Der schwierige Zugang zum Richterrecht des Bundesverfassungsgerichts

[The Difficult Approach to the Judge-Made Law of the German Constitutional Court]

Rainer Wahl Albert-Ludwigs-Universität Freiburg rainer.wahl@jura.uni-freiburg.de

»Kann man die Geschichte der Bundesrepublik ohne ihre Verfassungsgeschichte schreiben?« Mit dieser nur scheinbar harmlosen Frage begann Dieter Grimm vor einigen Jahren seine Beschäftigung mit dem Thema, das jetzt in sein Buch »Die Historiker und die Verfassung« mündete. Entstanden ist ein ausführliches Nachdenken darüber, welchen Stellenwert die Verfassung und vor allem ihre Entwicklungen im Laufe der Jahre für die geschichtliche Entwicklung der Bundesrepublik haben. Grimm versteht das Grundgesetz und die Verfassungsrechtsprechung als relevante Faktoren in diesem Prozess. Die wesentliche und systematische Frage, die Grimm weiterhin stellt, lautet: Gehören Verfassung und Recht in eine Reihe mit Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, an denen die Allgemeine Geschichte heute nicht mehr vorbeigehen kann? Oder gehören sie in die lange Reihe von Spezialgeschichten? Dieter Grimm lässt dies in der Einleitung seines Buches offen, aber es ist naheliegend: Er hätte das Buch nicht geschrieben, wenn er die Verfassung und ihre Geschichte nicht als strukturbedeutsam verstehen würde. Wenn aber die Allgemeine Geschichte auch die wichtigsten Ereignisse der Verfassungsgeschichte enthalten soll, muss es für die Autoren der Zeitgeschichte möglich sein, die wichtigsten Bestandteile und Ergebnisse der Verfassung zu erfassen und in den allgemeinen Gang der Entwicklung zu integrieren. Dies ist keineswegs eine triviale oder leicht zu erfüllende Anforderung. Davon ist im Weiteren die Rede.

1. Wie nahe sich die Allgemeine Geschichte und die Verfassungsgeschichte sind, steht nicht ein für alle Mal fest. Die Rahmenbedingungen für eine intensive Zusammenarbeit waren etwa im 19. Jahrhundert anders und günstiger als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damals bestand ein bedeutender Teil der Innenpolitik in den Auseinandersetzungen um das Ob und das Wie einer Verfassung; Verfassungskonflikte traten allenthalben auf und waren die intensivsten innenpolitischen Kämpfe. Nicht umsonst hat man das 19. Jahrhundert ein juristisches Jahrhundert genannt (Franz Schnabel). In einer Darstellung der Allgemeinen Geschichte und der Verfassungsgeschichte hätte man sehr große Überschneidungen feststellen können. Das heißt zugleich: Im 19. Jahrhundert waren sich Geschichtswissenschaft und Verfassungsrecht in Sprache, Problemsicht und Verständnis viel näher als heute, vieles war gemeinsam (und es gab ein gemeinsames wissenschaftliches »Dach«, die gesamte Staatswissenschaft). Die Verfassungsfragen galten als zentraler Teil der geschichtlichen Entwicklung. Deshalb war es auch selbstverständlich, dass Historiker sich mit Verfassungsfragen und der Entwicklung der Verfassung beschäftigten.

Heute, nach der langen Erfolgsgeschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit, treffen die Historiker auf die Folgen der häufig zitierten Sentenz von Rudolf Smend. Er konstatierte schon im Jahr 1962: Das Grundgesetz gilt nunmehr praktisch so, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt. Damit hat sich zwischen die Verfassung und die Historiker die breite Schicht des Richterrechts des Verfassungsgerichts gelegt. Mit diesem Richterrecht, nicht in erster Linie mit den Formulierungen der Verfassung, müssen sich die Historiker auseinandersetzen, wenn sie die Entwicklung der Bundesrepublik nachzeichnen wollen. Das heißt aber nichts anderes, als dass sich die Historiker nicht mehr mit den oft pathetischen, in der Sprache der Politik formulierten Artikeln der Verfassungen, sondern mit dem sehr umfangreichen Korpus der Entscheidungen der Verfassungsgerichte (bisher über 160 Bände) befassen müssten, wenn sie den Gang der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik nachzeichnen und bewerten wollten. Zugleich treffen sie damit auf eine hoch professionalisierte Spezialsprache und Begrifflichkeit, in der sich die juristische Denkweise ausdrückt. Die Zugangshürden für Fachfremde sind beträchtlich gewachsen.

Einen Vorteil hat die heutige Situation: Die große Menge von Entscheidungen ist Fallrecht. Sie behandeln Lebenssachverhalte. Jedenfalls in den Meilensteinen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts tauchen Meilensteine der Entwicklung der Bundesrepublik auf. Die wichtigen Entscheidungen enthalten in ihren Sachverhaltsschilderungen und in ihren konkreten Abwägungen sehr viel für Historiker relevantes Material. |Deshalb sind die Entscheidungssammlungen eine wahre Fundgrube, sie sind ungehobene Schätze.

2. Alles weitere, nämlich die Chancen und Schwierigkeiten für Historiker bei der Lektüre von umfangreichen grundlegenden Urteilen, möchte ich am Beispiel, an dem Beispiel der Geschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit und des Verfassungsrechts nach 1949 illustrieren. Natürlich hat es auch Dieter Grimm in seinem Buch behandelt. Es geht um das Lüth-Urteil vom 15. Januar 1958 (BVerfGE 7,198), das hier aber nur unter dem Aspekt der Schwierigkeiten des Zugangs zum Urteil für Historiker behandelt wird. Bei der Frage, wie Historiker zu einem so vielfältig differenzierten und folgenreichen Urteil Zugang erhalten können, ist nämlich zu differenzieren. Jeder Fall hat zunächst einen realen Sachverhalt, bestimmte Ereignisse zum Gegenstand und das Urteil beurteilt den Sachverhalt unter juristischen Kategorien und anhand von Begriffen, die häufig seit Längerem anerkannt sind, die sich aber auch ändern können. Der reale Sachverhalt ist üblicherweise und zumal auch beim Lüth-Urteil für die Geschichtsschreibung unschwer zu erkennen und zu deuten. Die Sachverhalte in den 160 Bänden Entscheidungssammlungen stellen generell gesehen eines der umfangreichsten Register der politischen Ereignisse der Bundesrepublik dar (die Gründe dafür sind die breiten Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts und die Klagefreudigkeit der politischen Kräfte sowie der Bürgerinnen und Bürger).

Das Urteil hat einen für die Zeitgeschichte äußerst relevanten Gegenstand, nämlich die vergangenheitspolitischen Auseinandersetzungen im Jahrzehnt nach 1945. Der Anknüpfungspunkt ist das weitere berufliche Schaffen des recht prominent-berüchtigten Regisseurs Veit Harlan, des Regisseurs des schlimmsten Hetzfilms der Nazizeit, Jud Süß. Harlan hat auch nach 1945 weiter Filme gedreht und aufführen lassen, meist bloße Unterhaltungsfilme. Gegen deren Aufführungen hat Erich Lüth, ein Hamburger Senatsdirektor, zum Boykott aufgerufen und Harlan öffentlich angegriffen. Lüth sprach aber, dies ist zu erwähnen, nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern als Privater. Wegen zu erwartender Verdienstausfälle klagte die Produktionsfirma des Films gegen Lüth auf Unterlassung. Der Fall begann als Standardfall, der früher üblicherweise zugunsten der Produktionsfirma ausgegangen war (es galt als sittenwidrige Schädigung, wenn man absichtlich einem Unternehmen Schaden zufügen wollte). Der Fall endete jedoch in einem sehr grundsätzlichen Urteil zugunsten von Lüth.

3. Um zunächst auf den realen, historischen Sachverhalt einzugehen: Der Fall und seine Begleitumstände sind eine wahre Fundgrube für die zeitgeschichtliche Beurteilung der Vergangenheitsbewältigung in den ersten zehn Jahren der Bundesrepublik. Dieser Aspekt illustriert noch einmal augenfällig die potentielle Bedeutung von Urteilssachverhalten von Verfassungsgerichtsentscheidungen für die Geschichtsschreibung. Nicht immer, doch immer wieder kann man unerwartete sprechende Zeugnisse finden. So etwa, wenn in einem der früheren Verfahren vor dem Zivilgericht, dem Hanseatischen Oberlandesgericht, über eine einstweilige Verfügung der Produktionsfirma gegen Lüth der Vorsitzende Senatspräsident Seyfferth die Sitzung mit einem Vergleichsvorschlag und den Worten eröffnete: »Wir müssen in Deutschland über das Vergangene – auch über die fragwürdigen Taten der anderen – endlich Gras wachsen lassen. Haben wir nicht Probleme genug? Ich schlage deshalb vor, den Verfassernamen Harlan für einige Jahre zu verschweigen.«1

Die zahlreichen (Gerichts-)Verfahren zu und über Harlan bilden eine reichhaltige, ergiebige Quelle für die zeitgenössischen Strömungen, für die Praxis der »Bewältigung«. Sind die in den Sachverhalten der Entscheidungen enthaltenen realen Ereignisse und Konflikte für Zeitgeschichtler unschwer zu rekonstruieren, so erweisen sich die grundlegenden juristischen Argumentationslinien und Interpretationen, der eigentliche Kern von Entscheidungen, als durchaus sperrig und schwierig zu durchschauen. Im Lüth-Fall war die Herausforderung, dass nicht der Staat gegen Lüth vorgegangen war und von ihm etwas verlangte, sondern dass ein anderer Privater, die Produktionsfirma, gegen ihn vorgegangen war und geltend machte, dass ihr durch Lüths Boykottaufruf Schaden drohe. Wenn Lüth sich dabei auf seine grund|rechtlich garantierte Meinungsfreiheit berief, stellte sich die neue Frage, ob das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch gegen den anderen Privaten Wirkungen hätte.

4. Vordergründig spielt sich der Fall als Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit Lüths und den wirtschaftlichen Interessen der Produktionsfirma ab. Im Kern ging es aber um viel mehr, nämlich um ein neues, angemessenes Verständnis der Grundrechte und um die Reichweite der verfassungsrechtlichen Prinzipien. Je mehr man sich mit den grundsätzlichen Aussagen des Urteils beschäftigt, desto schwieriger wird es für Nicht-Juristen, das Problem und seine denkbaren Lösungen zu verstehen. Schließlich hatte die grundsätzliche Argumentation des Gerichts im Fall Lüth sehr weitreichende Auswirkungen für das gesamte Verfassungsrecht, auf viele andere Konstellationen. Allein eine aufmerksame Lektüre des Urteils kann einem Historiker nicht das Verständnis für die fundamentale Bedeutung der Argumentation des Urteils bewirken.

Traditionell richteten sich die Grundrechte gegen den Staat, der z.B. Meinungen der einzelnen unterdrücken oder beschränken will. Die Anfang der 50er Jahre neu auftretende Frage war, ob das Grundrecht, im Lüth-Fall das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auch im Verhältnis des Einzelnen gegen andere Einzelne eine rechtlich beachtliche Rolle spielen kann. Kann Lüth der Produktionsfirma, die sich gegen wirtschaftliche Nachteile durch den Boykott-Aufruf wehren will, entgegenhalten, dass er mit seiner Meinungsäußerung einen Beitrag zur öffentlichen Willensbildung über die im NS-Regime belasteten Personen leisten und zum Ausdruck bringen will, dass solche Belastete keine Rolle mehr im Filmgewerbe der Bundesrepublik spielen sollten? Zur Beantwortung dieser Frage musste das Bundesverfassungsgericht einen langen theoretischen Anlauf nehmen: Im Ergebnis brach das Gericht mit der sehr alten bisherigen Auffassung; es hielt stattdessen die Grundrechte auch in privatrechtlichen Beziehungen in einer spezifischen Weise für einschlägig. Dies geschah natürlich nicht in der Form einer bloßen Dezision, vielmehr war der Weg zu diesem Ergebnis lang und bedurfte einer Grundlegung durch eine neue fundamentale Grundrechtstheorie, deren Wirkungen weit über den konkreten Anlass des Lüth-Urteils hinausreichten. Dadurch hat das Lüth-Urteil das deutsche Verfassungsrecht verändert und ihm einen weit größeren Wirkungskreis verschafft.

Daran denken Juristen, wenn sie vom Lüth-Urteil sprechen; der konkrete Anlass tritt eher zurück. Historiker erwähnen diese zweite Bedeutung des Lüth-Urteils typischerweise nicht. Es war und ist auch nicht zu erwarten, dass sie bei der Lektüre des Urteils die Bedeutung der Ausführungen zur Grundrechtstheorie auffällig gefunden und in ihrer zentralen Bedeutung hätten verstehen können. Dass umgekehrt die Historiker fast ausschließlich an die vergangenheitspolitische Thematik denken, ist ebenso gut verständlich. Die fundamentale grundrechtliche und grundrechtstheoretische Problematik bzw. Fragestellung aber, die den Kern des Urteils ausmacht, werden Historiker wie generell Nicht-Juristen nur mithilfe von Erklärungen durch Staatsrechtler verstehen. Was folgt daraus? Nichts ist selbstverständlicher als die Forderung, was zusammengehört zusammenzubringen und die beiden Teile durch eine sehr enge Kooperation der Disziplinen zu bearbeiten. Interdisziplinarität würde hier nicht nur heißen, dass man Texte gemeinsam liest und sich auf Texte aufmerksam macht, sondern dies erfordert das gemeinsame und ausführliche Reden über die Texte. Ich nenne dies eine qualifizierte Interdisziplinarität, die sich z.B. in einer Zusammenarbeit und intensiven Diskussion über mehrere Tage in einer Art internem Workshop oder im privaten Austausch niederschlägt.

5. Der bisherige Gedankengang, der in einem weiten Bogen von den realen Ereignissen, von dem Boykottaufruf Lüths zur Neuorientierung der Grundrechtsdogmatik führt, ist noch um eine weitere Strecke fortzuführen. Das Lüth-Urteil und einige andere verwandte Urteile haben nicht nur die Grundrechtsauffassung erweitert, sie haben auch noch die Reichweite des Verfassungsrechts vergrößert und damit zu auffallenden Besonderheiten des deutschen Verfassungsrechts geführt, die bei rechtsvergleichenden Analysen, die hier nicht angestellt werden können, deutlich zu Tage treten. Die vom Lüth-Urteil angestoßene Entwicklung hat nicht nur zu einer Eigenart des deutschen Verfassungsrechts, sondern auch zu Eigenarten der Praxis im Staat und im gesellschaftlichen Leben geführt, nämlich zu einer gesteigerten Verrechtlichung und zu einer höheren Präsenz des Rechts im gesellschaftlichen Leben. Im Ausland staunt man immer wieder darüber, welche und wie viele Fälle und Konflikte in Deutschland Gegenstand von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen sind, statt politisch gelöst zu werden. Die Alternative |ist für die Staatspraxis in den verschiedenen Ländern durchaus signifikant. Positiv gewendet kann man für Deutschland von einer Veralltäglichung des Verfassungsrechts sprechen. Verfassungsrecht ist nicht mehr nur ein Recht »für die da oben«, sondern es betrifft jede/n, und jede/r kann grundsätzlich über die Verfassungsbeschwerde sein/ihr behauptetes Recht einklagen. Der verbreitete Satz: »Dann gehe ich nach Karlsruhe!« ist ein stolzer Satz für eine Rechtsordnung und für das Rechtsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger.

Vom Lüth-Urteil und verwandten Entscheidungen geht also eine im Rechtsvergleich deutlich werdende Eigenart des deutschen Rechts aus und zwar nicht nur eine Eigenart der Rechtsordnung, sondern von ihr ausstrahlend eine Eigenart der Praxis im Staat und in der Gesellschaft. Diese Zusammenhänge sind ein Gedankengang, der für Historiker von beträchtlicher Bedeutung ist und für den man sich Wege und Mittel überlegen sollte, damit die Historiker diese Eigenarten berücksichtigen und zum Bestandteil ihres Verständnisses der deutschen Staats- und Gesellschaftsordnung machen können. Dazu brauchen die Historiker Unterstützung und Zusammenarbeit über das übliche Veranstalten von interdisziplinären Tagungen hinaus. Es war schon die Rede von einer qualifizierten Zusammenarbeit in mehrtägigen Workshops, auch in privater Zusammenarbeit, in denen das wechselseitige Verständnis Stück für Stück entfaltet wird. An dieser Stelle ist Neugier bei allen Beteiligten und ein gemeinsames Erarbeiten erforderlich.

Die stichwortartig erwähnten Merkmale der hohen Verrechtlichung und der Veralltäglichung des Verfassungsrechts indizieren Besonderheiten des deutschen Rechts und Verfassungssystems. Sie zeigen aber auch die Bedeutung und die weiteren Folgen des in einer Gesellschaft und im Staat vorherrschenden Rechts- und Verfassungsverständnisses. Wenn das Recht nicht nur die Spezialmaterie für einige Probleme ist, sondern zur Struktur einer Gesellschaft und ihres Staates gehört und als solche Struktur in verschiedenen Staaten unterschiedlich sein kann und tatsächlich unterschiedlich ist, dann spricht vieles dafür, dass das Recht und seine Geschichte nicht nur eines der Nebengebiete der Allgemeinen Geschichte sind, sondern zu den Hauptthemen gehört. Dann lohnt sich auch ein qualifiziertes Zusammenarbeiten zwischen Geschichte und Verfassungsrecht, von dem beide nur gewinnen können.

6. Zusammenfassung: Das Lüth-Urteil umfasst, wie eine Reihe anderer grundsätzlicher Urteile, einen umfangreichen Komplex von Problemen und Konzepten. Man kann auch sagen, dass sich der Gesamtstoff in mehreren Schichten aufbaut. Nicht alle sind Nicht-Juristen leicht zugänglich. Vor allem die Auswirkungen auf die gesamte Rechtsordnung und auf die Rolle des Rechts in Gesellschaft und Staat sind ihrerseits komplex. Zu ihrem Verständnis ist die Zusammenarbeit mit Juristen äußerst hilfreich, wenn nicht notwendig. Die Rolle des Rechts in einer Gesellschaft, so unterschiedlich sie sein kann, ist nicht vernachlässigenswert, sondern ein wichtiger systemprägender Faktor. Dazu lohnt sich eine qualifizierte und enge Zusammenarbeit. Der erreichbare Ertrag ist eine Vervollständigung des Bildes, das Historiker von Staat und Gesellschaft zeichnen können. Und durch und nach einer solchen Zusammenarbeit wären Historiker auch imstande, einen Teil davon zu leisten, was Dieter Grimm in seinem Buch von ihnen erwartet. Eine bisher nicht erwähnte Grundvoraussetzung ist jedoch, dass die Historiker das Recht und die Tätigkeit eines Verfassungsgerichts grundsätzlich für relevant und folgenreich halten. Die hier geforderte Integrationsleistung durch die Historiker wäre für sie leichter zu erbringen, wenn sie auf einen starken Mitspieler auf der Seite des Verfassungsrechts treffen würden, wenn es also eine Reihe ausgearbeiteter Verfassungsgeschichten der Bundesrepublik gäbe. Davon kann aber nicht die Rede sein. Die Historisierung des Rechts und des Verfassungsrechts im Rahmen des Verfassungsrechts ist nicht ausreichend. Nicht nur die Geschichtsschreibung hat Defizite.

Notes

1 Arne Riedlinger, in: Thomas Henne/Arne Riedlinger (Hg.), Das Lüth-Urteil aus (rechts-)historischer Sicht, Berlin 2005, 162.