Rätsellösende Rechtsvergleicher*innen?*

[Puzzle-Solving Comparative Law Scholars?]

Christoph Resch Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, Frankfurt am Main resch@lhlt.mpg.de

Balázs Fekete erzählt mit seinem Werk eine Geschichte der Rechtsvergleichung in Europa von der Mitte des 19. bis ins 21. Jahrhundert durch die Brille der von Thomas S. Kuhn entwickelten Theorie der Paradigmenwechsel. Das Buch hat eine Entstehungsgeschichte von fast 20 Jahren und beruht auf einer ursprünglich 2009 fertiggestellten und 2011 in Ungarn publizierten Dissertation.

Fekete wählt für seine Darstellung bewusst eine mittlere (mezzo) Perspektive, zwischen bereits existierenden Universalgeschichten und sehr detaillierten Studien, die sich beispielsweise auf einzelne Autoren beschränken. Ein generelles Defizit attestiert er der vorhandenen Literatur in Bezug auf deren Festhalten an linear progressiven Erzählungen (2). Dem sucht er eine neue Perspektive entgegenzusetzen, indem er die von Kuhn entwickelte Geschichtstheorie auf die Rechtsvergleichung anpasst, um dadurch eine qualitativ andere Erzählung der Geschichte der Rechtsvergleichung zu ermöglichen (10). Er sieht – wie Kuhn – die Wissenschaftsgeschichte durch revolutionäre Brüche und darauf folgende Perioden der Ausdifferenzierung durch die Wissenschaftscommunity, der Normalwissenschaft, gekennzeichnet (14–15). Fekete passt das Kuhn’sche Vokabular auf die Rechtsvergleichung an. So fasst er etwa das Paradigma als institutionalisierte akademische Community, die eine starke Präferenz für eine bestimmte Methode habe (27). »Krise« beschreibt dann einen Zustand, in dem Anomalien nicht mehr innerhalb des bestehenden Paradigmas zufriedenstellend erklärt werden können, was zu einem Paradigmenwechsel (zumindest in Teilen der Community) führt (29).

Fekete sieht das erste Paradigma in der historischen und vergleichenden Rechtswissenschaft. Er geht zunächst auch auf die sog. vorparadigmatische Zeit ein. Seit dem 17. Jahrhundert hätten sich etwa Leibniz, Montesquieu, Vico und später Feuerbach vergleichender Methoden bedient. Dennoch könne aufgrund der Heterogenität der Vorgehensweisen nicht von einem Paradigma gesprochen werden (31–39). Henry Sumner Maine habe in seinem Werk Ancient Law die historische mit der vergleichenden Methode verschmolzen, um die Entwicklung des Rechts aus dessen Geschichte zu verstehen. Er habe, vom Positivismus beeinflusst, die Rechtswissenschaft zu einer »wirklichen Wissenschaft« machen wollen, womit die Ablehnung aller a priori konstruierten Naturrechtssätze einhergegangen sei (44–46). Sein Nachfolger an der Universität Oxford, Sir Frederick Pollock, habe Maines Methode schließlich weiter ausdifferenziert und das erste Paradigma als solches formuliert. Er habe gezeigt, dass die historische und die vergleichende Methode, da beide induktiv und positivistisch, nicht vollständig voneinander zu trennen seien. Als (empirische) Wissenschaften könnten sie jedoch sauber von der Philosophie abgegrenzt werden (47–48). In Deutschland sieht Fekete Joseph Kohler als Hauptvertreter des ersten Paradigmas (55–59). Der Pariser Kongress von 1900 kennzeichne den Paradigmenwechsel hin zum sog. droit comparé. Raymond Saleilles Vortrag habe die Defizite der Privatrechtswissenschaft bzgl. ihrer Anschlussfähigkeit an die Sozialwissenschaften offengelegt. Er habe vorgeschlagen, mehr Rechtsvergleichung zu betreiben (69), deren Rolle es als autonomes Forschungsfeld sei, relative Idealtypen rechtlicher Institutionen (droit idéal relatif) zu definieren (72–73). Edouard Lambert sei dafür eingetreten, die Rechtsvergleichung auf das kontinentaleuropäische Privatrecht zu beschränken, um die temporären Unterschiede zwischen bereits sehr ähnlichen Rechtsordnungen durch ein droit commun législatif zu überwinden (75–77). Das zweite Paradigma könne so beschrieben werden, dass Rechtsvergleichung praktische und brauchbare Antworten auf Unterschiede der einzelnen Rechtsordnungen geben (und diese überwinden helfen) solle (79). Fekete sieht Ernst Rabel mit dessen funktionaler Methode als Hauptvertreter dieses Paradigmas auf deutscher Seite, während er in England Harold Coke Gutteridge diese Rolle zuschreibt (85–93).

Der sich nach dem Zweiten Weltkrieg abzeichnende Blockgegensatz und das Aufkommen von |Rechtsordnungen sozialistischer und sowjetischer Prägung hätten das Paradigma des droit comparé in eine Krise gestürzt. Diese Rechtsordnungen hätten sich nämlich mit dem vorhandenen Methodenbesteck, welches auf die Konvergenz ähnlicher Rechtsordnungen ausgerichtet war, nicht handhaben lassen (97–99, 137–138). Als Folge sieht Fekete die daran anschließende Diskussion über die Taxonomien verschiedener Rechtsfamilien bzw. -traditionen (99–115) und geht im Weiteren auf die (Weiter-)Entwicklung der funktionalen Methode durch Konrad Zweigert ein (116–127). Die Untersuchung schließt mit einer Diskussion, ob die Rechtsvergleichung bereits einen weiteren Paradigmenwechsel erlebt habe bzw. ein solcher durch die Betonung von legal cultures in der neueren Forschung bevorstünde, was Fekete verneint (161–163).

Fekete möchte mit seinem Buch nicht nur die Geschichte der modernen Rechtsvergleichung in Europa erzählen, sondern auch zeigen, dass diese Geschichte aus der Perspektive der (durch ihn modifizierten) Kuhn’schen Theorie besser verstanden werden kann. Die historische Darstellung ist sehr informativ und anschaulich. Besonders ansprechend ist die Zeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg geschildert. In der Folgezeit geht der Autor sehr selektiv vor und arbeitet sich etwa durch die Einzelheiten verschiedener Taxonomien. Dies passt sich jedoch gut in sein Gesamtkonzept ein. Die Geschichte der Rechtsvergleichung mit Hilfe der von Kuhn entwickelten Theorie der paradigm shifts zu erzählen, eröffnet eine neue Perspektive auf die Materie. Fekete wendet die von ihm modifizierte Kuhn’sche Theorie folgerichtig an. Sein Anspruch war es jedoch auch, in Anlehnung an Kuhn zu zeigen, dass Wissenschaft auch in der Rechtsvergleichung als Normalwissenschaft durch die Wissenschaftscommunity und nicht nur durch wenige berühmte Vertreter der Zunft vorangetrieben wird. Auf diese puzzle-solving research oder das Lösen von Rätseln kommt Fekete zwar hin und wieder zu sprechen. Nach den rätsellösenden Rechtsvergleicher*innen sucht man jedoch zum Teil vergeblich. Fekete hängt den Begriff der puzzle-solving research weitestgehend an den großen Namen der Rechtsvergleichung wie etwa Lambert oder Zweigert auf. Interessant wäre es gewesen, anhand von Beispielen aufzuzeigen, inwieweit die Wissenschaftscommunity mit konkreten Fragestellungen innerhalb der einzelnen Paradigmen unterschiedlich umgegangen ist.

Insgesamt eine überzeugende Darstellung der Geschichte der modernen europäischen Rechtsvergleichung, vor allem, wenn man eine Abhandlung sucht, deren Schwerpunkt auf der Geschichte der Methoden bzw. Konzepte der Rechtsvergleichung liegt. Des Weiteren eignet sich das Buch hervorragend, um ein Anwendungsbeispiel einer modifizierten Kuhn’schen Theorie auf eine Geisteswissenschaft zu studieren und die Fallstricke kennenzulernen, die sich dabei stellen.

Notes

* Balázs Fekete, Paradigms in Modern European Comparative Law – A History, Oxford: Hart 2021, XIV + 203 S., ISBN 978-1-5099-4692-1