Iberian Worlds: imperial, vergleichend, global *

[Iberian Worlds: Imperial, Comparative, Global]

Thomas Duve Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main sekduve@rg.mpg.de

Seit gut drei Jahrzehnten hat Imperienforschung wieder Konjunktur. Die geopolitischen Rekonfigurationen nach 1989 und die Vorstellung, das postnationale Zeitalter wäre angebrochen, haben die Faszination für die Geschichten großräumiger Herrschaftsverbände wiederbelebt. Seitdem bemüht sich die ›Neue Imperiengeschichte‹ um vergleichende Perspektiven, entdeckt neue Akteure und Themen. Der scharfe Bruch zwischen Imperien und Nationen im 19. Jahrhundert wurde infrage gestellt, die Imperien zunehmend als offene Räume gesehen, Zirkulationen von Menschen und Objekten auch über die politischen Grenzen hinweg rekonstruiert, das Management kultureller Diversität untersucht. Imperien schienen plötzlich nicht mehr zur Dekadenz verdammt, ihre Langlebigkeit und Leistungsfähigkeit erstaunte. Postkoloniale Perspektiven und neue Raumvorstellungen hielten Einzug. Inzwischen überlagern sich Geschichten politischer Imperien mit räumlichen Kategorien wie den Ozeanen, besonders dem Atlantik und dem Pazifik, oder Hafenstädten, transimperialen Räumen, religiösen Imperien oder anderen Netzwerken. Die Grenzen zwischen einer solchen räumlich und konzeptionell offenen Imperiengeschichte einerseits und einer sich für politische Systeme und Herrschaftsformen öffnenden Globalgeschichte andererseits werden immer durchlässiger.

Trotz der fast allgegenwärtigen Bezugnahme auf legal pluralism als wichtiges Element der für viele Imperien geradezu konstitutiven governance von Diversität wird eher selten nach der Bedeutung des Rechts gefragt. Der von Duindam/Harries/Humfress/Hurvitz herausgegebene Band Law and Empire (2013), Jane Burbanks Arbeiten zum zaristischen Russland, Burbank/Coopers Empires in World History (2010) mit ihrer besonderen Aufmerksamkeit für Institutionen und Recht oder Legal Pluralism and Empires (2013), herausgeben von Benton/Ross, standen lange weitgehend allein. Die stark auf rechtshistorische Arbeiten aufbauende deutschsprachige Forschung zum Alten Reich, dessen Imperiumsqualität in der is it or isn’t it-Debatte umstritten ist, ist in diesen Diskussionen ohnehin praktisch unbekannt geblieben.

Die Distanz zum Recht hat sich mit dem nun proklamierten imperial turn in der Geschichte des‍‍‍ internationalen Rechts und einer zunehmenden Offenheit für die Bedeutung von Recht auch in anderen Disziplinen ein wenig verringert. Lauren Bentons und Lisa Fords Rage for Order (2016), Jennifer Pitts’ Boundaries of the International (2017) oder Martti Koskenniemi/Walter Rech/Manuel Jimenez Fonseca (Hg.), International Law and Empire (2016) sind nur drei Beispiele für recht unterschiedliche Zugänge zu einer Rechtsgeschichte von Imperien. Dass Benton/Ford und Pitts ihre Darstellungen fast ausschließlich als Geschichte imperialer Herrschaftspraktiken oder von Ideen der middle powers schreiben, verweist darauf, in welchem Maße Imperiengeschichte bis heute von| ihren Ursprüngen in der Geschichte des britischen Empire geprägt ist. Publikationen wie die von Nicholas Canny herausgegebene Oxford History of the British Empire (OUP 1998) haben Themen, Perspektiven, Periodisierungen und auch die Präferenz für das späte 18., das 19. und frühe 20. Jahrhundert gesetzt.

Die Geschichte der iberischen Imperien ist in der allgemeinen, überwiegend englischsprachigen und am Modell des britischen Empire entwickelten Historiographie nur wenig beachtet worden. Natürlich gibt es Ausnahmen: David Brading, John Elliott, Henry Kamen, Anthony Pagden, um nur die bekanntesten zu nennen. Doch die nicht-englischsprachige Forschung wurde im anglophonen Bereich kaum wahrgenommen. Das hat auch andere als sprachliche Gründe: Die iberischen Imperien erlebten ihren Höhepunkt in der frühen Neuzeit – aus der für die Globalgeschichte lange bestimmenden wirtschaftshistorischen Perspektive höchstens die Zeit der Proto-Globalisierung, nicht die der ›Verwandlung der Welt‹. Die iberische und ibero-amerikanische Historiographie haben zudem einige Zeit gebraucht, um sich von nationalen Prägungen zu emanzipieren, so dass Imperiengeschichte lange doch nur eine Vorgeschichte der Nationalstaatsbildung blieb. Solche Vorgeschichten wurden dann oft als Teil der nach modernen Kriterien definierten area studies nebeneinandergestellt, etwa unter dem Titel ›Geschichte Lateinamerikas‹. Die Geschichte der weit über die Kontinente reichenden frühneuzeitlichen iberischen Imperien wurde auf diese Weise neuzeitlich verzerrt, national zerlegt und regional wegsortiert. Da‍‍‍ die vor allem in den lateinamerikanischen communities dominierenden Sozial-, Lokal- und Wirtschaftsgeschichten dem Recht gegenüber nur begrenzt aufgeschlossen waren, blieb die rechtliche Dimension in der Geschichte der iberischen Imperien weitgehend auf die kleine Zahl der methodisch überwiegend von nationalstaatlich-legalistischen Paradigmen geprägten Gemeinschaft der Rechtshistoriker des Derecho indiano begrenzt.

Inzwischen ist hier einiges in Bewegung geraten. Nachdem in einer zunehmenden Zahl von rechtshistorischen Einzelstudien die iberischen Monarchien jenseits kontinentaler Grenzen zwischen Europa und Amerika als ein großer Raum begriffen worden sind – etwa in Tamar Herzogs Frontiers of Possession (2015) oder Cristina Nogueira da Silvas Constitucionalismo e Império (2009) –, werden vor allem in der Forschung zur portugiesischen Monarchie nun auch die amerikanischen, asiatischen, afrikanischen und europäischen Regionen zunehmend in ihrem Zusammenhang untersucht. Eine Revision auch der rechtshistorischen Forschung zu beiden Imperien ist im Gange, und die Bedeutung von Recht für die Konstruktion und Kontinuität der Imperien ist immer deutlicher geworden. Dass dabei ein Vergleich der Imperien, eine Gesamtschau auf die Iberian Worlds und eine Globalgeschichte der iberischen Monarchien komplementäre und letztlich konvergierende Zugänge sind, machen die drei hier schon wegen ihres Umfangs nur anzuzeigenden wichtigen Bücher der Jahre 2018, 2019 und 2020 deutlich.

Die gesamte frühneuzeitliche Epoche von den ersten Explorationen plus ultra bis zu den Unabhängigkeiten der hispanoamerikanischen Teile und der Verlagerung des Zentrums des portugiesischen Kaiserreichs nach Brasilien deckt das 700-seitige und 32 Kapitel umfassende Handbuch The‍‍‍ Iberian World: 1450–1820 ab, herausgegeben von einem spanischen, einem portugiesischen und einem in den USA lehrenden Historiker. Es beginnt mit den europäischen Teilen der Monarchie im 15. Jahrhundert, es folgen die Expansion zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert, der dritte Abschnitt ist dem 18. Jahrhundert gewidmet, der vierte dem Age of Revolutions bis 1820. Der Band folgt damit einer inzwischen überwiegend akzeptierten Chronologie. Das einleitend skizzierte ambitionierte Ziel, die Iberian Worlds in eine globale Perspektive zu setzen, dabei die transformative Erfahrung der Expansion auch für die beiden Königreiche zu sehen, Vergleich und entanglements, Struktur- und Akteursperspektiven zur Geltung zu‍‍‍ bringen sowie verschiedene historiographische Traditionen zu integrieren, hat sich in beeindruckendem Maß umsetzen lassen. Nicht zuletzt hat die rechtshistorische Forschung der letzten drei Jahrzehnte einen wichtigen Beitrag zu der neuen Bewertung der iberischen Imperien leisten können, der in vielen Kapiteln sehr deutlich wird. Am‍‍‍ Beginn geben Pedro Cardim, Antonio Feros und Gaetano Sabatini einen vergleichenden Überblick über die in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich veränderte Sicht auf die beiden Imperien und ihre polyzentrische, jurisdiktionelle, konsultative Struktur. Jean-Frédéric Schaub hebt die Bedeutung des ius commune und anderer Normenschichten als verbindendes Element zwischen Portugal und Spanien hervor. Allyson M. Poska und Kirsten Schultz zeigen in ihrem Beitrag zu Women and| gender: structures and roles (1400–1820) die Bedeutung des Rechts für die Herausbildung kultureller‍‍‍ Repräsentation, ähnlich auch James S. Amelang und Mercedes García-Arenal im Kapitel zu Religious conversion and identities in the Iberian peninsula. Ronnie Po-chia Hsia und Federico Palomo skizzieren den globalen Katholizismus auch mit Hinweisen auf die rechtliche Infrastruktur, Giuseppe Marcocci beschreibt die construction of global empires (1450–1650) ebenfalls im Rückgriff auf die Vorstellung einer polyzentrischen Monarchie. Ein stärker institutionengeschichtlicher Vergleich der Verwaltungsstrukturen (Pilar Ponce Leiva und Alexander Ponsen) und von Patterns of conquest (Stuart B. Schwartz) sowie die anderen Kapitel, in denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen im Mittelpunkt stehen, geben wichtige Hinweise auf Überblicksarbeiten und Spezialliteratur zu den verschiedenen historischen Räumen. Auch die intensive Forschung der letzten beiden Jahrzehnte zum 18. Jahrhundert und den Revolutionen ist in den entsprechenden Kapiteln hervorragend aufgearbeitet. Das Kapitel Portugal and Spain under the newly established liberal regimes, geschrieben von António M. Hespanha und José M. Portillo, spiegelt die Neubewertung des in den letzten Jahren – nach dem Abschluss der Revision zur Geschichte der independencias – stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückten 19. Jahrhunderts.

Der von Ângela Barreto Xavier, Federico Palomo und Roberta Stumpf herausgegebene, zum Teil‍‍‍ in spanischer und zum Teil in portugiesischer Sprache verfasste Sammelband zu den iberischen Monarchien in vergleichender Perspektive (16.–18. Jahrhundert) liest sich wie eine Vertiefung vieler in dem Überblickswerk zur Iberian World angesprochenen rechtshistorischen Aspekte der Imperiengeschichte. Auch wenn der Band vergleichend angelegt ist, so zeigen viele Beiträge immer wieder die Austauschprozesse, den Transfer und die Zirkulation von Regelungsregimen innerhalb und zwischen den beiden iberischen Monarchien. Deren Union zwischen 1580 und 1640 war natürlich ein Katalysator für diese Verflechtungen; doch es war eine asymmetrische Union, die eben nicht zwei homogene Gebilde verband, sondern ihrerseits von der Spannung zwischen Zentralisierung und Partikularisierung gekennzeichnete, intern höchst heterogene Herrschaftsverbünde. Deswegen werden auch die Territorialität und deren rechtliche Dimensionen an den Beginn des Bandes gestellt (Pedro Cardim und António M. Hespanha), begleitet von hervorragenden Überblicken zum Kirchenpatronat in der spanischen und portugiesischen Monarchie (Ignasi Fernández Terricabras; Ângela Barreto Xavier, Fernanda Olival). In den drei folgenden Teilen werden – der jurisdiktionellen Grundstruktur der Monarchien entsprechend – die weltliche, die kirchliche und die Jurisdiktion des Militärs behandelt. Auch hier kommen ausnahmslos ausgewiesene Expertinnen und Experten zum Zuge: María Victoria López-Cordón Cortezo, Michel Bertrand, Pilar Ponce Leiva, Ana de Zaballa Beascoechea, um nur einige zu nennen. Ein historisch-institutioneller Überblick über die Herrschaftspraktiken in der spanischen und portugiesischen Monarchie, die Sonderordnungen für die indigenen Völker, die Wirtschaftsverwaltung und eine vergleichende Perspektive auf Justiz und Verwaltung decken zentrale Felder imperialen Herrschens ab. Zwei ausführliche Studien zur institutionellen Ordnung des Militärs geben einen Einblick in diese zu wenig beachtete Sphäre frühneuzeitlicher Staatlichkeit. Zwei stärker institutionsgeschichtliche und eine auf die Dynamiken der Missionsgebiete konzentrierte Darstellung schließen den Band ab. Die fast‍‍‍ 80-seitige Gesamtbibliografie gibt dem Werk Handbuchcharakter. Natürlich lassen sich die Ergebnisse des Vergleichs in so verschiedenen Bereichen nicht zusammenfassen. In ihrer Einleitung betonen die Herausgeberinnen und der Herausgeber allerdings, dass trotz der unterschiedlichen politisch-institutionellen Konfigurationen der beiden Monarchien die Spannung zwischen Partikularismus und Zentralisierung sich letztlich im 18. Jahrhundert in eine zunehmende Tendenz der Zentralisierung aufgelöst habe. Zugleich weisen sie auf die unterschiedlichen Institutionalisierungen hin. Dabei lässt sich gerade nicht ein europäisches von einem nichteuropäischen Modell unterscheiden, sondern eine Pluralität von Ausgestaltungen intra wie auch extra territorium. Ein behutsamer Vergleich der beiden Monarchien muss also, so zeigt der Band, keineswegs interne Vielfalt unsichtbar machen – im Gegenteil.

Das macht auf beeindruckende Weise auch das dritte anzuzeigende Buch deutlich: das (auch im open access verfügbare) Iberian World Empires and the Globalization of Europe 1415–1668 des lange Zeit am EUI, inzwischen wieder in Spanien lehrenden Historikers Bartolomé Yun-Casalilla. Es handelt sich um nichts weniger als eine Geschichte der| iberischen Imperien zwischen 1415 und 1668 in globaler Perspektive. Auch Yun-Casalilla wendet sich gegen das verbreitete Bild des exceptionalism der iberischen Monarchien, gegen die inhärente Teleologie vieler Analysen, gegen die Sicht auf die iberischen Imperien als dysfunktionale Systeme. Der globalgeschichtliche Ansatz bedeutet bei ihm eine Emanzipation von bestimmten historiographischen Deutungsmustern; zugleich nutzt er ihn dafür, die Geschichte der iberischen Imperien in ihrer Verflochtenheit und im Kontext des Eintritts neuer Akteure in Politik und Handel zu begreifen. Aus rechtshistorischer Perspektive ist seine Darstellung auch deswegen bemerkenswert, weil er sie in kontinuierlicher kritischer Auseinandersetzung mit der Neuen Institutionenökonomik verfasst hat. Er betont die Rolle informeller Institutionen, nicht zuletzt normativer Vorstellungen. Mit dem Steuersystem und dem Militär nehmen zentrale Bereiche frühneuzeitlicher Staatlichkeit und Ressourcenverwendung einen großen Raum in seiner Darstellung ein. Er kombiniert hier die seit längerer Zeit intensive Forschung zu imperialer Herrschaft als Aushandlungsprozess sowie Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte mit einer besonderen Aufmerksamkeit für das Funktionieren von Institutionen im Spannungsfeld zwischen Zentralisierung und Autonomie. Zugleich zeigt er die Bedeutung sozialgeschichtlicher Faktoren, von Eliten, Netzwerken und Familienbeziehungen, eben auch informeller Institutionen, für das Funktionieren dieser politischen Ökonomie. Gerade für den Fall der zusammengesetzten oder polyzentrischen Monarchien führt dieser weite Blick zu einem erheblich differenzierteren Bild imperialer Dynamiken. Die iberischen Monarchien werden so‍‍‍ nicht mehr als Ruinen eines überkommenen Feudalismus angesehen, der zum Scheitern verurteilt war. Sie erscheinen jedenfalls für das 16. und 17.‍‍‍ Jahrhundert als – für die Opfer der Expansion zerstörerische, katastrophal wirkende – leistungsfähige politisch-soziale Gebilde, die erstaunliches Wirtschaftswachstum und weitgehende politische und soziale Stabilität möglich machten. Erst als neue Imperien in den Wettbewerb um Märkte und politischen Einfluss eintraten, änderte sich dies. Nicht zuletzt in den von ihnen selbst vorbereiteten globalen Wirtschafts- und Kommunikationsstrukturen konnten sich die iberischen Imperien nicht mehr behaupten.

Notes

* Fernando Bouza, Pedro Cardim, Antonio Feros (Hg.), The Iberian World: 1450–1820, New York: Routledge 2020, 712 S., ISBN 978-1-138-92101-6; Ângela Barreto Xavier, Federico Palomo, Roberta Stumpf (Hg.), Monarquias Ibéricas em Perspectiva Comparada (Sécs. XVI–XVIII). Dinâmicas Imperiais e Circulação de Modelos Administrativos, Lisboa: Imprensa de Ciências Sociais 2018, 676 S., ISBN 978-972-671-508-5; Bartolomé Yun-Casalilla, Iberian World Empires and the Globalization of Europe 1415–1668, Singapore: Palgrave Macmillan 2019, 520 S., ISBN 978-981-13-0832-1