Ein Buch mit einem solchen Titel erweckt natürlich das Interesse des Mediävisten mit rechtshistorischen Fragestellungen. Und, wie es sich gehört, beginnt man mit der Lektüre am Anfang des Buches. Hier findet sich eine Karte »High Medieval Europe c. 1100« (xiv–xv), die einen schockiert zurücklässt: Straßburg findet man irgendwo in Burgund, Bamberg weitab östlich vom Obermain und Forchheim bei Augsburg, Hersfeld ist an der Ortslage von Frankfurt am Main, Worms südlich von Köln am Rhein, und Köln selbst sowie Aachen, Lüttich und Brügge sind rechtsrheinisch und vom Fluss entfernt eingetragen, Hamburg liegt in Holstein weitab von Elbe und Nordsee, das Weserkloster Corvey befindet sich in Niederlothringen. Nahezu alle Orte sind falsch zugewiesen (Orléans westlich von Paris statt südlich, Compiègne in der Normandie, Prag in Polen unweit von Gnesen, vermutlich ist Posen gemeint).
Von diesen geographischen Unstimmigkeiten leicht betrübt, wendet sich der Rezensent dem Text zu. Der Verfasser stellt einleitend die entscheidende, aber nicht neue Frage, wie man dem nahe kommen könnte, was die Zeitgenossen über das Königtum dachten, und wie wir ein Verständnis für das Zusammenspiel von Norm und Praxis gewinnen können (11). So will er sich auf das »interplay between rulers and ruled« konzentrieren, zumal die persönlichen Ansichten eines Königs diesbzgl. schwer zu ergründen seien (12). Nach einem Exkurs über die Kategorisierung der schriftlichen Quellenüberlieferung und der darin gründenden Problematik, was als Norm, was als Praxis und was als Idealvorstellung anzusprechen sei, zieht Weiler einen Bogen in die politische Gegenwart. Ähnlichkeiten und Parallelen zu heutigen Zeiten dürften nicht über die Ferne des Mittelalters hinwegtäuschen, auch wenn die Echos der Vergangenheit zu hören seien (21).
Das Buch gliedert sich dann in fünf Teile. Es geht um die »Grundlagen«, die »Schaffung des Königtums« (»Creating Kingship«), die »Nachfolge«, die »Wahl« und die »Inauguration«.1 Der Untersuchungszeitraum – von 950 bis 1200 – macht bei dieser Einteilung neugierig, denn jene Periode sei »pivotal in the development of that political |culture«, in der die Macht von Königen innegehabt worden sei. In diesen zweieinhalb Jahrhunderten habe sich in politischen Systemen die Sitte verbreitet, dass Herrscher im lateinischen Westen sich als Könige titulierten bzw. von anderen so genannt wurden (1f.). Mithin geht es auch um das Phänomen, das der Münchner Mediävist Rudolf Schieffer 2013 unter dem Titel Christianisierung und Reichsbildungen für den Zeitraum 700–1200 erörtert hat2 – überraschenderweise fehlt dieses Buch in Weilers Bibliographie und auch in den Anmerkungen, obgleich er sehr zahlreich deutschsprachige Literatur rezipiert hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Böswillig wäre es jedenfalls, eine Konkordanz beider Werke zu erstellen, denn bei gleichen Quellen sowie eigenen und fremden Forschungsvorarbeiten ist es durchaus möglich, auf ähnlichen Wegen zu neuen Einsichten zu gelangen.
In der Einführung zum ersten Abschnitt benennt der Verfasser die prägenden Rahmenbedingungen seines Vorhabens: die Konkurrenz zu Byzanz, die Rolle des Christentums und der einhergehenden Latinisierung (auch des Wissens), das Entstehen politischer Strukturen in neugebildeten Königreichen und ihrer Regierungspraxis, der Wandel in den Wirtschaftsformen und das Hinzukommen beteiligter Akteure an der Herrschaft (25–38). Daran anschließend folgen die »grundlegenden Texte« (39–63), die »Bibel, die Klassiker und die Kirchenväter« und die »mittelalterlichen Leser«, worunter die Zielgruppen der zeitgenössischen Autoren verstanden werden.
Der zweite Abschnitt »Creating Kingship« (65–115) versammelt in zwei Kapiteln (»Becoming King« und »Conferring Kingship«) Überlegungen zu den Stichworten »framework, place and players«, was so von der bisherigen Forschung nicht berücksichtigt worden sei (65). Weiler konzentriert sich unter der Überschrift »The Emergence of Kingship« (67–77) auf die jüngeren Königreiche in Europa seit der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert, die Anliegerländer des ehemaligen Frankenreiches bzw. von Byzanz, behandelt dann eingehender den Akt von Gnesen und den Herrschaftsantritt Rogers von Sizilien jeweils anhand der Quellen wie der Forschung. Die »Übertragung der Königswürde« (95–115) wird unter dem Aspekt der Akteure (»Päpste, Kaiser und mächtige Nachbarn« sowie »Höflinge, Adlige und Bischöfe«), folglich einer Trennung zwischen Innen und Außen, untersucht.
Im dritten Abschnitt (117–225) geht es um die Regelung der Nachfolge als notwendige Konsequenz eines stabilen Königtums im Gegensatz zu einer einmaligen Episode sowie die damit verbundenen »norms and expectations« mit einem transeuropäischen Blickwinkel (117). Begonnen wird mit dem Herrschaftsübergang von Konrad I. auf Heinrich I. als ostfränkisch-deutsche Könige im Dezember 918 und dessen Folgen (121–124). Die Funktion von »Memoria, Kontinuität und Frieden« und von »Krise, Eignung und Recht« werden wieder anhand der jüngeren europäischen Königtümer mit Rekursen auf das genannte ostfränkische Exempel erläutert (124–143), wie auch die »Nachfolge als moralischer Prozess« in Polen um die Jahrtausendwende (143–150). Dass die Normen zur Disposition stehen konnten, wird am Beispiel Heinrichs I. von England im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts erläutert (150–159). Einen Einfluss hätten auch die Leute um den König sowohl vor als auch nach dessen Tod gehabt (160–164).
Das zweite Kapitel dieses dritten Abschnittes handelt von der Designation eines Nachfolgers (165–225), »succession was a process, not an event« (165). Folgerichtig geht es um »das Versprechen der guten Herrschaft« (166–177) bei Designation und Krönung noch zu Lebzeiten des Vaters und das »Training for Kingship« (177–195) bzw. die Erziehung zum Ritter und die Verheiratung des Designatus (195–213), wobei der weite Blick auf die lateinischen Königreiche Europas gerichtet ist. Eine Ausnahmesituation stellte hingegen die »Deathbed Designation« dar (213–225), für die Weiler diachrone und Räume übergreifende Beispiele anführt, wobei er auch Wünsche oder Anweisungen für die Nachfolge im Angesicht des Todes berücksichtigt und auch sonst den Begriff gedehnt auslegt. Er folgert: »There also was no certainty that a favoured successor would indeed be chosen by the great men of the realm.« (225) Warum Friedrich I. hier als Beispiel für die Verweigerung der Großen, seinen Wunschkandidaten zu |wählen, herangezogen wird, bleibt dem Rezensenten schleierhaft, denn Designation, Wahl und Krönung des minderjährigen Sohnes, Heinrichs VI., fanden im Jahre 1169 statt und dieser trat dann auch 21 Jahre später ohne Probleme die Nachfolge Barbarossas an.
Der »Wahl« ist der vierte Abschnitt (227–302) gewidmet und beginnt mit einem Statement: »There could be no king who had not been chosen by the people« (227). Auch hier werden einige europäische Beispiele, vor allem aus dem deutschen Bereich, angeführt und die zeitgenössischen Debatten über eine rechtmäßige – zumeist als einstimmig verstandene – Wahl und über die Eignung des Thronfolgers nachvollzogen (233–258). Der Satz »Elections were both essential and elusive« (259) leitet das zweite Kapitel (»Choosing a King«, 259–302) des Abschnittes ein. Auch hier beziehen sich die Exempel auf denselben politisch-geographischen Raum im Untersuchungszeitraum, und es überwiegen die Quellen zum ›deutschen‹ Reich. Die westfränkisch-französischen Beispiele sind hier die durch Wahl entschiedene Konkurrenz zwischen dem Karolinger Karl von Lothringen und Hugo Capet im Jahre 987 zugunsten des Letzteren (283 und 293) sowie die Wahl Philipps I., des Sohnes Heinrichs I., zum Mitkönig im Jahre 1059 (285).
Der fünfte Abschnitt (303–398) beschäftigt sich mit der Amtseinführung und zeichnet ein Panorama anhand der bereits vom Verfasser eingeführten Königreiche, Quellen und Forschungen. In einem eigenen Kapitel zum »Sakralkönigtum« (338–346) geht er von der in jüngerer Zeit geäußerten Kritik an dem Forschungsterminus aus (Ivo Engels, Johanna Dale) und kommt zu folgendem Schluss: »Sacrality ultimately meant that the right order of the realm was preserved. It did not set the king apart from his people, but reinforced the bonds between them« (345f.). Kursorisch streift er den Investiturstreit und die Frage nach der Königssalbung, empfiehlt, »den Quellen zu folgen«, ohne sie freilich anzuführen, und bietet stattdessen eine beliebige Reihung von Forschungsnachweisen (344, Anm. 164), um sich dann der Anthropologie zuzuwenden. Dass Marc Bloch im Literaturverzeichnis unberücksichtigt bleibt, überrascht daher nicht, zumal dem französischen Königtum im gesamten Buch eine geringe Rolle zukommt.
Da keiner der fünf Abschnitte eine geeignete Zusammenfassung bietet, ist man auf Weilers Conclusio (399–411) gespannt. Doch man wird enttäuscht, denn nichts Neues wird geliefert, es bleibt bei Plattitüden (»Paths to kingship were therefore not the ruler’s alone to tread. His relatives, teachers and followers guided him along the way«, 401; »King-making could take several years«, 403; »Because it created a framework, not a template, high medieval thinking about power could easily accommodate with change«, 405; »Anyone holding power would be held accountable for his actions before God«, 408; und so fort). Am Ende der Zusammenfassung betont der Verfasser die Vernetzung der hochmittelalterlichen lateinischen Welt in Europa, den Austausch von Waren, Ideen und Diskursen sowie die Frage nach Norm und Praxis im Allgemeinen: »Now that we have a better sense of the extent to which kingship was a transeuropean phenomenon, we can begin to place it in a broader global content.« (411, letzter Satz des Buches). Eine Idee, ein Vorschlag? Angesichts der zahlreichen bereits erschienenen Arbeiten zu der Thematik bleibt ein etwas verwirrter Rezensent zurück, zumal das oben genannte Buch von Schieffer, das immerhin acht Jahre zuvor erschienen ist, viele der Gedanken bereits ausgebreitet hatte.3
So bestätigt sich leider der Eindruck, den die eingangs erwähnte Karte hinterlassen hat: materialreich, aber ohne nötige kontrollierende Übersicht zusammengestellt. Zumindest ist der Ort St. Andrews in Schottland korrekt eingetragen, dessen Bischof zweimal erwähnt wird (318 und 329). Hier befindet sich die Alma Mater des Verfassers. Vielleicht hätte auch München eingetragen werden sollen, aber das gab es um 1100 noch nicht, wohl aber um 1200.
* Björn Weiler, Paths to Kingship in Medieval Latin Europe, c. 950–1200, New York: Cambridge University Press 2021, 300 S., ISBN 987-1-316-51842-7
1 Übersetzungen ins Deutsche hier und im Folgenden vom Rezensenten.
2 Rudolf Schieffer, Christianisierung und Reichsbildungen. Europa 700–1200 (C.H. Beck Geschichte Europas), München 2013.
3 Schieffer (Fn. 2) 309, die bessere Karte ebenda 310–311 und in Länge ausgeführt 312–324.