Flexible Prediger*

[Flexible Preachers]

Caspar Ehlers Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main ehlers@rg.mpg.de

Alle 18 Beiträge des Sammelbandes entstammen einem internationalen Kolloquium am Deutschen Historischen Institut in London aus dem Jahr 2014, das Aspekten der Rechtsgeschichte allein des Dominikanerordens gewidmet war. So reiht es sich in eine Tradition der Ordensforschung ein, hebt sich aber durch die thematische Konzentration mit diachronem wie raumübergreifendem Zugriff deutlich hervor. Die titelgebende Dichotomie durchzieht die Gesamtanlage des inspirierenden Bandes, umkreist sie doch ein Spannungsfeld selbst gesetzter normativer Ansprüche vor der sprichwörtlichen Wirklichkeit. Und auch dies stellt das Buch in einen traditionellen Zusammenhang.

Vor diesem Hintergrund liest man die Tagungsergebnisse mit hoher Erwartung. Sie sind in drei Fragenkomplexe gegliedert: »Discussion« (sechs Beiträge), »Implementation« (sieben Beiträge) und »Consequences« (vier Beiträge). Dabei geht es allen um die Regulierung des spirituellen und des materiellen Lebens, wie über diese internen Normen im Orden gestritten wurde, wie sie kommuniziert, eingebettet und gebrochen wurden (v). Dafür wurden verschiedene geographische Räume |zwischen Spanien und Skandinavien ausgewählt, welche die Verbreitung des Ordens spiegeln.

In ihrer Einleitung, »Making and Breaking the Rules: An Introduction to Sources and Perspectives« (115), umreißt Cornelia Linde diese Konzeption. Der die Sektion »Discussion« eröffnende Beitrag von Gert Melville, »The Fixed and the Fluid: Observations on the Rational Bases of Dominican Constitution and Organization in the Middle Ages« (19–35), betont als besondere Stärke des Predigerordens das hochrationale Nebeneinander von fixierter Norm und geschmeidiger, situationsbezogener Anweisung. Am Beispiel (ordensinterner) Inquisitionsverfahren verdeutlicht Christine Caldwell Ames, »Obeying God, Not Man: Heresy, Inquisitors, and Obedience in the Dominican Order« (37–58), diese Praxis: »Dominikanische Inquisitoren brachen die Regeln – dominikanische Regeln – um die Regeln zu stärken« (56). Diesen Eindruck bestätigt Sita Steckel, »Rewriting the Rules: The Secular-Mendicant Controversy in France and its Impact on Dominican Legislation, c. 1230– 1290« (105–130), wenn sie die Funktionalität der dominikanischen Gesetzgebung in ihrer Fähigkeit zur Adaption hervorhebt, die bei ordensinternen Konflikten oftmals erfolgreiche Lösungen ermöglichte. Allerdings sei dieses Vorgehen nicht spezifisch dominikanisch, sondern auch in anderen Bereichen kirchlicher Rechtsprechung zu beobachten (129f.), was ein nicht unerheblicher Hinweis auf die Gefahr referenzloser Bauchnabelbetrachtung ist.

Der zweite Teil – »Implementation« – wird mit dem Beitrag von Eleanor Giraud, »Totum officium bene correctum habeatur in domo. Uniformity in the Dominican Liturgy« (153–172), eröffnet, der die vom Orden als »Schlüsselangelegenheit« im 13. Jahrhundert angesehene Einheitlichkeit der dominikanischen Liturgie behandelt, was praktischen wie spirituellen Gründen verpflichtet war. Diese Anstrengungen belegt Giraud anhand der liturgischen Gesänge, wobei sie auch ordensinterne Widerstände ausmachen kann. Ein mit der Ordensliturgie vergleichbarer Aspekt dominikanischer Uniformität stellt die Architektur dar, der sich Sebastian Mickisch, »Architecture and Space in the Dominican Order: On the Impact of Norms and Concepts in Early Normative and Narrative Sources« (189–223), zuwendet und feststellt, dass es einen »spezifischen Stil« der Dominikaner nicht gab (222f.), vielmehr sei dieser dem Mönchtum der Zeit verwandt geblieben, was auch Mercedes Pérez Vidal, »Legislation, Architecture, and Liturgy in the Dominican Nunneries in Castile during the Late Middle Ages: A World of diversitas and Peculiarities« (225–252), bestätigt. Beide stellen demnach den Erfolg des Anspruchs dominikanischer Individualität durch Humbert von Romans (General von 1254–1263) in Frage. Der Daseinsberechtigung der Dominikaner, der Predigt, widmet sich am Ende des zweiten Teils die Abhandlung von Anne Holloway, »Performance Management: Creating Order in Thirteenth-Century Dominican Preaching« (299–319). Erstaunlich ist, dass dem zentralen Anliegen des hl. Dominikus und seines »Ordo Praedicatorum« nur ein Beitrag zugewiesen wurde, während sich die übrigen, auch die des dritten Teils (»Consequences«), auf Normierung und Verrechtlichung, deren Erfolg oder Scheitern an verschiedenen diachronen Beispielen konzentrieren. Anne Holloway versucht sich an der Untersuchung der Stellung der Predigt im dominikanischen Selbstverständnis – ein unerfülltes Desiderat der Forschung, wie sie suggeriert (299f.). Zwei Kernaspekte prägten demnach die Kunst des Predigens: der Inhalt der Predigt und ihre Performanz, die artes praedicandi. Es ist nur ein Traktat dieses Namens aus den Anfängen des Ordens überliefert (aus dem Jahr 1266). Noch für den erwähnten Ordensgeneral Humbert kam die Fähigkeit gut zu predigen nicht von Gott, sondern aus dem Prediger selbst. Bei der Positionierung des neu gegründeten Predigerordens in den christlichen Kosmos der bestehenden Orden und in Abgrenzung zu den zeitgleich entstehenden Franziskanern mit vergleichbarer Zielsetzung in der Mitte des 13. Jahrhunderts war gerade die Idee der Predigt Zielscheibe der anderen (301–306). Hier bringt Holloway die Normierung ins Spiel, die durch die Regulierung des Predigers mittels Sammlungen »moralischer, ethischer und performativer Regeln« für die einheitliche Ausbildung der Brüder vorgenommen wurde (313ff.). Diese collectiones ersetzten in den Anfangsjahrzehnten der Dominikaner starre ›Handbücher‹ und stellten so die Grundlage für einen »flexiblen Weg der Predigtmodellierung« dar (319).

Somit ist als Ergebnis der Beiträge festzuhalten, dass eben diese Flexibilität der inneren Normenstrukturen des Dominikanerordens dessen Durchschlagkraft, Resilienz und Ausdauer begründet hat.

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Notes

* Cornelia Linde (Hg.), Making and Breaking the Rules. Discussion, Implementation, and Consequences of Dominican Legislation (Studies of the German Historical Institute London), Oxford: Oxford University Press 2018, 440 S., ISBN 978-0-19-880097-2