Acht und Bann à la islandaise*

[Excommunication and Outlawry à la islandaise]

Albrecht Cordes Goethe-Universität Frankfurt am Main cordes@jur.uni-frankfurt.de

Wie soll man zwischen Geschichte und Geschichten unterscheiden? Aus methodischen Gründen ist das nie einfach, doch die isländischen Sagas erschweren mit ihren spannenden Erzählungen die Differenzierung noch zusätzlich. Gehören die Geschichten aus dem schlanken, seinerseits gut erzählten Buch von Elizabeth Walgenbach zur Literatur- oder zur Geschichtswissenschaft? Die Autorin weist den Leser immer wieder in die richtige Richtung: Wenn einzelne Episoden auch nicht historisch verbürgt sein mögen, steht doch die Geisteshaltung, aus der heraus sie im 13. Jahrhundert erzählt worden sind, als historisches Faktum fest. So fließen in die spannende Geschichte (Fallstudie in Kapitel 4), in der der machtbewusste Bischof dem weltlichen Herrn, der ihm ins Amt verholfen hat, die Stirn bietet, Elemente ein, die dem in Island sofort mehrfach literarisch verarbeiteten Murder in the Cathedral von 1170, also der Auseinandersetzung zwischen Thomas Beckett und König Heinrich II., entstammen.

Das begrenzt die Reichweite der zentralen Aussage des Buchs. Mit Präzision und Überzeugungskraft führt die Autorin vor, wie sehr Ächtung und Exkommunikation einander ähneln, wie sie eher Waffen im Kampf zwischen exkommunizierendem Bischof und ächtendem weltlichem Richter bzw. Machthaber sind als echte Sanktionen für individuelles Fehlverhalten, und wie man sich von beidem durch Pilgerfahrten und Herrschergnade wieder befreien kann. Aber ein Saga-Schreiber mit dem Anspruch, eine spannende Geschichte zu erzählen, und mit Sympathie für die Seite des Bischofs ist kein verlässlicher Zeuge dafür, dass ›wirklich‹ das kanonische Recht das weltliche isländische Recht der Ächtung beeinflusst hat, sondern nur dafür, dass das durch seine Brille so aussah. Doch auch dies ist eine wertvolle Aussage über die rechtlichen Vorstellungen einer Person des 13. Jahrhunderts – und zwar einer Person von großem historischem Gewicht. Denn der Autor der Íslendinga saga, um die es hier geht, Sturla Þórðarson, hat ebenso wie sein noch berühmterer Onkel Snorri Sturluson nicht nur Sagas, sondern auch Rechtstexte verfasst.

Nach wie vor fasziniert das Island der ›Freistaatszeit‹, also der Epoche vor dem Anschluss der Insel an die norwegische Krone im Jahre 1262; nach wie vor gibt es kaum einen historischen Gegenstand, der sich so gut als Projektionsfläche für altnordische, archaische, heroische, romantische und andere Konzepte eignet. Das Etikett »germanisch« ist nach 1945 allmählich aus der Mode gekommen, aber vieles von dem, was Konrad Maurer und Andreas Heusler im 19. Jahrhundert damit gemeint haben – nämlich die urtümlich-autochthone, von fremden Einflüssen freie und ohne herrschaftlichen Druck entstandene |Gesellschafts- und Rechtsordnung – lebt unter dem Titel »altnordisch« und in amerikanischen Büchern mit einprägsamen Titeln wie »Bloodtaking and Peacemaking« oder »Courage« (William Ian Miller, 1997 und 2002) weiter. In jüngerer Zeit schwang das Pendel weit in die andere Richtung, als Hans Henning Hoff in seiner Dissertation (Hafliði Másson und die Einflüsse des römischen Rechts in der Grágás, 2012) in diesem wichtigsten frühen isländischen Gesetz überall römisches Recht entdeckte, was ganz auf der Linie seines Lehrers Hermann Nehlsen lag. Zu dieser die fremden Einflüsse betonenden Richtung gehört auch das Buch von Elizabeth Walgenbach, das wegen der sorgfältigen Quellenarbeit und nicht zuletzt wegen des Lesevergnügens auch denjenigen ans Herz gelegt werden kann, die wie der Rezensent die Originalzitate mangels eigener Sprachkenntnisse überspringen müssen. Ob das Pendel demnächst wieder zurückschwingt und Forscher wieder stärker nach dem spezifisch Isländischen im frühen isländischen Recht suchen, wird sich zeigen.

Es gab nach der Erzähllogik der Sagas aus Exkommunikation und Verbannung immer noch einen Weg zurück zur Versöhnung. Der hartgesottene Feind des oben gemeinten Bischofs Guðmundr, Kolbeinn, mächtigster Fürst im Norden Islands, soll, obwohl exkommuniziert, auf dem Totenbett doch noch seinen Frieden mit Gott gemacht und sogar noch Zeit gefunden haben, die Hymne heyr himna smiður – Höre, himmlischer Schmied – zu dichten, die man schön vertont auf YouTube anhören kann.

Notes

* Elizabeth Walgenbach, Excommunication and Outlawry in the Legal World of Medieval Iceland (The Northern World 92), Leiden/Boston: Brill 2021, XII + 178 S., ISBN 978-90-04-46091-1