Die ausgezeichnete Studie von Jeannette Kamp untersucht den Zusammenhang zwischen weiblicher Kriminalität, Strafjustiz und Stadt für die frühneuzeitliche Reichsstadt Frankfurt am Main. Damit reiht sie sich ein in aktuelle historische Forschungen zu Kriminalität und Geschlecht in Städten, die insbesondere den Anteil von Frauen an der strafgerichtlich verfolgten Kriminalität untersuchen. Zentral ist folglich die Frage, ob aus dem städtischen Kontext eine eher niedrige weibliche Kriminalitätsrate – im frühneuzeitlichen Frankfurt rund 22 Prozent – und typische Muster weiblicher Delinquenz resultierten, die durch unterschiedliche sozioökonomische, rechtliche und institutionelle Bedingungen der vormodernen Stadt geprägt waren. Auf der Basis einer hervorragenden Kenntnis der internationalen Forschungsdiskussion wie der spezifischeren stadtgeschichtlichen Literatur präsentiert Jeannette Kamp ein überzeugendes Forschungsdesign, das etablierte Konzepte und Methoden der historischen Kriminalitäts- und Genderforschung nutzt: Kriminalität wird als Ergebnis sozioökonomischer Faktoren, Normen, Diskurse und konkreter Zuschreibungsprozesse konzipiert und die korrespondierenden gender patterns herausgearbeitet. Dies wird mit einem geschlechter- und sozialgeschichtlichen Ansatz verknüpft, der Frauen nicht nur als »Opfer« patriarchalischer Strafjustiz begreift, sondern auch nach der legal agency von Frauen und Optionen/Strategien von Justiznutzung fragt. Im Unterschied zu älteren Studien misst die Autorin aber auch den normativen und institutionellen Rahmenbedingungen eine hohe Bedeutung bei, legt einen weiten historischen Begriff von Strafrecht (inklusive der kommunalen Ordnungsgesetze und der juridischen Diskurse) zugrunde und konzipiert Strafjustiz als Teil eines Systems formeller und informeller Sozialkontrolle der vormodernen Stadt. Folgerichtig wertet Jeannette Kamp daher nicht nur die reichhaltig überlieferten Kriminalakten (Criminalia) der vom Rat ausgeübten höheren Strafgerichtsbarkeit aus, sondern bezieht auch Quellen der untergeordneten Justizinstitutionen (Sendamt/Konsistorium) und der städtischen Verwaltung mit ein. Die Quellen werden sehr reflektiert und kritisch mit einer quantifizierenden Methodik im Hinblick auf generelle und langfristige Wandlungsprozesse ausgewertet und mit qualitativen Analysen überzeugend ausgewählter Fallbeispiele verknüpft.
Die Fallstudie ist systematisch aufgebaut und stringent durchgeführt: Auf die Forschungsstand, Fragestellungen, Quellen, Methoden und Vorgehen darlegende Einleitung folgt eine kenntnisreiche Darstellung der grundlegenden Strukturen von Strafrecht, Justiz/Verwaltung und des sozioökonomischen Gefüges der frühneuzeitlichen Reichsstadt (Kapitel 2). Daran schließt sich eine erste allgemeine empirische Analyse der Kriminalitätsmuster an (Kapitel 3), die die »gendered patterns of crime« im zeitlichen Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts herausarbeitet. Diese wird in drei weiteren empirischen Kapiteln vertieft, die Formen weiblicher Devianz/Kriminalität für die charakteristischen Bereiche von Eigentumsdelinquenz und »offenem Haus« (Kapitel 4), Ehe und Sexualität (Kapitel 5) und (illegitimer) Mobilität/Migration untersuchen. Jeannette Kamp arbeitet anhand der Sozialprofile der »Täterinnen« den sozioökonomischen Kontext weiblicher Kriminalität im urbanen Raum bestechend heraus und belegt, dass die von unterschiedlichen Institutionen verfolgten und sanktionierten »Verbrechen« aus den prekären Lebensumständen und den Überlebensstrategien von Frauen resultierten. Diese waren jedenfalls im |frühneuzeitlichen Frankfurt durch die Zugehörigkeit zu unteren sozialen Schichten, eine hohe Mobilität und ein eher jüngeres Lebensalter unverheirateter Frauen, aber auch durch (begrenzte) Unabhängigkeit und Selbständigkeit im Sinne geringerer Einbindung in soziale-familiäre Netzwerke geprägt: »The social profile of female offenders strengthens the observation that women’s crimes in early modern Frankfurt were to a large degree shaped by their precarious socio-economic position« (278). Dabei spielten gerade hinsichtlich Arbeitsmigration und Mobilität Geschlechterstereotypen eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur erwünschten Arbeitsmigration von Gesellen wurde weibliche Mobilität mit sexueller Devianz, Ungehorsam und Streben nach Unabhängigkeit (von Kontrolle) assoziiert und als Bedrohung der patriarchalich-christlichen Ordnung wahrgenommen bzw. verfolgt. Dies gilt ebenso für Eigentumsdelikte im »offenen Haus« bzw. Haushalten der Reichsstadt, die insbesondere Dienstbotinnen zugeschrieben wurden.
Bei den »moral« bzw. »sexual offences« belegt die Autorin ebenfalls, dass über Geschlechterstereotypen und Verfolgung hinaus sowohl auf Seiten der Obrigkeit als auch der betroffenen unverheirateten Frauen (mit illegitimen Kindern) »sozialpolitische« und finanzielle Gründe sowie die Justiznutzungsstrategien und außergerichtliche Konfliktregulierung eine wesentliche Rolle spielten und eine vergleichsweise hohe weibliche Kriminalitätsrate bedingten: »the high number of cases of illegitimacy brought before the Konsistorium were the result of both strict control by the authorities, who tried to prevent any type of extra-judicial settlements, and the uses of justice by offenders themselves« (202). Frauen konnten sogar zur Selbstanzeige greifen, um über das Strafverfahren Druck auf Männer auszuüben und dadurch finanzielle Kompensationen für gebrochene Eheversprechen oder Unterhalt für außereheliche Kinder zu erwirken. Abgewogen wertet Jeannette Kamp dies jedoch nicht als »Bündnis«, sondern partielle Interessensidentität von Obrigkeit und Frauen, wobei letztere Justiz im Rahmen ihrer »legal agency« nutzten: »women found ways to accommodate the patriarchal ideologies and adapt them to their own needs, and instrumentally used the interest of the authorities that sought to maintain this order« (283), so das Fazit.
Jeannette Kamp vermeidet folglich dichotomische Deutungen und betont Verschränkung und Zusammenspiel von formeller und informeller Sozialkontrolle bzw. Strafjustiz und außergerichtlichen, infrajustiziellen Praktiken sowie von Strafe und Konfliktregulierung. Als ein wichtiges Ergebnis – das Frankfurt auch von anderen europäischen Städten unterscheidet – hebt die Autorin Pluralität, funktionale Differenzierung und Komplementarität der Institutionen der höheren und niederen Strafgerichtsbarkeit hervor. Sie bildeten nicht nur eine wesentliche Bedingung der »gegenderten« Zuschreibung und Verfolgung devianten bzw. kriminellen Verhaltens, sondern auch der infrajustiziellen Regulierung von Konflikten und der agency bzw. Justiznutzung von Frauen (und Männern). Überzeugend erklärt Jeannette Kamp Muster und Wandlungsprozesse von Geschlecht und Kriminalität in Frankfurt nicht allein aus Unterschieden von Stadt und Land, sondern als Produkt einer starken Verschränkung einer funktional differenzierten Justiz mit informeller Kontrolle im Rahmen der patriarchalischen Haushalte, die zutreffend als »integral part in the mechanism of control to maintain public order« (282) charakterisiert werden.
In der abschließenden vergleichenden Einbettung der Ergebnisse und Deutungen (Kapitel 7) kann Jeannette Kamp zahlreiche Übereinstimmungen Frankfurts mit anderen Städten aufzeigen, die charakteristische Geschlechterstereotypen männlicher und weiblicher Devianz/Kriminalität, den prekären, verwundbaren sozialen Status, aber auch Justiznutzung und (limitierte) legal agency von Frauen betreffen. Den in Frankfurt vergleichsweise niedrigeren Anteil weiblicher Kriminalität in den meisten (aber keineswegs allen) Deliktbereichen deutet die Autorin im Unterschied zu anderen Städten bzw. Studien nicht nur als Ergebnis der Exklusion von Frauen aus dem öffentlichen Leben und ihrer Beschränkung auf die »private Sphäre« (die das Haus nicht war). Zutreffend sieht sie vielmehr eine wesentliche Differenz in den stärker verdichteten wie differenzierteren Formen strafrechtlicher und informeller Sozialkontrolle: »societies with stronger institutions exercising (informal) social control portray different and lower patterns of female criminality« (277).
Allerdings bleibt der Vergleich teilweise punktuell und auf die jeweiligen empirischen Kapitel beschränkt, in denen auf der Basis der Forschungsliteratur Amsterdam und London sowie gelegentlich einzelne Städte im frühneuzeitlichen Reich als Beispiele herangezogen werden. Im Fazit weist |Jeannette Kamp auch bei den »future pespectives« (284f.) darauf hin, dass es letztlich an einer Typologie mangelt, die einen systematischeren und allgemeineren Vergleich von Kriminalität, Geschlecht und Sozialkontrolle in der frühneuzeitlichen (europäischen) Stadt erlaubt hätte. Bei den betonten institutionellen Unterschieden der Systeme von Strafjustiz und sozialer Kontrolle hätte zudem die für die Reichsstadt Frankfurt wichtige verfassungsrechtlich-politische Dimension (Rolle des Rates, des Patriziats, Konflikte in der Bürgerschaft) ausführlicher diskutiert werden können. Insgesamt bietet die luzide und klar formulierte Fallstudie jedoch auf einer elaborierten Methodik beruhende, reichhaltige empirische Ergebnisse, die zu überzeugenden Analysen und Deutungen verdichtet werden. Insbesondere die Herausarbeitung der funktionalen Differenzierung des Systems der Strafjustiz und seiner Verschränkung mit informeller Sozialkontrolle, die auch Justiznutzung und legal agency von Frauen ermöglichten, bietet für eine an Geschlecht und Justiz interessierte Rechtsgeschichte weiterführende konzeptionelle Anregungen.
* Jeannette Kamp, Crime, Gender and Social Control in Early Modern Frankfurt am Main (Crime and City in History 3), Leiden/Boston: Brill 2020, 335 S., ISBN 978-90-04-38844-4