordnungen eine Homogenisierung der Arbeitsordnungen statt oder behielten es sich die Unternehmer auch im 20. Jahrhundert noch vor, über Details ihrer Betriebsordnung – so gering die Differenzen auch sein mochten – selbst zu entscheiden? Wo lagen hier die Frei- und Spielräume? Indem wir von einem praxeologischen Verständnis von Recht ausgehen, das die vielfältigen Bedingungen und Regeln der Normerzeugung berücksichtigt, finden auch Forschungsfragen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Berücksichtigung,41 wenn wir beispielsweise untersuchen, ob der allgemeine Anstieg des Tabakkonsums in der Gesellschaft Einfluss auf die Regulierung oder ggf. das Verbot des Rauchens auf dem Fabrikgelände hatte.
Da die Durchsetzung und Normierung von Arbeitszeit ein durchgängiges Ordnungsproblem in industrialisierten Gesellschaften darstellt und sich diese Bemühungen in allen Arbeitsordnungen widerspiegeln, haben wir uns im Projekt entschieden, auf diesen Teilaspekt genauer einzugehen. Bestimmungen zur Arbeitszeit finden sich in allen Arbeitsordnungen, unabhängig von Zeit, Ort und Unternehmen. Ihre verbindliche Festsetzung und vor allem ihre erfolgreiche Durchsetzung waren zentral für den wirtschaftlichen Betrieb einer komplexen Fertigung. Auch in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sind die Entwicklung und die Auseinandersetzung um Arbeitszeit ein zentrales und bis heute viel diskutiertes Thema.42
Frühe Arbeitsordnungen definierten zunächst Anfang und Ende der Arbeitszeit für verschiedene Jahreszeiten sowie Wochen-, Wochenend- und Feiertage, was durch die Regulierung von Pausenzeiten später ergänzt wurde. Die Arbeitszeit verdichtete sich, während die verschiedenen Tätigkeiten, die auf und außerhalb des Fabrikgeländes ausgeübt wurden, ausdifferenziert wurden: Arbeit, Freizeit, Reproduktionsarbeit wurden voneinander getrennt und der intermittierende Arbeitsprozess der handwerklichen Produktionsweise wurde normiert und homogenisiert.43 Dieser Normierungsprozess kann in den Arbeitsordnungen nachvollzogen und anhand der umfassenden Quellensammlung für unterschiedliche Regionen räumlich und zeitlich vergleichend untersucht werden. Ziel des Pilotprojektes ist es, am Beispiel der Regulierung von Arbeitszeit die Möglichkeiten der digitalen Quellenedition auszuloten und dafür Schlagworte zu entwickeln, die die Normtexte strukturell erschließen.
Durch die umfassende Datengrundlage und die Digitalisierung der Quellen ist erstmals die Darstellung ihrer Normenvielfalt, ihrer Transformation und ihrer historischen Entwicklung möglich.44 Bei Durchsicht der Quellen im Hinblick auf |die Forschungsfragen ist deutlich geworden, dass sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auch neue Herausforderungen ergeben. So ist es zur Bearbeitung und Anwendung digitaler Projekte zunächst notwendig, die Struktur der digitalisierten Texte zu erfassen und ein möglichst auf alle Texte anwendbares Strukturschema zu entwickeln.45 Die uns vorliegenden Texte sind zwar nach einer normativen Logik aufgebaut und beinhalten gliedernde Überschriften und Absätze, doch ist ihre Struktur nicht quellenübergreifend gleich. So erschien es notwendig, nach äquivalenten Regelungsmaterien zu suchen und sie für spätere Nutzer*innen auch verständlich und in ihrem Entstehungsprozess nachvollziehbar zu machen.46 Diese Idee mündete in die Entwicklung eines Schlagwortbaumes mit dem Fokus auf Arbeitszeit, was bedeutete, die Erkenntnisinteressen der Projektbeteiligten einzubeziehen, mögliche Forschungsinteressen zu antizipieren und zu reflektieren, wo eine (scheinbar) objektive Datenerfassung endet.47 Ein Ansatz dafür ergab sich aus der Analyse exemplarisch ausgewählter Arbeitsordnungen. Ausgehend von der Frage, welche Erkenntnismöglichkeiten digital edierte Quellen für die Arbeitsrechtsgeschichte bieten können, haben wir vier Regelungskomplexe ausgemacht, die in nahezu allen Arbeitsordnungen vorkamen.
Dies sind
1. Formale Regelungsbegriffe, worunter Arbeitszeit, Überarbeit, Kontrolle und Strafen fallen,
2. Tätigkeiten, wie Essen, Rauchen oder der Konsum von Alkohol,48
3. Rollen, darunter erwachsener und jugendlicher Arbeiter und Arbeiterinnen, Meister oder Pförtner49 und
4. Physische Objekte, wie Fabrikuhr, Maschine, Werkzeug oder besondere Räumlichkeiten wie Werkstätten, Pausenräume, Wege oder Tore.
In einem mehrstufigen, iterativen Prozess haben wir die Schlagworte hierarchisiert und zusammengeführt.50 Ziel dieser Hierarchisierung ist es, Inhalte mit ähnlicher Bedeutung zusammenzufassen, somit die Komplexität zu reduzieren und eine umfassende Auswertung zu ermöglichen.51 Im TEI/XML-Standard, der die Kodierung unserer Quellen beschreibt, können zusammenhängende Textabschnitte mit Schlagworten markiert werden, von einzelnen Worten bis hin zu ganzen Absätzen. Ein Textabschnitt kann dabei auch mehrere Schlagworte enthalten. Das Programm TEI Publisher, das wir als Plattform für die Darstellung der Quellen für die Nutzenden gewählt haben, verfügt neuerdings über die Funktion, ausgewählten Textpassagen ein Schlagwort aus unserem Katalog zuzu|weisen; somit ist es für uns nicht mehr nur eine Präsentations-, sondern auch eine Annotationsplattform zum projektinternen Gebrauch.52
Im Folgenden stellen wir exemplarisch vier Schlagworte vor, die im Kontext des Pilotprojektes Arbeitszeit diskutiert und stichprobenartig in den Arbeitsordnungen gesucht wurden. Damit soll veranschaulicht werden, wie Schlagworte durch ein antizipiertes Forschungsinteresse generiert, kontextualisiert und definiert werden können und welcher Mehrwert durch die Verschlagwortung einer digitalen Quellenedition entstehen kann. Dabei ist zu beachten, dass die hier ausformulierten Beispiele erste Beobachtungen darstellen und die aufgestellten Hypothesen aus der Literatur und aus den Stichproben der bereits vorhandenen Arbeitsordnungen stammen. Ein darauffolgender Arbeitsschritt wird dann sein, die Annotation aller Arbeitsordnungen der digitalen Quellenedition vorzunehmen und sie anschließend auszuwerten, worauf in diesem Artikel auf Grund des Arbeitsstandes nicht genauer eingegangen wird.
In der Literatur sind Arbeitspausen als betrieblich regulierte Form der Freizeit dargestellt worden, die kollektiven und konventionalisierten Regeln gehorchte.53 Ihre wirkliche Ausgestaltung in Fabriken des 19. und 20. Jahrhunderts lässt sich zwar aus den vorliegenden Rechtsquellen nicht exakt rekonstruieren, dennoch ermöglichen sie einen Einblick in den Umgang mit und das Verhältnis von Arbeitszeit und Pause und deren Veränderung. So sind Angaben von Pausen und Pausenzeiten in den Arbeitsordnungen des frühen 19. Jahrhunderts nur selten zu finden.54 Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass Arbeiter ohne Unterbrechung arbeiteten, vielmehr ist aus den sehr langen Arbeitszeiten zu schließen, dass die Arbeiter je nach Bedarf individuelle Pausen einlegten, um Bedürfnissen wie Essen oder Kinderbetreuung nachzugehen.55 Arbeitsordnungen der 1840/50er Jahre enthalten erste Festlegungen für Unterbrechungen der Arbeit zu einem bestimmten Zweck, wie Frühstück oder Mittagessen, legen allerdings nur eine Dauer, keine konkreten Uhrzeiten fest.56 Formulierungen wie »übliche Frühstückszeit« weisen darauf hin, dass diese Pausen einem gewissen Gewohnheitsrecht unterlagen, welches keiner Konkretisierung in der entsprechenden Regulierung bedurfte – ganz anders in den Arbeitsordnungen nach 1900. Hier ist nun nicht nur von Pausen, Pausendauer und exakten Uhrzeiten die Rede, sondern es werden auch separate Angaben zu besonderen Gruppen, wie jugendlichen Arbeitern, gemacht.57 Diese erste, auf Stichproben beruhende Beobachtung bedarf einer genaueren Analyse der annotierten Quellen und könnte interessante Befunde zutage fördern. Indem alle Pausenarten (vormittags, mittags und nachmittags) einzeln annotiert werden, können Rückschlüsse auf deren Entwicklung und Veränderung gezogen werden. Gab es Verschiebungen? Sind Pausen weggefallen oder haben vulnerable Gruppen besondere Pausenregelungen erhalten? Dies sind einige Fragen, die in diesem Kontext gestellt werden können. Durch Hinzuziehung weiterer Rechtsquellen, wie Schutzbestimmungen durch den Staat, kann danach gefragt werden, ob sie Einfluss auf die Regulierung von Pausen in Arbeitsordnungen hatten oder sogar dazu führten, dass Regulierungen wegfielen, weil sie in anderen |Rechtsquellen geregelt wurden. Mit Hilfe der Annotierung – auch bei der Nichterwähnung von Pausen – ließen sich diese Veränderungen darstellen.
Als besonders interessant erschien uns das Thema Rauchen, das im Kontext der Arbeitsordnungen meist einschränkend reguliert wurde.58 Wir wollten die Regelungen zum Rauchen im Sinne des Teilprojektes aus arbeitszeitökonomischer Perspektive betrachten.59 Anhand der Genese der Rauchordnung bei Bayer hat Tom Reichard aufgezeigt, dass die Regulierung des Rauchens aufgrund der Sorge um eine mögliche Verkürzung der realen Arbeitszeit eine Rolle spielte.60 Durch die im Projekt vorhandene Vielzahl an Arbeitsordnungen können Erkenntnisse in größerer Breite gewonnen und eine Antwort darauf gegeben werden, welche Normierungen des Tabakkonsums in der Metallindustrie verbreitet waren und wie diese im Kontext von Arbeitszeit zu bewerten sind.
Die Schlagwortannotation bietet im Vergleich zu einer herkömmlichen Volltextsuche gerade in der Kombination von Stichworten wertvolle Ansatzpunkte für eine tiefergehende Analyse der Rauchregulierungen. Eine Kernidee war es, das Rauchen im Zusammenhang mit Arbeitspausen zu betrachten. Es erwies sich aber als nicht praktikabel, die Rauchbestimmungen als Variante von Regelungen zur Arbeitspause im Schlagwortkatalog zu kategorisieren und sie damit als Stichwort unterzuordnen.61 Insofern schien eine selbstständige Annotation geeigneter. Damit sind die Bestimmungen zum Rauchen in Arbeitsordnungen schnell ausfindig zu machen und es kann zwischen Arbeits- und Pausenzeiten differenziert werden und damit ein detaillierter Einblick in die zugeschriebene Funktionslogik des Rauchens zu verschiedenen Abschnitten des Fabrikalltags gewonnen werden.62 In Kombination mit dem räumlichen Aspekt könnte weiterführend gefragt werden, für welche Orte auf dem Fabrikgelände das Rauchen erlaubt, eingeschränkt oder verboten wurde, wo der Tabakkonsum letztendlich im Fabrikalltag stattfand oder zumindest stattfinden durfte.63 Durch die örtliche und zeitliche Integration bzw. Exklusion des Rauchens in den Arbeitsordnungen sind somit im Fortgang der Arbeit weitere Rückwirkungen auf das industrielle Zeitregiment aufzuzeigen.
Aus einer Durchsicht der bis jetzt vorliegenden Arbeitsordnungen und einer zeitlichen Einordnung derselben ergaben sich folgende Eindrücke. Bereits während der Frühindustrialisierung scheint das Rauchen im Betrieb keine Randerscheinung gewesen zu sein, da ein unternehmerischer Regulierungsanspruch in einigen frühen Arbeitsordnungen nachzuweisen ist. Die Vorschriften enthielten teilweise individuelle Sondergenehmigungen für den Tabakgenuss während der Arbeitszeit in den Fabrikräumen,64 auch wenn das Rauchen allgemein bereits eingeschränkt oder sogar komplett verboten wurde. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurden mit dem Anstieg des Tabakkonsums die Verbotsbestimmungen universeller. In Reaktion auf die zunehmende gesellschaftliche Verbreitung |der Zigarette wurde das Rauchen sowohl während der Arbeitszeit als auch auf dem gesamten Werksgelände verboten.65 Durch großflächige generelle Verbote versuchten die Werksleitungen produktive Arbeitszeit in den Produktionsräumen und das Rauchen in der Pausen- oder Feierabendzeit auf dem Fabrikhof oder vor den Fabriktoren räumlich zu trennen. Anhand der Rauchregelungen in der Weimarer Republik zeigt sich daran anschließend, dass in vielen Betrieben der mittlerweile gesellschaftlichen Durchdringung und öffentlichen Akzeptanz des Zigarettenrauchens nicht allein durch die normative Verbannung des Tabakkonsums begegnet werden konnte. Gegen generelle Rauchverbote regte sich zum Teil Widerstand in der Arbeiterschaft.66 Allgemeine Rauchverbote auf dem gesamten Fabrikgelände ließen sich gegen die Gewohnheiten der Arbeiter nicht konsequent überwachen und umsetzen. In den Arbeitsordnungen fällt deshalb nun neben dem lokalen Fokus auf die Fabrikräume explizit ein zeitlicher Fokus auf die offizielle Arbeitszeit auf.67 Dies kann als Versuch zu werten sein, zumindest den Produktionsprozess gegen befürchtete Dispositionen abzusichern. Auch hierin verdeutlicht sich der bereits aufgegriffene Homogenisierungs- und Intensivierungsprozess der eigentlichen Arbeitszeit. Die Arbeitsordnungen im Dritten Reich schließlich zeichnen sich, zwar nicht durchweg, aber auffallend häufig durch einen hohen Grad der Angleichung von Formulierungen und Regelungen aus. Sie basieren auf den gleichen Vorlagen für Arbeitsordnungen, in denen es häufig ohne weitere Differenzierung heißt: »Untersagt ist: […] das Rauchen im Betrieb.«68
Zu den Oberkategorien für den Schlagwortbaum haben wir im Projekt das Schlagwort Objekte definiert, worunter neben Materialien und Räumen die Einrichtungen für Anzeige und Kontrolle der Arbeitszeit fallen.69 Darunter ist auch die Uhr zu fassen, die die Zeit – mit Einschränkungen70 – objektiv kontrollierbar macht. Im Konfliktfall kann sich sowohl von Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite auf sie berufen werden. Für das Projekt ist es interessant zu beobachten, wie sich die Bedeutung der Uhr in den Arbeitsordnungen widerspiegelt, welche Regelungen zu Signalen und Zeitanzeigern getroffen wurden und wie sich diese entwickelten. Dafür haben wir die Arbeitsordnungen zunächst in einer Stichprobe gezielt nach dem Regelungskomplex Uhr durchsucht. Es fällt auf, dass Uhren und auch andere Zeitanzeiger in frühen Arbeitsordnungen nicht erwähnt werden, obwohl das Problem der Kontrolle und Durchsetzung der Arbeitszeit in diesen Ordnungen schon im Zentrum steht. So bestimmt eine sächsische Fabrikordnung von 1862, dass die Festsetzung des Endes der Arbeitszeit im Ermessen des Fabrikherrn liege,71 zumeist waren die Arbeitszeiten aber in den Ordnungen schon früh mit genauen Uhrzeiten geregelt. Damit fand zumindest der Anspruch |einer geregelten Arbeitszeit in die Ordnungen Eingang. Doch erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen Regelungen hinzu, die die akustische oder optische Anzeige der Arbeits- und Pausenzeiten auf dem Fabrikgelände bzw. an den Arbeitsplätzen vorschrieben. Vor den Uhren waren das etwa Werksglocken oder andere, nicht weiter ausgeführte Signalgeber.
Wurde in früheren Arbeitsordnungen die Unpünktlichkeit noch durch das Aussperren vom Fabrikgelände sanktioniert, so scheint diese Maßnahme gegenüber anderen Kontrolleinrichtungen abzunehmen. Dafür kommen in den Arbeitsordnungen Regelungen zur Kontrolle der Arbeitszeit hinzu, wie Marken zur Überprüfung der Anwesenheit, das handschriftliche Notieren durch den Pförtner oder die Einführung von Stechuhren, die mittels eines Zeitstempels den Arbeitsbeginn individuell darstellbar machten. Außerdem findet sich spätestens um die Jahrhundertwende in den Arbeitsordnungen zunehmend die Formulierung, dass ausschlaggebend für die Arbeitszeit allein die Fabrikuhr oder die Uhr im Pförtnerhaus sei. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Verbote von individuellen Chronometern für Arbeiter, wovon auch Thompson berichtet.72 In deutschen Arbeitsordnungen lassen sich dazu zwar keine ausdrücklichen Verbote finden. Doch der sich Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitende und 1920 in der Musterarbeitsordnung der Weimarer Republik aufgenommene Satz, dass die Werksuhr maßgeblich sei, deutet bereits auf mögliche Konflikte und das Bedürfnis, Rechtssicherheit zu schaffen, hin. Mithilfe der digitalen Quellenedition lässt sich nachvollziehen, wo diese Regelung als erstes auftaucht und wie sie sich verbreitet, sodass in einer Tiefenbohrung gezielt nach dem Kontext gesucht werden kann.
Teil unseres Schlagwortbaumes sind Akteure, hier als Rollen bezeichnet, die in verschiedenen Funktionen in den Arbeitsordnungen auftreten. Das reicht von Betriebsführern, Vorgesetzten und Meistern bis zu erwachsenen Arbeitern und Arbeiterinnen, Portiers und betriebsfremden Personen. Ein besonderes Augenmerk wollten wir auf marginalisierte Gruppen in den Fabriken lenken, darunter Frauen und Jugendliche. Dabei war uns bewusst, dass sie in der Metallindustrie eine zahlenmäßig untergeordnete Rolle spielten, aber nichtsdestotrotz in einigen Branchen tätig waren und dementsprechend – so unsere Annahme – in den Regulierungen Berücksichtigung finden mussten. Im Kontext der Arbeitsrechtsgeschichte sind beide Gruppen unter den Sonderrechten zu finden und ihre Arbeitstätigkeit ist auf Grund ihrer Schutzbedürftigkeit bereits früh staatlich reguliert worden.73
Als erste Regelung zur Kinderarbeit ist das Preußische Regulativ aus dem Jahr 1839 über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken74 zu sehen. Dabei wurde der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor allem durch kürzere Arbeitszeiten festgeschrieben. Die Arbeitszeit der 9- bis 16-Jährigen wurde im Regulativ auf maximal zehn Stunden täglich – und zwar in der Zeit zwischen 5 und 21 Uhr – begrenzt (§ 3).75 Eine stichprobenartige Durchsicht unserer Quellen, die in die Regionen der Preußischen Provinzen fielen, ergab, dass jugendliche Arbeiter in den frühen Arbeitsordnungen kaum, meistens gar nicht erwähnt wurden. Dabei hätte mindestens die Begrenzung der Arbeitszeit von täglich zehn Stunden gesondert aufgeführt werden müssen, denn in den meisten Fällen lag die Arbeitszeit mit Abzug der Pausen eine Stunde über diesen Vorgaben.76 Wenn Ju|gendliche erwähnt wurden, dann nur, wenn sie von der Beschäftigung allgemein ausgeschlossen waren, wie in den Allgemeinen Bestimmungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung des Hörder Bergwerks- und Hütten-Vereins von 1853, in der es hieß: »Wer nicht das Alter von 15 Jahren erreicht hat, wird zur Arbeit nicht angenommen« (Artikel 2).77 Diesen Befund gilt es mit Hilfe der digitalen Quellenedition zu verifizieren, denn erst mit einer entsprechen Quellengrundlage kann gezeigt werden, ob die Arbeitszeit von jugendlichen Arbeitern tatsächlich keinen Eingang in frühe Arbeitsordnungen fand.
Die Interpretationsmöglichkeiten, warum Unternehmer die Arbeitszeiten von jugendlichen Arbeitern in ihren Arbeitsordnungen nicht (oder nicht genau) definierten, sind vielfältig. Zum einen konnte es bedeuten, dass ein Gesetz, das über den lokalen, betrieblichen Normierungen lag, keiner weiteren Erwähnung bedurfte, da die Angelegenheit als geregelt galt. Ein Hinweis darauf findet sich in einer späteren Arbeitsordnung von 1920, in der es heißt: »Die Arbeitszeit der jugendlichen Arbeiter wird nach den gesetzlichen Bestimmungen geregelt und durch Anschlag bekanntgegeben« (§ 9).78 Dass hinter der Nicht-Erwähnung auch praktische Erwägungen lagen, zeigt die in der Arbeitsordnung versehene handschriftliche Notiz: »Es wurde von der Verhandlungskommission nicht für zweckmäßig angesehen, die gesetzlich festgelegte Arbeitszeit der Jugendlichen in die Arbeitsordnung aufzunehmen, da jede behördliche Neuregelung der Arbeitszeit für die Jugendlichen eine Änderung der Arbeitsordnung bedingen würde.«79 Diese Äußerungen stammen aus einer Zeit, als die Regelung der Arbeitszeit Jugendlicher über die Gewerbeordnung nicht nur genau geregelt, sondern auch kontrolliert wurde, denn der in der Gewerbeordnungsnovelle des Norddeutschen Bundes 1878 festgehaltene § 139b »übertrug die Aufsicht über die gesetzlichen Kinderschutzbestimmungen im gesamten Reichsgebiet den Beamten einer neu zu errichtenden, staatlichen Fabrikinspektion.«80 Diese hatte es im frühen 19. Jahrhundert noch nicht gegeben, weshalb Annika Boentert als Grund für die systematischen Verstöße gegen das Regulativ von 1839 die geringen Kontrollinstanzen und die unwirksamen Strafmaßnahmen sieht.81 Am ehesten ist wohl davon auszugehen, dass die Unternehmer sich über die gesetzlichen Regulierungen stillschweigend hinwegsetzten. Klar ist: Die Begründungen für die Nicht-Erwähnung der Arbeitszeiten für Jugendliche müssen durch andere Quellen gefunden werden. Dass Jugendliche Anfang des 20. Jahrhunderts aber vermehrt in Arbeitsordnungen angesprochen und ihre Arbeitszeiten und Pausen festgelegt wurden, spricht für einen Bedeutungszuwachs dieses Themas, einer verstärkten Kontrolle durch den Staat und einer breiteren gesellschaftlichen Akzeptanz.
Dieser Artikel hat einen Einblick in die Entwicklung eines digitalen Quelleneditionsprojektes gegeben. Am Beispiel der Arbeitsordnung, die nicht nur eine zentrale quantitative, sondern auch qualitative Bedeutung in der Quellenedition haben wird, wurde eruiert, welche Möglichkeiten die Digitalisierung von Rechtsquellen bietet, welche Forschungsfragen entwickelt werden können, wenn eine solche Fülle an neu ausgehobenen Normtexten zur Verfügung steht, und welchen Mehrwert Annotationen bieten, die sich an ein bestimmtes Forschungsinteresse richten.
Am Beispiel der Arbeitszeit wurden einzelne Schlagworte diskutiert, die über die Arbeitsrechtsgeschichte hinaus in der Forschung interessant sind und in der Literatur bereits größere Aufmerksamkeit erhielten. Durch die Verschlagwortung einer Vielzahl an Quellen sollte ein neuer Forschungszugang zu Themen wie die Entwicklung von Arbeitspausen, die Regulierung des Rauchens, die normative Einführung einer verbindlichen Zeitanzeige und Zeitsignalgebung und deren Kontrolle sowie der Umgang mit bestimmten Gruppen |wie jugendlichen Arbeitern entwickelt werden. Dabei konnte gezeigt werden, dass das Rauchen, welches auf den ersten Blick keine Verbindung zur Arbeitszeit aufweist, sich durch die Kontextualisierung mit dem Ort (verschiedene innerhalb oder außerhalb des Fabrikgeländes definierte Orte) mit dieser in Zusammenhang bringen lässt. Es wurde ebenfalls deutlich, wie Fragen anderer Disziplinen – wie der Konsumgeschichte – in der Arbeitsrechtsgeschichte Berücksichtigung finden können. Denn wie dargelegt werden konnte, hatte die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz des Rauchens seit dem Ersten Weltkrieg Einfluss auf die Regulierung des Rauchens in Arbeitsordnungen.
Am Beispiel der Pausen wurde deutlich, dass durch die Verschlagwortung der Quellen auch der Wandel bestimmter Regelungsmaterien sichtbar gemacht werden kann. Die Annotation der verschiedenen Pausenarten bietet den Nutzer*innen der Edition die Möglichkeit, die Nicht-Regulierung oder den Wegfall bestimmter Pausen nachzuvollziehen sowie sich eine quantitative Veränderung von Pausenzeiten einerseits und Arbeitszeiten andererseits anzeigen zu lassen. Mit dem Beispiel der jugendlichen Arbeiter wurde thematisiert, wie autark betriebliche Regulierungen im Verhältnis zu staatlichen Vorgaben existierten. Die rechtlichen Vorgaben zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in den Fabriken fanden kaum Eingang in die Arbeitsordnungen. Diese Beobachtung ist ein interessanter Ausgangspunkt für eine Vielzahl weiterer Forschungsfragen zur wechselseitigen Beziehung zwischen Staat, Unternehmen und gesellschaftlichen Akteuren. Das Beispiel der Uhr enthält viele der bereits angesprochenen Punkte. Auch hier kann der Einfluss der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zur Zeitregulierung und -kontrolle nachvollzogen werden. Es lässt sich durch die Vielzahl an Rechtsquellen zeigen, wann etwas hinzukam, wegfiel oder ganz neu und anders reguliert wurde.
Im nächsten Schritt gilt es nun, diese Quellen zu annotieren und Abfragen im Sinne der oben gestellten Fragen zu generieren. Die hier noch gar nicht angesprochenen geographischen Unterschiede bilden eine weitere interessante Ausgangslage der digitalen Quellenedition. Denn mit Hilfe der in den Metadaten festgehaltenen Ortsdaten wird der zeitliche Längsschnitt durch eine geographische Breite ergänzt und kann ebenfalls interessante Ergebnisse zu Tage fördern. Fiel beispielsweise eine Region durch eine frühe Regulierung bestimmter Regelungsmaterien auf? Gab es Ähnlichkeiten, die auf Verbindungen oder gegenseitige Beeinflussung hindeuten? Dies sind nur einige Fragen, die durch den Blick auf räumliche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten gestellt werden können.
Es ist sicher deutlich geworden, dass die digitale Quellenedition zum Nichtstaatlichen Recht der Wirtschaft nach Fertigstellung eine große Bereicherung für die Arbeitsrechtsgeschichte darstellen wird. Sie bringt erstmals Rechtsquellen zusammen, die in der Arbeitsrechtsgeschichte aufgrund ihrer Vielfalt, aber auch der Schwierigkeiten, sie auszuheben, bisher keine Berücksichtigung finden konnten, und versucht damit gleichzeitig dem auf die Untersuchung von Multinormativität zielenden Forschungsanspruch des mpilhlt gerecht zu werden. Die Verschlagwortung der digitalisierten Quellen bringt zusätzlich neue Möglichkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnis. Entwicklungen können im historischen Längsschnitt und in ihren geographischen Besonderheiten (quantitativ) dargestellt werden. Durch die Kombination verschiedener Schlagworte oder der Markierung von Materien, die nicht reguliert wurden, lassen sich Abfragen generieren, die über eine einfache Volltextsuche hinausgehen. Ob die hier diskutierten Aspekte am Ende alle Eingang in die jeweiligen Forschungsarbeiten des Projektteams finden werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht auszumachen. Dass sie auf Grund der genannten Möglichkeiten einen besonderen Reiz darstellen, dürfte hingegen deutlich geworden sein.
Barth, Ernst (1972), Fabrikordnungen im alten Chemnitz, in: Der Heimatfreund für das Erzgebirge, Stollberg 17,1, 16–19
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1 Abgedruckt in Forberger (1999) 420.
2 Strauss (1960) 57.
3 Diese Ordnungen firmierten je nach historischem Kontext unter unterschiedlichen Begriffen, wie Fabrik-, Arbeits- oder Betriebsordnung, Hausgesetz oder General-Regulativ. Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Ausgestaltung war allen gemein, dass sie die Grundsätze der innerbetrieblichen Zusammenarbeit regelten, siehe Fischer (1950). Wenn durch den jeweiligen Kontext nicht anders vorgegeben, verwenden wir im Artikel den Begriff »Arbeitsordnung«.
4 Auch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts existierten vermutlich schon Arbeitsordnungen. Da diese nicht dem Rat der Stadt vorgelegt werden mussten, ist darüber allerdings wenig bekannt, Uhlmann (1996) 166.
5 Wir haben uns entschieden, im Artikel das generische Maskulinum zu verwenden. In der Metallindustrie arbeiteten außer während der beiden Weltkriege mehrheitlich Männer. Durch die Berichte von Fabrikinspektoren wissen wir, dass unter den jugendlichen Arbeitern auch einige weibliche waren, allerdings fällt die Zahl im Vergleich zur Textilindustrie ebenfalls weitaus geringer aus. In der Analyse der Quellen arbeiten wir gesondert mit der Kategorie »Frauen« bzw. »weibliche Arbeiter«.
6 Uhlmann (1996) 166.
7 Ebd. 168.
8 Ebd. 166.
9 Über das Unternehmen Haubold und die Entwicklung des Chemnitzer Maschinenbaus allgemein gibt es zahlreiche Werke, siehe Strauss (1960); Stöbe (1962); Barth (1972).
10 Zwahr (1973); Metzger (2006); Wirtz (1982). Übergreifender, aber mit Fokus auf das 19. Jahrhundert Machtan (1981) sowie das Grundlagenwerk von Teuteberg (1961).
11 Siehe https://www.lhlt.mpg.de/forschungsprojekt/nichtstaatliches-recht-der-wirtschaft. Das Projekt unter Leitung von Peter Collin wird gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, dem Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW e.V. und dem Institut der deutschen Wirtschaft, Köln. Im Rahmen der »Initiative Arbeitsrechtsgeschichte« erfolgt eine Kooperation mit dem Hugo-Sinzheimer-Institut. Die Projektarbeit wird begleitet von einem Fachbeirat, der aus folgenden Mitgliedern besteht: Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein (Goethe-Universität Frankfurt am Main/Bundesverfassungsgericht) (Beiratsvorsitzende); Prof. Dr. Boris Gehlen (Universität Stuttgart); Prof. Dr. Thorsten Keiser (Universität Gießen); Prof. Dr. Michael Kittner (Hugo-Sinzheimer-Institut, Frankfurt am Main); Prof. Dr. Nina Kleinöder (Universität Bamberg); Dr. Hagen Lesch (Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln); Dr. Luitwin Mallmann (Verband der Metall- und Elektro-Industrie NRW, Düsseldorf). An dieser Stelle sei allen Beteiligten herzlich gedankt für die Begleitung und Unterstützung des Projekts.
12 Arbeitsordnungen stellen damit – auch durch die im 19. Jahrhundert langanhaltende Nicht-Existenz von schriftlichen Arbeits- und Tarifverträgen – die einzige Quelle dar, die uns über die normative Ordnung der Arbeitswelt informieren, siehe auch Flohr (1981) 9–10.
13 Wüst (2010) 257.
14 Zwar setzte die Arbeitsordnung das Disziplinierungspotential schon voraus, durch Standardisierung und Objektivierung wurden Verhaltenskontrolle und -sanktionierung uniformiert und in verbindliche Regeln transformiert. Durch das Festschreiben dieser Regeln mussten diese nicht jedes Mal neu legitimiert und konstituiert werden und konnten sich als Bestandteil eines überdauernden Ordnungsgefüges für die Arbeiter durchsetzen, siehe Flohr (1981) 82.
15 Oskar Negt analysiert diese umfassende Regelungstätigkeit als Teil einer Machtpolitik, klar abgegrenzte funktionale Orte zu schaffen. Raum- und Zeitbestimmungen befinden sich in jeweils unterschiedlichen Abhängigkeiten, deren Grad sich durch die jeweiligen körperlichen Bewegungsspielräume beschreiben lasse. Negt (1984) 21–22.
16 Lüdtke argumentiert, dass Regulierungen, die in Arbeitsordnungen hinzukamen, häufig Ergebnis von betrieblichen Auseinandersetzungen waren bzw. der Versuch der Eindämmung widerständigen Verhaltens, Lüdtke (1993) 92. Auch Flohr weist darauf hin, dass die immer präziseren Regelungen der Arbeitsordnungen Resultat der Kämpfe der Arbeiterbewegung waren, in deren Ergebnis die Willkür der Generalklausel, die dem Fabrikherrn die jeweilige Auslegung überließ, einem ausdifferenzierten, verlässlicheren Normensystem wich, das Handlungen und deren Strafbarkeit schließlich für beide Seiten kalkulierbar machte. Siehe Flohr (1981) 21.
17 Bender (2012).
18 Collin (2011a) 5.
19 Machtan (1981) 180.
20 Die Ursprünge der freien Übereinkunft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren bereits im preußischen Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe aus dem Jahr 1811 geregelt, mit der Reinhard Richardi den Beginn der modernen Arbeitsverfassung in Deutschland fasst, siehe Richardi (2002) 24.
21 Strauss (1960) 66.
22 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1861, 217, nach: Däubler/Kittner (2020) 73.
23 Große Novelle zur Reichsgewerbeordnung vom 1. Juli 1891 (RGBl. 141). Richardi sieht darin eine Neuausrichtung der Arbeiterschutzpolitik. Sie ging zurück auf den Erlass des Kaisers vom Februar 1890, der die Wahrung der Gesundheit, Sittlichkeit und der wirtschaftlichen Bedürfnisse des Arbeiters zur Aufgabe des Staates erklärte. Die Novelle der Reichsgewerbeordnung gab dem Arbeiterausschuss im Betrieb nun die Gelegenheit, sich zum Inhalt von Arbeitsordnungen zu äußern, siehe Richardi (2002) 29. Thilo Ramm sieht darin auch die »Geburtsstunde des Dualismus im kollektiven Arbeitsrecht Deutschlands«. Siehe Ramm (1978) 207.
24 § 104 Abs. 5–7 Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 (RGBl. 145).
25 Siehe z. B. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz (im Folgenden: SächsStA-C), 31029 Deutsche NILES Werke AG, Werk Siegmar, Nr. 8, Arbeitsordnung für die Metallindustrie vereinbart zwischen dem Gesamtverband Deutscher Metallindustrie, Berlin, einerseits, und dem Deutschen Metallarbeiterverband, Stuttgart, dem Christlichen Metallarbeiterverband, Duisburg, und dem Gewerksverein Deutscher Metallarbeiter, Berlin, andererseits. Mit ergänzenden Vereinbarungen zwischen dem Chemnitzer Bezirksverband Deutscher Metallindustrieller und dem Deutschen Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Chemnitz u.a., vom 6. September 1920.
26 §§ 26ff. Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 (RGBl. I, 45).
27 Laut Jürgen Brand sei die Ordnung und Regelung gewerblicher Produktion, dem Bereich, der unter das heutige Arbeitsrecht fällt, für dieses Jahrhundert weitgehend unbekannt. Siehe Brand (2011) 134.
28 Thilo Ramm konstatiert, dass viele Vorschriften der Gewerbeordnung, des Handelsgesetzbuchs, des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder des preußischen Berggesetzes aus dieser Zeit stammen. Wenn man die Novelle zur Gewerbeordnung von 1891 hinsichtlich einiger Grundgedanken als Vorläufer des Betriebsverfassungsgesetzes fasst, lassen sich auch die Ursprünge des BRG in dieser Linie interpretieren, siehe Ramm (1978) 191.
29 Rückert (2015) 8.
30 Die Gründe für die Wahl des Zeitraums, des Sektors und des Untersuchungsraums (verschiedene vom Projektteam definierte Regionen im Gebiet der heutigen Bundesrepublik) werden aus Platzgründen an anderer Stelle ausgeführt.
31 Zu den Normtexten zählen neben den Arbeitsordnungen u.a. Statuten von Betriebs- und Pensionskassen, Lehrverträge, Tarifverträge (mit ihren unterschiedlichen Bezeichnungen) sowie Satzungen von Interessenvertretungsorganisationen (Arbeitgeber und Arbeitnehmer).
32 Dazu wurden im Projektteam bestimmte Stichworte definiert, die bei der Suche in den Archiven Orientierung bieten. In den sehr unterschiedlichen Suchmaschinen der Archive wird zunächst automatisch gesucht und anschließend bei der Durchsicht der Bestände händisch geprüft.
33 Je nach Umfang und Möglichkeit werden die Quellen mit Hilfe eines Scan-Tents und entsprechender Kamera von den Wissenschaftler*innen eigenständig aufgenommen oder es wird ein Reproduktionsauftrag an das Archiv gestellt.
34 Im Einzelnen wird für das OCR die Software OCR4all (Reul et al. (2019)) eingesetzt, für die automatische Transformation aus dem Ausgabeformat der OCR-Software in das TEI/XML-Format eine angepasste Variante des XSLT-Programms page2tei (Kampkaspar (2022)), und für die manuelle Überarbeitung (etwa die Eintragung der hierarchischen Textstruktur von Abschnitten und Unterabschnitten sowie die orthographische Korrektur) das Programm oXygen XML Editor, https://www.oxygenxml.com/ (zuletzt abgerufen am 11. April 2022).
35 Mit Stand vom 5. April 2022. Die Suche der Quellen erfolgte nach einer Schwerpunktsetzung, die sich auf vom Projekt definierte Regionen konzentriert, darunter Sachsen, das Ruhrgebiet (Rheinland und Westfalen), Berlin, Nürnberg/Fürth. Die Recherche für die Region Sachsen ist mit der Durchsicht der drei Hauptstandorte des Sächsischen Staatsarchivs – Dresden, Leipzig und Chemnitz – beinahe abgeschlossen, während die anderen Regionen derzeit bearbeitet werden.
36 An dieser Stelle soll nur der Ansatz der Multinormativität erwähnt werden. Das Projekt ist aber gleichzeitig Teil des am mpilhlt angesiedelten Forschungsfeldes Sonderordnungen (www.lhlt.mpg.de/forschungsfeld/sonderordnungen) und leistet einen Beitrag zum Forschungsansatz Historische Normativitätsregime.
37 Duve (2017) 90. Im Prinzip ist dieser Rechtspluralismus dem Arbeitsrecht inhärent. Viele Definitionen zum Arbeitsrecht bzw. der Arbeitsverfassung gehen von einem weiten Verständnis des Begriffes aus. So schreibt Ramm, dass es »die gesamten Arbeitsbeziehungen auf allen Ebenen« umfasse: »der individuellen mit dem Arbeitsvertrag, der kollektiven mit den kollektiven Vereinbarungen, den Tarifverträgen und den Betriebsvereinbarungen und endlich den Arbeitsmarkt und die staatlichen Regelungen.« Ramm (1978) 195. Allgemeiner, aber mit gleicher Intention formuliert Richardi, die Arbeitsverfassung sei die Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Normen, die »das Arbeitsleben als Bestandteil der wirtschaftlichen Ordnung in sachlicher, personeller und funktioneller Beziehung regeln.« Siehe Richardi (2002) 22.
38 Das beschriebene Erkenntnisinteresse und projektökonomische Zwänge bewogen uns ebenfalls, editorische Aspekte wie die Aufzeichnung einer diplomatischen Erfassung der Quellen oder die Anzeige von Bilddigitalisaten zugunsten der Quellenbreite und -anzahl sowie zugunsten der im Folgenden beschriebenen Erschließungsanstrengungen zurückzustellen.
39 Trotz aller Bemühungen, in den Archiven so viele Quellen wie möglich zur Regulierung von Arbeitsbeziehungen auszuheben, ist uns bewusst, dass wir unvollständig bleiben und der Reiz der Quellenedition darin liegt, beständig zu wachsen und für weitere Quellenprojekte anschlussfähig zu sein.
40 Duve (2017) 93.
41 Ebd. 94.
42 So organisiert die German Labour History Association für das Jahr 2022 eine Konferenz zu diesem Thema, siehe: Arbeit/Zeit. Globale Perspektiven (https://www.hsozkult.de/event/id/event-95216).
43 Tätigkeiten, die zuvor während der Anwesenheit in der Fabrik ausgeübt wurden, wurden aus der Fabrikzeit in die private Zeit verschoben und damit die tatsächliche Arbeitszeit geregelt, siehe auch Deutschmann (1982) 36.
44 Duve (2014) 33–34. Weitere Möglichkeiten der Digitalisierung sind statistische Analysemethoden, Nachnutzungsmöglichkeiten für andere Forschungsrichtungen, wie korpuslinguistische Untersuchungen, die in diesem Projekt bisher noch nicht Berücksichtigung finden konnten. Insgesamt sind Forschungsergebnisse für Dritte leichter nachvollziehbar und damit transparenter, siehe Sukhondyaeva (2016); Thaller (2016). Siehe auch das Editionsprojekt des mpilhlt Policeyordnungen der Frühen Neuzeit ( https://policey.lhlt.mpg.de/web/).
45 Birr (2016) 331.
46 Schwandt (2016) 337; Schlauwitz (2016) 350.
47 Drucker (2011); Küsters/Volkind/ Wagner (2019) 256–257.
48 Die Zuordnung einer Tätigkeits- oder Verhaltensbeschreibung zur ersten oder zweiten Kategorie orientierte sich an der Frage, ob die Tätigkeit bzw. das Verhalten auch unabhängig vom normativen Kontext (Arbeitsregime) vorstellbar ist. Dies gilt für das »Schlafen«, nicht aber für »Strafen«.
49 Hiermit sind Rollen gemeint, die durch die Berufsbezeichnung (»Pförtner«), die Funktion im allgemeinen Betrieb (»Vorarbeiter«) oder den sozialen Kontext (»jugendliche Arbeiter«) bestimmt werden und die letztlich Erwartungen definieren, die von der aktuellen Handlung unabhängig sind. Davon zu unterscheiden sind Rollen, die die Aufgabenverteilung in konkreten Interaktionen bestimmen (»Käufer«, »Verkäufer«). Erstere werden in der Literatur häufig als »soziale Rollen« diskutiert, letztere als »thematische Rollen«. Häufig beziehen sich normative Regelungen darauf, dass die Wahrnehmung bestimmter thematischer Rollen an die soziale Rolle gebunden ist (z.B. mag die thematische Rolle des »Meldungsempfängers« in bestimmten Kontexten der Meldung von Abwesenheit den »Meistern« vorbehalten sein. Siehe Goy/Magro/Rovera (2018); Masolo et al. (2004)).
50 Zur Veranschaulichung des Schlagwortbaumes und seiner Tiefe, hier ein Beispiel: 0 Regelungsbegriff / 0.1 Arbeitszeit / 0.1.1 Arbeitstage / 0.1.1.2 Sonderwerktag / 0.1.1.2.2 Sonnabend.
51 Beispielsweise sind in der Gruppe 3.1 Signaleinrichtungen, Fabrik- und Stechuhren sowie Glocken zusammengefasst. Durch die Zuordnung zu einer gemeinsamen Oberkategorie soll es in der Edition möglich werden, diese Regelungen gesammelt auszugeben.
52 Siehe TEI Publisher. The instant publishing toolbox, https://teipublisher.com/index.html (zuletzt abgerufen am 12. April 2022).
53 Muri (2004) 65.
54 Die Fabrikordnung C.G. Haubold AG, Maschinenfabrik, Chemnitz gibt 1834 72 Arbeitsstunden für eine 6-Tage-Woche vor, ohne Pausen festzulegen, was 12 Stunden pro Tag entspricht. Abgedruckt in: Forberger (1999) 220.
55 Deutschmann (1985) 90–93.
56 Arbeitsordnung des Metallwarenfabrikanten Arnold Gerdes in Altena, 1840, abgedruckt in: Ellerbrock (2017) 295; Reglement für die Arbeiter der Maschinen-Bau-Anstalt und Eisengießerei der Seehandlung in Moabit [Berlin], 1844, DZA Rep. 109 A XXIVf., Nr. 6, Vol. I, fol. 10–12, abgedruckt in: Schröter/Becker (1962) 112–117; Entwurf einer Fabrikordnung für die Maschinenfabrik Richard Hartmann, Chemnitz, 1862, abgedruckt in: Ludwig (1980) 41–51.
57 SächsStA, Staatsarchiv Leipzig, 20835 G.A. Schütz, Maschinenfabrik und Eisengießerei, Wurzen, Nr. 32, Arbeits-Ordnung für die Fabrik der Firma G.A. Schütz, Wurzen i. S., 14. April 1913, 2.
58 Der Tabakkonsum der Arbeiterschaft mit Pfeifen und Zigarren war schon im 19. Jahrhundert nicht unüblich. Besonders in Form der Zigarette verbreitete sich das Rauchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch im Fabrikalltag breitflächig. Siehe auch Schürmann (2017) 42–43.
59 In vielen Arbeitsordnungen kommt zum Ausdruck, dass die Regulierung des Rauchens im Betrieb daneben natürlich auch dem Sicherheitsaspekt durch Brandgefahr Rechnung trug.
60 Siehe Reichard (2015) 111–113.
61 Der geringe Anteil der Ordnungen mit direktem Regelungsverweis auf das Rauchen in der Pause und das Vorhandensein von Raucherlaubnissen während der Arbeitszeit etwa an Arbeitsplätzen mit offenem Feuer, wie in den Gießereien, sprachen gegen eine so gerichtete Verengung des Blicks auf die Rauchbestimmungen. Auch im Sinne der Praktikabilität der Einordnung weiterer Handlungsweisen im Arbeitsumfeld haben wir das Rauchen daher dem Oberbegriff Tätigkeit zugeordnet.
62 Siehe Muri (2004) 66–67.
63 So ließe sich abfragen, welche der Paragraphen, in denen das Rauchen reguliert wurde, auch Schlagworte zu Räumlichkeiten und Wegen enthalten. Die Ergebnisliste könnte mit den Ergebnissen einer Suche nach Rauchen insgesamt verglichen werden und dahingehend überprüft werden, wie das Verhältnis von einschränkenden und erlaubenden Normen ist, oder wie es sich zur Erwähnung von Pausenzeiten verhält.
64 Siehe z.B. Hausgesetze für die mechanischen Werkstätten Haubold, C.G. Haubold AG, Maschinenfabrik, Chemnitz 1834, abgedruckt in Forberger (1999) 421: »Niemand ist es erlaubt, ohne vorherige Erlaubnis, welche jedoch nur älteren Personen und mit Rücksicht auf besondere Umstände erteilt wird, Tabak zu rauchen« (§ 12).
65 Siehe z.B. Bayerisches Wirtschaftsarchiv, S 12 / 2140, Arbeitsordnung der Firma Keller & Knappich G.m.b.H. Augsburg, den 1. November 1904, 5: »Das Rauchen ist nicht allein in den Arbeitsräumen, sondern im Fabrikterrain überhaupt streng verboten.«
66 Dies äußerte sich z.B. bei Bayer anhand von zahlreichen Verstößen gegen das Rauchverbot. Aber auch der Arbeiterausschuss versuchte auf die Werksleitung einzuwirken, das Rauchverbot zu lockern. Siehe Reichard (2015) 109–110.
67 Siehe z.B. SächsStA-C, 31077 C.F. Hutschenreuther & Co. KG, Aue, Nr. 36. Arbeitsordnung der Metallwarenfabrik C.F. Hutschenreuter & Co. Aue i. Erzgeb., den 15. Juni 1924, 14: »Verboten ist: […] das Rauchen in den Fabrikräumen während der Arbeitszeit und an feuergefährlichen Stellen, sowie auch das Anstecken von Tabakspfeifen, Zigarren und Zigaretten innerhalb der Fabrikräume beim Verlassen derselben.«
68 SächsStA-C, 31035 Sächsische Textilmaschinenfabrik vorm. Richard Hartmann AG, Chemnitz, Nr. 134, Betriebs-Ordnung der Firma sächsische Textilmaschinenfabrik vorm. Rich. Hartmann AG, Chemnitz, den 1. Juli 1934, 14.
69 Für Lewis Mumford war die Entwicklung der Uhr – nicht die Dampfmaschine – zentral für die Entstehung des industriellen Kapitalismus, siehe Mumford (2010/1934). Insbes. Edward P. Thompson hat die Uhr in den Mittelpunkt seines Werkes über die Sozialdisziplinierung und den Übergang von agrarischen zu industrialisierten Gesellschaften gestellt. Siehe Thompson (1967). Siehe auch Dohrn-van Rossum (1995), insbes. das Kapitel Arbeitszeit und Stundenlohn, 372–414.
70 Berichte über Konflikte mit Fabrikherren, denen Uhrenmanipulation vorgeworfen wird, ziehen sich durch die gesamte entsprechende Literatur des 19. und selbst noch des 20. Jahrhunderts. Siehe Dohrn-van Rossum (1995) 408.
71 Entwurf einer Fabrikordnung für die Maschinenfabrik Richard Hartmann, Chemnitz, 1862, abgedruckt in: Ludwig (1980) 44: »Den Schluß der Arbeitszeit an den einzelnen Tagen bestimmt der Fabrikherr je nach seinem Ermessen«.
72 Siehe Thompson (1967) 85. Mitte des 18. Jahrhunderts hatten in England vor allem Meister, höhere Angestellte und die Oberklasse Uhren im privaten Besitz, während sie im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehr und mehr auch bei Arbeitern als Statussymbol Verbreitung fanden, siehe Thompson (1967) 67.
73 Rückert (1998) 215.
74 Regulativ über die jugendlichen Arbeiter in Fabriken vom 9. März 1839, Gesetzsammlung für die Preußischen Staaten 1839, 156.
75 Boentert (2007) 62.
76 Siehe z.B. Reglement für die Arbeiter der Maschinen-Bau-Anstalt und Eisengießerei der Seehandlung in Moabit von 1844, DZA Rep. 109 A XXIVf., Nr. 6, Vol. I, fol. 10–12, abgedruckt in: Schröter/Becker (1962) 112–117.
77 Abgedruckt in: Ellerbrock (1990) 34–37.
78 SächsStA-C, 30942 Eisengießerei G. Krautheim AG, Chemnitz, Nr. 485, Normal-Arbeits-Ordnung für die Betriebe des Chemnitzer Bezirksverbandes deutscher Metallindustrieller. Arbeits-Ordnung der Firma G. Krautheim, Berlin, den 1. Juli 1920, 8.
79 Ebd., Notiz zu § 9, 25.
80 Boentert (2007) 88.
81 Ebd., 64–65.