Die Geschichte des Humanitarismus bildet zweifellos eines der Forschungsfelder, das in den letzten Jahren – gerade auch im Bereich der internationalen Geschichte – intensiv und mit großem Ertrag bearbeitet wurde. Zahlreiche Studien sind entstanden, die sich mit den verschiedenen Motiven für und Formen von humanitärem Handeln sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert auseinandersetzen. Ein besonderes Augenmerk richtet sich dabei verstärkt auf den kolonialen und imperialen Raum, in dem paternalistisch-zivilisierende und humanitäre Ziele häufig zu einer wirkmächtigen Einheit verschmolzen, mit weitreichenden Folgen für die nationale wie internationale Politik. Die 2021 in der Reihe Critical Perspectives on Empire bei Cambridge University Press erschienene Monographie »Protecting the Empire’s Humanity: Thomas Hodgkin and British Colonial Activism 1830–1870« von Zoë Laidlaw lässt sich in dieser prosperierenden Forschungslandschaft verorten. Die australische Historikerin, die an der University of Melbourne britische Geschichte lehrt, widmet sich in ihrem Buch der Rolle von Thomas Hodgkin und der von ihm mitgegründeten Aborigines’ Protection Society beim Schutz indigener Bevölkerungen in den britischen Kolonien in Australien, Kanada, Neuseeland und Südafrika um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die koloniale Siedlerexpansion in den 1830er und 1840er Jahren bedeutete für die indigene Bevölkerung gerade in diesen Teilen des Empire eine massive Bedrohung, was Hodgkin und seine Mitstreiter*innen dazu veranlasste, sich für die Belange und Rechte der indigenen Untertanen des britischen Kolonialreichs aktiv einzusetzen.
Als Hauptquellenbestand dient der Autorin der in der Wellcome Library in London aufbewahrte persönliche Nachlass von Hodgkin. Als Mitglied der Religionsgemeinschaft der Quäker, als renommierter Arzt und Wissenschaftler sowie als prominenter humanitärer Aktivist verfügte er über ein beachtliches Netzwerk, das mit entsprechend reichhaltiger Korrespondenz zu verschiedensten Akteur*innen im Empire und darüber hinaus einherging (3–9). Den äußerst ambivalenten Charakter seines humanitären Handelns im kolonialen Kontext macht Laidlaw gleich zu Beginn ihrer Einleitung deutlich:
»Via Thomas Hodgkin and the Aborigines’ Protection Society, I offer a new perspective on those critical decades, examining both the extent to which British campaigners had any success in defending indigenous rights and the degree to which their construction of a ›civilized‹ indigenous subject actually contributed to indigenous dispossession and disintegration.« (2)
Diese Form des humanitären Aktivismus kritisierte somit die unerwünschten Auswüchse des britischen Kolonialismus, während sie gleichzeitig die paternalistische Zivilisierungsmission des viktorianischen Großbritanniens befürwortete bzw. förderte. Methodisch bedient sich die Autorin also eines biographischen Zugriffs, um mit Hilfe der zentralen Figur Hodgkins kritisch auszuleuchten, wie sich ein »imperial humanitarianism« (2) herausbildete. Auf diese Weise sollen, so die Autorin, miteinander verwobene Diskurse über britische Vorstellungen von Humanität, Zivilisation, Religion, Kolonisation und der Gewährung von indigenen Rechten offengelegt werden (8).
Das Buch, bestehend aus insgesamt zehn Kapiteln, gliedert sich in zwei ausgewogene Hauptteile. Der erste trägt den Titel »Mapping Humanitarianism« (29–172) und zielt darauf ab, die britischen Kampagnen unter Führung von Hodgkin und der Aborigines’ Protection Society im größeren Kon|text eines entstehenden britischen »imperial humanitarianism« zu kontextualisieren. Laidlaw betont die besondere Bedeutung des von 1835 bis 1837 vom Unterhaus eingerichteten Select Committee on Aborigines, das entscheidend dazu beitrug, die britischen Eliten gegenüber den Belangen indigener Untertanen zu sensibilisieren. Letztlich führte dies unter anderem zur Gründung der Aborigines’ Protection Society unter maßgeblicher Federführung von Hodgkin im Jahr 1837 (31–60). In diesem Zusammenhang betont die Verfasserin die Bedeutung des Wirkens Hodgkins als Arzt und Wissenschaftler für seine Rolle als Aktivist, denn gerade seine wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen der Geographie, Ethnologie und Medizin hätten ihn bezüglich humanitärer Belange ganz wesentlich geprägt (61–98). Zudem kann die Autorin überzeugend zeigen, wie stark sich Hodgkin insgesamt für zentrale humanitäre Fragen seiner Zeit interessierte und engagierte, wie z.B. im Rahmen der von britischen und US-amerikanischen Abolitionisten forcierten Projekte, um befreite Sklaven zu Kolonialisierung Westafrikas dort anzusiedeln (99–136).
Im zweiten Hauptteil mit dem Titel »Humanitarianism and Settler Colonialism« (173–323) setzt sich Laidlaw dann mit den Kampagnen von Hodgkin und der Aborigines’ Protection Society im Zeitraum von 1837 bis 1866 konkret auseinander, mit denen sie versuchten, die Rechte der indigenen Bevölkerung in verschiedenen Teilen des British Empire zu fördern und zu schützen. Auch hier spielten die weitverzweigten persönlichen Netzwerke von Hodgkin eine zentrale Rolle, wie die umfangreiche Korrespondenz deutlich macht. Die Autorin diskutiert ausführlich, wie die Aktivist*innen Konzepte von »civilization«, »amalgamation«, »protection«, und »rights« verstanden und für ihre Ziele einsetzten. Sie schildert zunächst, wie der expandierende Siedlerkolonialismus in den 1830er und 1840er Jahren zu einer existentiellen Bedrohung für indigene Bevölkerungen wurde und sich die Aborigines’ Protection Society dieses Problems im gesamten Empire anzunehmen begann (175–205). In den folgenden Kapiteln geht Laidlaw dann detailliert auf die Arbeit der Aborigines’ Protection Society anhand der Fallbeispiele in den britischen Kolonien Australien, Kanada, Neuseeland und Südafrika ein (206–323). Es gelingt ihr dabei anschaulich die Widersprüchlichkeit der Organisation offen zu legen, die einerseits für die Rechte der Indigenen eintrat, sich anderseits aber mit dem Siedlungskolonialismus arrangierte und vermeintliche Zivilisierungsvorhaben dezidiert unterstützte.
In ihrem Buch diskutiert Laidlaw sehr kenntnisreich mit Hilfe der Person Hodgkin eine ganze Reihe relevanter Fragen zum Verhältnis von Kolonialismus, Imperialismus und Humanitarismus im British Empire um die Mitte des 19. Jahrhunderts. So facettenreich und aufschlussreich die Person Hodgkin und sein persönlicher Nachlass auch sein mögen, grundsätzlich hätte sich der Leser doch eine kritische Reflexion über die methodischen Herausforderungen einer sehr stark biographisch ausgerichteten Herangehensweise gewünscht. Stellenweise irritiert auch die fehlende kritische Distanz der Autorin zu ihrem Untersuchungsgegenstand: Abschließend schreibt Laidlaw gar von einer »proximity« zu ihrer Hauptfigur (325). Das Buch dreht sich so stark um diese Person und ist so deutlich und ausschließlich im britischen Kontext verortet, dass unweigerlich die Frage aufkommt, welche Initiativen und Vorstellungen zum Schutz indigener Bevölkerung es jenseits von Hodgkin und dem Empire gab. Eine erweiterte internationale Perspektive über den Tellerrand der Person Hodgkin und dem Empire hinaus – und sei es nur in Ansätzen – hätte der Aussagekraft des Buches zu einem wichtigen Thema in der Geschichte des Humanitarismus mehr Gewicht verliehen. Trotz dieser kritischen Einwände ist »Protecting the Empire’s Humanity« ein wichtiger Beitrag zur Erforschung des »imperial humanitarianism« im Kontext des britischen Kolonialreichs im 19. Jahrhundert. Die Studie verdeutlicht erneut, wie eng Kolonialismus, Imperialismus und Humanitarismus letztlich zusammenhingen bzw. dass sie eine unheilvolle Allianz bildeten.
* Zoë Laidlaw, Protecting the Empire’s Humanity: Thomas Hodgkin and British Colonial Activism 1830–1870, Cambridge: Cambridge University Press 2021, XIII + 374 S., ISBN 978-1-108-16465-8