Personae, res, actiones – diese Ordnungskategorien aus der römischen Antike haben die Rechtsgeschichte geprägt. Jahrhundertelang bemühten sich Juristen darum, durch Rückgriff auf römisches Recht, kirchliches Recht und partikulare Rechte verschiedene Formen der asymmetrischen Abhängigkeit rechtlich zu erfassen, zu rechtfertigen – und manchmal auch zu kritisieren. Sie konstruierten Rechte von Menschen und über Menschen. Konnten in der Frühen Neuzeit und Moderne europäische Juristen deswegen bereits auf ein breites diskursives Feld zurückgreifen, so übersetzten sie dieses Wissen in der europäischen Expansion in für sie neue Realitäten. Sie trafen auf indigene Regelungsstrukturen; sie ersetzten oder assimilierten, was sie vorfanden, mit dem, was sie kannten. Sie gaben Praktiken einen Namen, und sie entwarfen juristische Begründungen zur Gestaltung und Legitimation von asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnissen. Das bekannteste Element solcher komplexer dependency regimes ist die Sklaverei.
Doch was bedeutete es rechtlich, wenn Menschen als Sklaven leben mussten? Drei Aufsätze in diesem Band widmen sich der Rechtsgeschichte von Sklaverei in Früher Neuzeit und Moderne. Carlo Bersani rekonstruiert den europäischen juristischen Diskurs zu servi und personae zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, mit besonderer Aufmerksamkeit für die koloniale Dimension dieser Geschichte in den iberischen Imperien. Mit solchem Rechtswissen arbeitete man in der Praxis. Matilde Cazzola blickt auf die Jahrzehnte der Abschaffung der Sklaverei und auf das Britische Imperium, insbesondere auf die Karibik, gerade aus den Perspektiven der politischen und der lokalen Praxis. Auch sie zeigt, wie Recht dazu eingesetzt wurde, Formen der Abhängigkeit zu schaffen und anzupassen – auch nach dem angeblichen Ende der Sklaverei. Tamar Herzog analysiert schließlich einige Aspekte der bis heute maßgeblich von der atlantischen Geschichte geprägten Historiographie zur Rechtsgeschichte der Sklaverei. Sie gibt zu bedenken, ob asymmetrische Abhängigkeitsverhältnisse wie die der Versklavung tatsächlich allein der Exklusion dienten – und ob die Exklusion nicht gerade darin bestand, dass man den versklavten Menschen das Recht verwehrte, Eigentum zu haben.
Nicht mit dem Recht der Sklaverei, aber mit der Form, in der Juristen traditionelle Wissensbestände in ihre Zeit übersetzten und damit auch koloniale Realitäten im Lateinamerika des 16. Jahrhunderts zu erfassen versuchten, beschäftigt sich der Aufsatz von Christiane Birr zu Gregorio López. Dessen vielgenutzte Edition und Glossierung der mittelalterlichen Siete Partidas diente, ungeachtet ihres gelehrten Charakters, eminent praktischen Zwecken. Durch Edition und Kommentierung aktualisierte López die Tradition, passte sie an und gab durch Rückgriff auf scheinbar altes Wissen Antworten auf neue Probleme. Auf ganz andere, lange Zeit unbeachtete Quellen der Rechtsgeschichte Lateinamerikas weisen Paola Revilla Orías und Pablo Quisbert Condori hin. Sie führen in die lokalen Archive indigener Gemeinschaften in Bolivien, letztlich in das Normativitätswissen dieser Gemeinschaften ein. Der Plurinationale Staat Bolivien, so die offizielle Bezeichnung, erkennt dieses nicht-staatliche Recht an, so dass die Rechtsgeschichte eine unmittelbare Bedeutung für die Gegenwart bekommen hat. Auch deswegen, so betonen die beiden in Bolivien lebenden Autoren, müssen auch andere als die europäisch-kolonialen Rechtsvorstellungen und historiographischen Praktiken verstanden werden. Hier zeigt sich ganz praktisch, dass sich die Globalrechtsgeschichte für andere Quellen, andere epistemische Praktiken und andere als die etablierten, der westlichen Moderne entstammenden Grundbegriffe öffnen muss. Neben den vielzitierten Rechtspluralismus muss, so überlegen wir am mpilhlt auch in weiteren Projekten zur Rechtsgeschichte indigener Völker, wohl auch ein epistemischer Pluralismus treten.
Nur scheinbar weit entfernt von diesen Themen ist der Beitrag von Tobias Schenk zum frühneuzeitlichen Reichshofrat. Denn auch Schenk fragt danach, inwieweit unser rechtshistorischer Blick noch immer vom Paradigma der Staatlichkeit geprägt ist, und in welche großen, von dieser Vorstellung der westlichen Moderne geprägte Erzählungen wir unsere Einzeluntersuchungen zu den Höchstgerichten des Alten Reichs unverändert einschreiben. Er plausibilisiert sein eindrucksvolles Plädoyer für eine globalhistorische, organisationssoziologische, praxeologische und wissensgeschichtliche Analyse anhand von ausgewählten |Beispielen und macht auf der Grundlage seiner jahrelangen Archivstudien zum Reichshofrat damit zugleich auf die Notwendigkeit aufmerksam, die Quellenbasis über die herkömmlicherweise für eine rechtshistorische Analyse herangezogenen Dokumente hinaus zu erweitern. Andrew James Harding legt schließlich eine Fallstudie zum Rechtstransfer in der Welt des common law vor, den Fall der Six Widows vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Sechs Witwen meldeten sich nach dem Tod eines wohlhabenden Kaufmanns in Singapur bei den Autoritäten der britischen Straits Settlements als Erbinnen. Das warf nicht nur Fragen zum chinesischen Gewohnheitsrecht auf, sondern auch dazu, wie sich das englische Recht zu einer in sich wiederum gestuften Polygamie stellte. Harding sieht in der Entscheidung des Falls ein Beispiel eines erfolgreichen legal transplant und will damit einen Kontrapunkt zu den langanhaltenden Debatten in der Rechtsvergleichung setzen, ob legal transplants nun möglich oder unmöglich sind.
Auch im Rezensionsteil spiegeln sich, wie im Aufsatzteil, die Forschungsfelder des mpilhlt, nicht zuletzt aber die inzwischen geradezu unüberschaubare Vielfalt der Rechtsgeschichte wider. Es geht um Neuerscheinungen zum Prozess gegen Jesus, um jüdische Rechtsgeschichte, um Gerichtsprivilegien, um imperiale und koloniale Rechtsgeschichten und auch um Sklaverei. Um wichtige Bücher zur Kodifikationsgeschichte, zur Verfassungsgeschichte, zur Geschichte des Internationalen Rechts und des Rechts der EU, und um Debatten zum Zusammenhang von Geschichte und Theorie des Rechts bis in die Gegenwart.
Zwei Marginalien schließen den Band ab. Auch sie stehen in engem Zusammenhang zu Themen, die wir am mpilhlt erforschen: Paul Kahn kommentiert kritisch ein Kapitel zum multicultural state aus der in diesem Jahr publizierten Cambridge History of Latin American Law in Global Perspective; Erk Volkmar Heyen schreibt über Treppen als Schauplätze geschlechtsspezifischer Verherrlichung und Verurteilung, und öffnet den Blick für die Rechtsästhetik. Mit seiner Marginalie war die Entscheidung gefallen, welches Motiv wir für die Bildstrecke der gedruckten Ausgabe auswählen: Treppen in allerlei Gestalt, die aus verschiedenen Epochen und Weltregionen stammen.