Rule of Law im kolonialen Afrika?*

[Rule of Law in Colonial Africa?]

Winner Ijeoma Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, Frankfurt am Main ijeoma@lhlt.mpg.de

Michael Lobban ist Professor für Rechtsgeschichte an der London School of Economics and Political Science und forscht insbesondere zum 18. und 19. Jahrhundert. Im zu besprechenden Band nimmt er sich eines besonderen Aspekts der Geschichte des britischen Empires an: den Inhaftierungen ohne vorausgehende Gerichtsverfahren in den afrikanischen Kolonien. Jede der behandelten Regionen wird ausführlich in den historischen und geografischen Kontext gestellt, was nicht nur Wissenschaftlern der afrikanischen Rechtsgeschichte ermöglicht, die Zusammenhän|ge besser zu verstehen. Auch für Leser ohne juristischen oder historischen Hintergrund ist die Lektüre verständlich, da Lobbans Schreibstil eingängig und unkompliziert ist.

Im frühen 19. Jahrhundert, als Großbritannien begann, formelle Kolonien in afrikanischen Gebieten zu gründen, wurden afrikanische Führer, die sich den britischen Mächten widersetzten oder den Imperialismus anderweitig ablehnten, ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Die Kette von Ereignissen, die zu solchen Inhaftierungen führten, wird in diesem Buch detailliert dargestellt. Lobban untersucht, wie die Ausdehnung des britischen Empires durch eine Reihe von Rechtsinstanzen erreicht wurde, und welche Rolle der afrikanische Widerstand dabei spielte.

Vor dem Hintergrund der imperialen Expansion beschreibt der Autor, wie rechtliche Befugnisse in den britischen Kolonien die Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren ermöglichten und regelten. Dabei befasst er sich mit den Missständen in den britischen Kolonien und ordnet die Inhaftierungen in den Zusammenhang mit der Geschichte der Protektorate, den imperialen Ambitionen, Aufständen und dem Kriegsrecht auf Grundlage von Archivalien ein.

Lobbans Analyse zeigt, dass die Inhaftierung afrikanischer Führer, die sich gegen das Empire auflehnten, eines von vielen imperialen Instrumenten war, mit denen die Briten das koloniale Projekt vorantrieben und die Hegemonie in Afrika erlangten. Seine Untersuchung zeigt die widersprüchliche Handlungsweise des Imperiums vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert auf. Gleich zu Beginn geht er darauf ein, wie die Untertanen des Empire, denen eine politische Stimme verweigert wurde, gezwungen wurden, sich an das zu halten, was als »ein rationales, modernes und gleichberechtigtes Rechtssystem«1 bezeichnet wurde. Die Rechtsstaatlichkeit und der Habeas Corpus Act wurden im britischen Empire theoretisch hochgehalten, doch der Autor kommt in seiner Analyse zu dem Schluss, dass sich die Briten in Bezug auf die afrikanischen Territorien nicht an diese Grundsätze hielten. Diese Thematik steht im Mittelpunkt des Buches, ebenso wie Unklarheiten in der Rechtsprechung, die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in den Kolonien ermöglichten.

Lobbans neun Kapitel umfassende Analyse zeigt auf, wie die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit – im Sinne von A.V.Dicey – in den verschiedenen afrikanischen Regionen (nicht) umgesetzt wurden. Von Kapitel zu Kapitel wird deutlicher, dass diese Prinzipien aufgrund von »Rassenunterschieden« und geografischen Grenzen für die imperialen Untertanen nicht griffen. Einfach ausgedrückt: Der Schutz durch das Gewohnheitsrecht wurde vor allem den weißen Untertanen garantiert. Im Fall der Kapkolonie zum Beispiel, wo eine liberale politische und juristische Kultur herrschte, zeigt sich, dass die Strafverfolgung zwar in Form von ad-hominem-Haftgesetzen erfolgte, dass das Kriegsrechtsregime des Staates es aber dem imperialen Staat ermöglichte, auf Verfahren und Schutzmaßnahmen zu verzichten, die normalerweise in einem Prozess vorgesehen waren. Hauptgrund dafür war das Bestreben, die lokalen afrikanischen Führer zu entmachten und die britische Hegemonie aufrechtzuerhalten.

In anderen Teilen Afrikas, z.B. in Natal, sahen sich die Zulu-Häuptlinge mit einem weiteren Mechanismus der imperialen Kontrolle konfrontiert, nämlich der indirekten Herrschaft durch lokale, von den Briten ernannte Häuptlinge. Lobban arbeitet akribisch heraus, wie zugunsten der Kolonialbehörden eine Form des lokalen Gewohnheitsrechts erfunden und zur Durchsetzung der kolonialen Autorität über die Afrikaner eingesetzt wurde.

Er verfolgt dabei besonders die Frage, welche Rolle dem imperialen Gedanken bei der Umsetzung der Unterwerfungsmaßnahmen zukam. Dabei stellt er fest, dass die Angst vor dem Verlust von Macht und Hegemonie über afrikanische Gebiete den Kern der imperialen Überlegungen bildete, als die Kolonialmächte Methoden entwickelten, um den afrikanischen Widerstand gegen die Fremdherrschaft einzudämmen und die Untertanen daran zu hindern, ihre in der Magna Carta verbrieften Rechte in Anspruch zu nehmen. Lobban lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auch auf die Macht der Semantik, die zur Unterstützung der imperialen Expansion eingesetzt wurde. Die Bemühungen der afrikanischen Führer, die Souveränität über ihre Territorien zu bewahren oder sich von der Fremdherrschaft zu befreien, wurden als »rebel|lisch« bezeichnet – ein Begriff mit negativer Konnotation.

In bestimmten Regionen, wie z.B. Natal, wo solche Bestrebungen nach dem damaligen Gewohnheitsrecht nicht als Verbrechen galten, fanden die Kolonialbehörden Mittel und Wege, diese Hürde zu umgehen, indem sie einheimische Tribunale zur Legalisierung ihrer Urteile gegenüber den Afrikanern einsetzten. In Lobbans Analyse zu Westafrika wird die britische imperialistische Agenda noch deutlicher. Selbst wenn eine Inhaftierung im Rahmen eines Habeas-Corpus-Antrags angefochten werden konnte, hing der Erfolg des Einspruchs vom Ansehen des Inhaftierten ab – also von den Werten der weißen Briten in der Metropole.

Ein zentrales Thema des Buchs ist das Muster der wiederkehrenden Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, selbst in Fällen, in denen die Inhaftierung ad hominem als Rechtfertigung genutzt wurde. Zugleich nahm das britische Außenministerium in Fällen der Verhaftung von afrikanischen Führern oder Personen, die sich ihren Befugnissen widersetzten, eine Laissez-faire-Haltung ein.

Es wäre interessant gewesen, wenn das Buch die kolonialen Hinterlassenschaften und die verschiedenen Versionen des Imperialismus, denen die behandelten Regionen ausgesetzt waren, näher beleuchtet hätte. Dies gilt insbesondere für die auch von Lobban untersuchten Regionen Süd- und Südostnigeria, eine der letzten kolonialen »Eroberungen« Europas. Die Briten kamen nicht unvorbereitet in die Region, sondern mit den Erfahrungen, die sie bei früheren Kolonialbesetzungen gesammelt hatten. Dieser Aspekt sowie das Streben der Briten nach wirtschaftlichem Monopol und ihre Vorstellungen von Recht und Ordnung, hinterließen in Westafrika ein Vermächtnis, das sowohl für die britischen Kolonisten als auch für die afrikanischen Akteure zu ausgeprägten Einschränkungen führte.

Lobban schließt seine so lesenswerte wie umfassende Darstellung der verschiedenen Regionen ab, indem er ein übergreifendes Element klar hervorhebt: nämlich dass die Durchsetzung der britischen Macht und die Beseitigung aller gegnerischen Strukturen oder Personen Vorrang vor der Einhaltung des Geistes des Common Law und der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit hatten.

Notes

* Michael Lobban, Imperial Incarceration. Detention without Trial in the Making of British Colonial Africa, Cambridge: Cambridge University Press 2021, XII + 450 S., ISBN 978-1-316-51912-7

1 Übersetzungen ins Deutsche hier und im Folgenden von der Rezensentin.