Behindert das (deutsche) Recht die zeithistorische Forschung?*

[Does (German) Law Obstruct Research on Contemporary History?]

Jan Thiessen Humboldt-Universität zu Berlin jan.thiessen@rewi.hu-berlin.de

I. Eine Suggestivfrage

Sprechen wir über Suggestivfragen. Suggestivfragen sind im Strafverfahren unzulässig, weil sie Zeugen manipulieren können. Nun habe ich aber diesen Text nicht ohne Grund unter eine Suggestivfrage gestellt. Also: Natürlich behindert das deutsche Recht die zeithistorische Forschung, was denn sonst! Oder doch nicht? Liegt das Hindernis woanders?

Zeitgeschichte ist etwas Besonderes, und zwar nicht nur in rechtlicher Hinsicht. Zeithistorische Themen sind oft noch in der Gegenwart politisch brisant und wecken deshalb häufig starke Emotionen. Wer Zeitgeschichte schreibt oder zumindest: wer über Zeitgeschichte schreibt, muss damit rechnen. Und wer sich an einer zeithistorischen Debatte beteiligt, rechnet nicht nur mit Emotionen, sondern be-rechnet nicht selten Emotionen aus politischem Kalkül mit ein. Wissenschaft ist aber etwas anderes als Politik – meine ich zumindest. Deshalb sollte zeithistorische Forschung vorsichtig agieren, keinesfalls aktivistisch.

Wie brisant und zugleich emotionsgeladen zeithistorische Themen sein können, zeigen die folgenden Beispiele, die ich ganz willkürlich aus neueren Debatten herausgegriffen habe und dabei noch nicht einmal auf Pandemie und Krieg eingehe: Sind die Herero und Nama zu entschädigen? Ist der Pergamon-Altar zurückzugeben? Hat in Armenien ein Völkermord stattgefunden? Hat in der Ukraine ein Völkermord stattgefunden? War die Weimarer Verfassung der Anfang vom Ende oder doch ein ganz unschuldiger Text? Wird zu viel oder zu wenig über die NS-Zeit geredet und geschrieben? Haben Hohenzollern dem Nationalsozialismus »erheblichen Vorschub geleistet« oder haben sie das nicht? Waren die fünfziger Jahre in der Bundesrepublik prüde-piefig oder öffneten sie für die damals Jungen viele Fenster? Haben die 68er das Land entnazifiziert oder ruiniert? War die DDR ein Unrechtsstaat oder war sie nicht doch das bessere, weil »antifaschistische« und sozialere Deutschland? Ist Europa friedliche Zukunft oder imperialistische Geschichte? Ist Israelkritik völkerrechtlich fundiert oder einfach nur antisemitisch? Rettet die Europäische Zentralbank die Konjunktur oder enteignet sie die Sparer – oder ist es inzwischen wieder umgekehrt? Über alles das wird geforscht und gestritten. Nicht auf alles gibt es deshalb konsentierte Antworten. Zu allem gäbe es Fußnoten, die oft konträre Aussagen belegen könnten und auf die ich zumindest in der Einleitung verzichte. Ich werde im Laufe dieses Beitrags drei Beispiele aus meiner eigenen, deutlich weniger brisanten Forschung ergänzen.

II. Was ist …?

Zunächst aber verlangt die Suggestivfrage, die mein Thema bildet, nach einigen begrifflichen Klärungen: Was ist zeithistorische Forschung? Was ist Recht? Was ist deutsch? Was sind rechtliche Hindernisse?

1. … zeithistorische Forschung?

Was also ist zeithistorische Forschung? Was das Historische im Zeithistorischen angeht, so sind den beteiligten Disziplinen keine Grenzen gesetzt. Erlaubt ist, was verbindet: Politikgeschichte, Sozialgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte und allerlei mehr Geschichte und natürlich |Rechtsgeschichte. Viel schwieriger ist das Zeitliche im Zeithistorischen zu definieren. Es gibt keinen Konsens darüber, wann Zeitgeschichte anfängt und wann sie aufhört.1 Vor mehr als einem halben Jahrhundert fragte die New Yorker Historikerin Barbara Tuchman: »Should – or perhaps can – history be written while it is still smoking?«2 Die Frage war nicht einmal suggestiv, sondern nur rhetorisch gemeint, denn diese Art von Geschichte wurde und wird geschrieben, wenngleich Tuchman selbst sich dazu außerstande erklärte. Zeitgeschichte ist das, was noch qualmt, und weil es keinen Rauch ohne Feuer gibt, ist Zeitgeschichte das, was noch brennt. Und was brennt, hat nichts damit zu tun, wie lange es schon brennt, wenn es nur heute noch brennt oder heute wieder brennt. Wenn etwa Kolumbus kein gefeierter Held mehr ist, sondern Symbol eines mörderischen Kolonialismus,3 dann kann ein Vorgang, der mehr als fünfhundert Jahre zurückliegt, zur Zeitgeschichte gehören, und zwar nicht deshalb, weil er in der nahen Gegenwart geschehen wäre, sondern weil er heute neu historisiert wird, und zwar deshalb heute neu historisiert wird, weil die Auswirkungen dieses mehr als fünfhundert Jahre alten Vorgangs heute besonders kritisch wahrgenommen werden. Es geht also um die Verknüpfung von gestern und heute, weshalb das »gestern« buchstäblich gestern gewesen sein kann oder das »gestern« sogar heute ist, das »gestern« aber auch schon seit einigen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten vergangen sein kann.

Solche Betrachtungen sind natürlich nicht sehr trennscharf. Vor allem müssen sie für jeden Vorgang, jede Region der Welt, jede Verflechtung oder zumindest jedes Land gesondert angestellt werden, je nachdem, was Untersuchungsgegenstand ist.4 Da die Suggestivfrage, die meinem Beitrag zugrunde liegt, auf das deutsche Recht zielt, sollte ich die Frage, wann die Zeitgeschichte anfängt, wenigstens für Deutschland beantworten. Zumindest muss ich beantworten, welche Quellen aus welchen Zeiten, die irgendwie Deutschland betreffen, ich in den Blick nehme. Schaut man etwa auf die Geschichte der Berliner Republik, dann gehören darauf bezogene Forschungen unbestritten zur Zeitgeschichte. Aber die Berliner Republik gäbe es nicht ohne die Bonner Republik, die Bonner Republik nicht ohne die NS-Zeit, die NS-Zeit nicht ohne das Scheitern der Weimarer Republik, die Weimarer Republik nicht ohne den Untergang des wilhelminischen Kaiserreichs, das wilhelminische Kaiserreich nicht ohne den Norddeutschen Bund, den Norddeutschen Bund nicht ohne die Spaltung des Deutschen Bundes, den Deutschen Bund nicht ohne den Untergang des Alten Reichs und das Alte Reich nicht ohne … – ja, was eigentlich? Irgendwann ist man beim Urknall, falls es den gibt. Das kann es auch nicht sein.

Mein Vorschlag ist, die deutsche Geschichte als Zeitgeschichte bis zur Revolution von 1848/49 zurückzuverfolgen. Nun ist es nicht besonders originell, eine Revolution als Zäsur anzusehen, zumal angesichts eines Jubiläums.5 Aber eine gescheiterte Revolution? Eine Revolution, bei der man nicht schon im Erleben denkt, »und ihr könnt sagen, ihr seyd dabey gewesen«?6 Eine Revolution, durch die sich auf den ersten Blick nicht viel geändert hat? Die Frage ist, was sich hätte ändern können. Damals hätte ein ganz anderer Pfad beschritten werden können, als er beschritten wurde. Natürlich darf man es mit solchen kontrafaktischen Spekulationen nicht übertreiben.7 Aber es ist doch ein bekanntes Phänomen: Hinterher weiß man, dass es irgendwann einmal ein kleines Zeitfenster gab, um etwas zu tun, das man hätte tun |sollen, und alles wäre anders gekommen. Man weiß es, wenn es zu spät ist. Ich meine also, dass geschlossene Zeitfenster dazu taugen, um eine Zeitenwende zu definieren. Das wusste ich übrigens schon vor Olaf Scholz.8

2. … deutsches Recht?

Was ist nun also Recht und was ist deutsches Recht? Was Recht ist, kann uns für unseren Untersuchungszeitraum nicht allzu sehr überraschen. Es geht um menschengemachte Normen, die verbindlich und durchsetzbar sind.9 Aus dem Rechtsbegriff ergeben sich notwendig Abgrenzungen, nämlich einerseits zum Unrecht und dessen rechtsförmiger Einkleidung, andererseits zu ethischen Normen, die nicht verbindlich und nicht durchsetzbar sind, zuletzt die Abgrenzung zu eher pragmatischen Fragen. Diese Grenzen sind erwartungsgemäß fließend, ich komme darauf zurück.10

Was »deutsch« ist, betrifft ganz einfach Quellen, die deutschem Recht unterliegen. Es geht also um das, was in deutschen Archiven überliefert und deshalb hinsichtlich Zugang und Verwertung nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Dies ist nur scheinbar provinziell gedacht. Denn da etwa die deutsche Wirtschaft bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts global verflochten war11 und gerade diese Zeit Teile des immer noch geltenden Rechts prägte,12 öffnet sich etwa der Blick in die deutsche Kolonialgeschichte.13 Wenn ich das Recht anderer Länder hier außer Betracht lasse, können wir uns damit trösten, dass das deutsche Recht komplex genug ist.

III. Zugang und Verwertung zeithistorischer Quellen als Rechtsproblem

Damit bin ich nach fünf Spalten Vorspann endlich beim eigentlichen Thema: Was sind rechtliche Hindernisse? Wie jede historische Forschung, so beruht auch zeithistorische Forschung auf zwei Grundvoraussetzungen: erstens auf dem Zugang zu den Quellen, zweitens auf der Möglichkeit zur Publikation aus den Quellen.14 Für die Zeitgeschichte stellen sich diese beiden Grundvoraussetzungen aber ganz anders dar als etwa für die Mediävistik. Für das Mittelalter ist man froh, wenn überhaupt Quellen überliefert sind. Sind Quellen überliefert, sind sie aus rechtlicher Sicht zumeist auch zugänglich. Auch deren Auswertung ist – Sprach- und Handschriftenkenntnis unterstellt – allenfalls ein technisches Problem, etwa bei der aufwändigen Edition einer mittelalterlichen Bilderhandschrift. In der Zeitgeschichte gibt es eher zu viele Quellen. Sie einzusehen und publizistisch auszuwerten ist dagegen mit allerlei rechtlichen Schranken konfrontiert.15

1. Kantianische Archivrechtskunde

Der Zugang zu den Quellen richtet sich primär nach dem staatlichen Archivrecht. Die groben Linien des deutschen Archivrechts sind in Bund und Ländern weitgehend gleich.16 Ich stütze mich im Folgenden exemplarisch auf das vor wenigen Jahren novellierte Bundesarchivgesetz.17

Zum neuen Bundesarchivgesetz gibt es einen einzigen Kommentar, der aber erstens umfassend, zweitens kritisch und drittens aktuell ist.18 Vor |allem spannt der Kommentar einen weiten Bogen. So beginnt er sein Vorwort mit einem Paukenschlag: »Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.«19 Der Kommentator, ein Berliner Rechtsanwalt, zitiert hier aus Immanuel Kants Schrift »Zum Ewigen Frieden« von 1795, und zwar zitiert er die von Kant so bezeichnete »transcendentale Formel des öffentlichen Rechts«. Kant begründete dieses ebenso »ethisch[e]« wie »juridisch[e]« »Princip« wie folgt:

»[E]ine Maxime, die ich nicht darf laut werden lassen, ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus verheimlicht werden muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht öffentlich bekennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand Aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde, kann diese nothwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende, Gegenbearbeitung Aller gegen mich nirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeit her haben, womit sie jedermann bedroht.«20

Diese gelehrte Definition von Unrecht und Ungerechtigkeit veranlasst nun den modernen Kommentator des Bundesarchivgesetzes zu einem kühnen Schluss: »Deutschland hat bis heute nicht die Vorstellungen erreicht, die die Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert an die Publizität öffentlichen Handels gestellt hat.«21

Das ist wahrlich ein ernüchternder Befund. Anspruch und Wirklichkeit klaffen offenbar weit auseinander. Dabei klingt der oberste Grundsatz des Bundesarchivgesetzes erst einmal gut: »Jeder Person steht nach Maßgabe dieses Gesetzes auf Antrag das Recht zu, Archivgut des Bundes zu nutzen.«22 Also Nutzung für jedermann, aber: nach Maßgabe dieses Gesetzes.

Zentrales Zugangskriterium des Gesetzes sind die archivrechtlichen Schutzfristen, die einerseits klar, andererseits starr und aus Nutzersicht überaus lang sind.23 Sogenannte Sachakten erhält man, wenn der darin behandelte Vorgang mindestens 30 Jahre zurückliegt. Diese 30-Jahresfrist gilt grundsätzlich auch für personenbezogene Akten. Hierzu muss ein Vorgang also gleichfalls mindestens 30 Jahre zurückliegen.24 Hinzu kommen muss aber, dass die betroffenen Personen entweder seit mindestens zehn Jahren tot sind oder (wenn man das nicht weiß) vor mindestens 100 Jahren geboren sind oder (wenn man das nicht weiß oder besondere Schutzvorschriften existieren) der Vorgang mindestens 60 Jahre zurückliegt.25

Die hierbei zugrunde gelegte Abgrenzung zwischen Sachakten und personenbezogenen Akten klingt einfacher, als sie tatsächlich ist.26 Typische Sachakten findet man in jeder Behörde. Aus rechtshistorischer Sicht ist hier besonders an Gesetzgebungsmaterialien zu denken. Da Gesetze allgemein und nicht für den Einzelfall gelten, jedenfalls wenn es um Grundrechtseingriffe geht, beziehen sich Gesetzgebungsmaterialien nicht auf individuelle Personen. Anders ist es mit Gerichts- und Verwaltungsakten. Diese betreffen regelmäßig Verfahren, an denen individuelle Personen als Parteien, Antragsteller oder Adressaten beteiligt sind. Die personenbezogenen Schutzfristen gelten also nicht nur bei den eigentlichen Personalakten, die es natürlich auch gibt. Daneben gelten Schutzfristen, die am Gegenstand der Akte anknüpfen, insbesondere Geheimhaltungsvorschriften. Für geheime Vorgänge beträgt die Schutzfrist 60 Jahre.27

2. Ein Beispiel

Ich möchte an einem Beispiel etwas ausführlicher illustrieren, wie diese Vorschriften zusammenwirken. Dabei beziehe ich mich auf einen eigenen Beitrag, der sich mit der Rechtsprechung des frühen Bundesgerichtshofs beschäftigt. 28 Seit 1956 hatte der IV. Zivilsenat in etwa 60 Fällen über Entschädigungen zu befinden, die von deutschen Sinti beansprucht wurden. Dass es ›nur‹ 60 Fälle waren, hatte viele Gründe. Ursprünglich ging es um 2500 Personen, die aufgrund eines Erlasses von Heinrich Himmler 1940 in Konzentrationslager deportiert worden waren. Wie viele von ihnen |Deportation und Haft nicht überstanden, ist nicht bekannt. Die Wiedergutmachungsämter hatten lediglich 300 Fälle zu entscheiden. Nur wenige der Opfer hatten die Mittel oder auch nur die Kraft, ihre Fälle bis vor die letzte Instanz zu bringen. Vielleicht waren viele der Opfer auch abgeschreckt. Denn der Bundesgerichtshof urteilte seit seiner ersten Entscheidung, dass den Deportierten keine Entschädigung zustehe.

Die Begründung ist nicht nur aus heutiger Sicht unbegreiflich. Der Bundesgerichtshof meinte, die betroffenen Personen seien nicht etwa aus rassistischen Gründen verfolgt worden. Vielmehr sei es seit Jahrhunderten bekannt, dass dieser Personenkreis – ich vermeide das Z-Wort – zur Kriminalität neige. Folglich habe Himmler die Deportationen nur aus Gründen polizeilicher Kriminalprävention angeordnet. Erst 1963 erkannte der Bundesgerichtshof die rassistische Verfolgung der Sinti an. Lange Zeit hat in der Öffentlichkeit kaum jemand diese Fälle wahrgenommen. Erst vor wenigen Jahren hat der Bundesgerichtshof unter seiner gegenwärtigen Präsidentin sich mit dieser Vergangenheit beschäftigt und eine symbolische Entschuldigung ausgesprochen. In der (rechts-)historischen Forschung wie in der Vergangenheitspolitik des Bundesgerichtshofs wurde vor allem die Frage gestellt, wie kaum belastete Richter, die zum Teil selbst vom NS-Regime verfolgt waren, die rassistischen Ziele der Nationalsozialisten bestätigen konnten. Dabei wurden auch die Personalakten der Richter ausgewertet.

Unbeachtet blieben bislang die Verfahrensakten des Bundesgerichtshofs. Diese sogenannten Senatshefte werden seit einigen Jahren nach und nach vom Bundesgerichtshof an das Bundesarchiv in Koblenz abgegeben. Dort sind sie allerdings bislang weder umfassend erschlossen noch bewertet worden. Das heißt: Diese Akten findet man nicht in der Archivdatenbank, sondern nur auf besondere Nachfrage, die manchmal erfolglos bleibt, sei es, weil eine Akte nicht überliefert ist, sei es, dass sie nicht verzeichnet ist. Eine Ausnahme gilt für Akten, die bereits benutzt worden sind. Immerhin ist der Bestand Bundesgerichtshof seit Jahren prominent auf der Startseite der Archivdatenbank des Bundesarchivs abgebildet.29

Damit komme ich zu den rechtlichen Hindernissen, mit denen die zeithistorische Forschung konfrontiert ist. Der erste Fall datiert von 1955, der letzte von 1972.30 Seitdem sind viel mehr als 30 Jahre vergangen. Die allgemeine Schutzfrist ist also längst abgelaufen. Das nützt aber nichts. Denn nicht die allgemeine 30-Jahresfrist ist einschlägig, sondern die besondere 60-Jahresfrist. Das ist erklärungsbedürftig. Zunächst einmal kommt es nicht allein darauf an, welcher Vorgang in den Akten behandelt wird und von wann dieser Vorgang datiert. Deportationen und Inhaftierungen erfolgten zwischen 1940 und 1945. Entschädigungsanträge wurden vor allem in den 1950er Jahren gestellt. Seither sind natürlich mehr als 60 Jahre vergangen, aber das genügt nicht. Maßgeblich sind außerdem – wie gesehen – die Geburts- und Sterbedaten der betroffenen Personen. Maßgeblich ist zuletzt das Datum, zu welchem die Akte geschlossen worden ist, oder wie das Bundesarchivgesetz sagt: »der Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs«.31 Bei Gerichtsakten ist dies regelmäßig das Datum, zu welchem das letzte Urteil oder der letzte Beschluss in dieser Sache ergangen ist.32

Nun leben wir heute in einer Zeit, da die letzten Zeitzeugen der NS-Herrschaft uns verlassen. Deportiert wurden ganze Familien einschließlich sehr kleiner Kinder. Diese können also noch leben oder sind vielleicht nicht länger als zehn Jahre tot, noch sind sie vor mehr als 100 Jahren geboren worden. Viele der Opfer waren freilich schon erwachsen, als sie deportiert wurden, und sind längst verstorben. Nur: vielfach weiß man das nicht. Natürlich haben die Antragsteller ihr Geburtsdatum angegeben. Und natürlich haben die Erben, wenn sie anstelle der Opfer prozessiert haben, deren Sterbedaten angegeben. Übrigens kommt es dann zusätzlich |auf die Lebensdaten der Erben an. Helfen können hier zwar die Entschädigungsakten der Wiedergutmachungsämter.33 Doch befinden sich diese Akten nur zum Teil im Bundesarchiv, jedenfalls aber nicht bei der Überlieferung des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof schickt die Akten der Vorinstanzen an das jeweilige Vorgericht zurück. Die Behördenakten sind zudem nicht Bestandteil der Gerichtsakten. Im Bundesgerichtshof und damit auch im Bundesarchiv verbleiben nur die Schriftstücke, die unmittelbar den Bundesgerichtshof betreffen, insbesondere also Revisionsschriften, Revisionsbegründungen, Revisionserwiderungen, Entscheidungsentwürfe sowie die Reinschrift der Entscheidung. Immerhin. Aber dort fehlen häufig Angaben zu Alter und Tod der Beteiligten. Und dann gilt eine 60-Jahresfrist seit dem Zeitpunkt, da die Entscheidung ergangen ist bzw. die Akte geschlossen wurde. Rechnen kann jeder selbst: Als ich für den genannten Beitrag recherchiert habe, musste ich wegen der 60-Jahresfrist bis zum Anfang der 1960er Jahre zurückgehen. Was davor liegt, durfte ich sehen. Was danach liegt, durfte ich nicht sehen, jedenfalls nicht ohne Weiteres.

3. Insbesondere das Beratungsgeheimnis

Eine 60-Jahresfrist gilt aber noch aus einem anderen Grund. Wie eben erwähnt, enthalten die Akten idealerweise den Entscheidungsentwurf, also das Votum, und die Reinschrift der Entscheidung. Viele Akten des Bundesgerichtshofs enthalten keine Voten mehr, darauf komme ich noch zurück. Aber alle Akten enthalten die Reinschrift. Und die Reinschrift offenbart mehr, als dem Bundesgerichtshof und damit dem Bundesarchiv lieb ist. Bei der Reinschrift handelt es sich in der Regel um eine mutmaßlich letzte maschinenschriftliche Fassung der Entscheidung – eine mutmaßlich letzte Fassung deshalb, weil in allerletzter Minute handschriftliche Änderungen vorgenommen werden, bevor es die allerletzte Fassung gibt. Selbst wenn das Votum nicht mehr in der Akte ist, kann man anhand dieser handschriftlichen Änderungen manche der Überlegungen erkennen, welche die Richter auf dem Weg zur Entscheidung angestellt haben. Es ist aber nicht gewollt, dass Außenstehende erfahren, welche Überlegungen die Richter auf dem Weg zur Entscheidung angestellt haben. Man nennt das »Beratungsgeheimnis«.

Schauen wir in § 43 des Deutschen Richtergesetzes: »Der Richter hat über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung auch nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zu schweigen.« Nun geht es hier nicht um Richter und deren Dienstverhältnis, sondern um Akten, die von ebenjenen Richtern geführt wurden. Muss der Richter schweigen, muss auch die Akte schweigen – das klingt logisch. Aber ist es auch rechtmäßig? Ja, das ist leider so; ich musste mich hier über die Länge der Frist vom Bundesarchiv belehren lassen. Denn nach § 11 Abs. 3 des Bundesarchivgesetzes darf »Archivgut des Bundes, das aus Unterlagen besteht, die der Geheimhaltungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 unterliegen, […] erst 60 Jahre nach seiner Entstehung genutzt werden«. Und was unterliegt »der Geheimhaltungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4« des Bundesarchivgesetzes? Das sind »Unterlagen, die den Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung oder dem Steuergeheimnis nach § 30 der Abgabenordnung unterliegen oder Angaben über Verhältnisse eines anderen oder fremde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten«. Hierzu sagt der Regierungsentwurf zur Novelle des Bundesarchivgesetzes: »Von der Regelung erfasst ist zudem das aus der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit des Richters nach Artikel 97 Absatz 1 GG folgende richterliche Beratungsgeheimnis.«34 Das Bundesarchiv darf diese 60-Jahresfrist nur abkürzen, »wenn dies im öffentlichen Interesse liegt«, aber nur mit Einwilligung der Institution, aus der die Akten stammen.35 Über sein Beratungsgeheimnis entscheidet also der Bundesgerichtshof selbst.

Viele zeithistorisch relevante Quellen sind nach diesen Maßstäben zugänglich. Viele sind es jedoch nicht ohne Weiteres. Vom Zugang grundsätzlich ausgeschlossen sind nahezu alle Quellen, welche die Berliner Republik betreffen. Vom Zugang |grundsätzlich ausgeschlossen sind aber auch nahezu alle Gerichtsakten, welche die letzten drei Jahrzehnte der Bonner Republik betreffen. Heißt das jetzt, dass uns für die zeithistorische Forschung nur die prüde-piefigen 50er Jahre offenstehen?

4. Was schützt wen vor was?

a) Interessante Interessen

Ehe den Lesern jetzt von diesem Zahlenchaos der Kopf schwirrt, sei gefragt, wen oder was die Schutzfristen eigentlich schützen wollen. Es geht also um eine teleologische Auslegung, wobei wir es hier mit einem Fall von kodifizierter Interessenjurisprudenz zu tun haben. Das Bundesarchivgesetz schützt nämlich allerlei Interessen, die zum Teil auch »Belange« genannt werden. Ich zähle sie entlang der Legalordnung auf.

Archivwürdig sind unter anderem Unterlagen »für die Sicherung berechtigter Interessen der Bürger und Bürgerinnen«.36 »Die Nutzung kann zum Schutz öffentlicher Belange und zur Wahrung schutzwürdiger Interessen Betroffener mit Auflagen verbunden oder unter dem Vorbehalt des Widerrufs genehmigt werden.«37 Personenbezogene Schutzfristen können verkürzt werden, wenn »die Nutzung für ein wissenschaftliches Forschungs- oder Dokumentationsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange unerlässlich ist, die im überwiegenden Interesse einer anderen Person oder Stelle liegen«.38 Die Geheimhaltungsschutzfrist kann verkürzt oder verlängert werden, »wenn dies im öffentlichen Interesse liegt«.39 Die Nutzung kann eingeschränkt oder versagt werden, wenn mutmaßlich »durch die Nutzung das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde«, wenn »der Nutzung schutzwürdige Interessen Betroffener oder ihrer Angehörigen entgegenstehen«, wenn »durch die Nutzung Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung verletzt würden« oder bei Unterlagen, die etwa der ärztlichen oder anwaltlichen Schweigepflicht »unterlagen« – Imperfekt –, »soweit dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen Betroffener erforderlich ist«.40 Diese Aufzählung ist nicht ganz, aber doch fast vollständig.

Das Archiv muss also häufig Interessen gegeneinander abwägen, insbesondere öffentliche, private oder wissenschaftliche Interessen an der Nutzung der Unterlagen gegen öffentliche Geheimhaltungsinteressen oder schutzwürdige private Interessen.41 Öffentliche Geheimhaltungsinteressen habe ich bereits erwähnt. Berechtigte private Interessen betreffen etwa Unterlagen, die zur privaten Rechtsverfolgung dienen, also zum Beispiel Gerichtsentscheidungen, die unverjährte Ansprüche titulieren, oder Beweismittel.42 Was »schutzwürdige private Interessen« sind, wird am besten deutlich, wenn man die wichtigste Ausnahme von den personenbezogenen Schutzfristen betrachtet: »Die [personenbezogenen] Schutzfristen […] sind nicht auf Archivgut des Bundes anzuwenden, das sich auf Amtsträger in Ausübung ihrer Ämter und auf Personen der Zeitgeschichte bezieht, es sei denn ihr schutzwürdiger privater Lebensbereich ist betroffen.« Persönliche Informationen über Amtsträger und Personen der Zeitgeschichte sind also unabhängig von den Lebensdaten der Betroffenen zugänglich. Eine Rückausnahme besteht, wenn der »schutzwürdige private Lebensbereich« der Amtsträger oder Personen der Zeitgeschichte betroffen ist, wenn also die Privatsphäre so sehr berührt ist, dass das Informationsinteresse an amtlicher Tätigkeit oder dem Wirken von Personen der Zeitgeschichte dahinter zurücktreten muss.

Abzuwägen sind also das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegen das Informationsinteresse, das vor allem die Presse und die Wissenschaft artikulieren.43 Denn dies sind die wichtigsten Nutzer von Archivgut. Private Nutzer recherchieren häufig nur Unterlagen, die sie selbst oder ihre verstorbenen Angehörigen betreffen. Recherchiert oder forscht man also etwa über Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft oder Justiz, hat man gute Chancen, Zugang zu den Akten zu erhalten, auch wenn die Schutzfristen noch nicht abgelaufen sind. Berührt man hingegen den schutzwürdigen privaten Lebensbereich der ›Zielperson‹, wie |ich sie hier nennen will, so muss man im Gesetz weiterlesen.

Wie auch sonst zur Schutzfristverkürzung ist es möglich, die Zielperson oder deren Angehörige um Einwilligung zu bitten, dass die privaten Informationen eingesehen und verwendet werden dürfen.44 Dies mag Aussicht auf Erfolg haben oder auch nicht. Erhält man keine Einwilligung, muss man dem Archiv vortragen, dass »die Nutzung für ein wissenschaftliches Forschungs- oder Dokumentationsvorhaben […] unerlässlich ist« und sich darauf einlassen, dass »eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange Betroffener oder ihrer Angehörigen durch angemessene Maßnahmen wie die Vorlage anonymisierter Reproduktionen oder das Einholen von Verpflichtungserklärungen ausgeschlossen« wird.45 Geht es um einen historischen Vorgang, kann die Anonymisierung helfen. Geht es hingegen um historische Akteure, ist eine Forschung mit anonymisierten Quellen praktisch unmöglich. Erhält man in einem solchen Fall dann doch unanonymisierte Quellen, heißt dies nicht, dass man daraus auch unanonymisiert publizieren darf. Die staatlichen Archive lassen den Nutzer unterschreiben, dass er das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen wahrt und widrigenfalls das Archiv von Schadensersatzansprüchen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen freistellt. Es ist also die Risikobereitschaft des Archivs und des Autors, die darüber entscheidet, wie eingeschränkt oder uneingeschränkt Quellen eingesehen und publiziert werden können.

Geht es um Personen, so ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht die entscheidende rechtliche Hürde für Recherche, Forschung und Publikation. Das Persönlichkeitsrecht erlischt zwar mit dem Tod der Person, doch werden die ideellen Bestandteile der Persönlichkeit über den Tod hinaus geschützt.46 Für das postmortale Persönlichkeitsrecht gibt es keine festen Grenzen. Die archivrechtlichen Schutzfristen geben eine Orientierung, ebenso die Fortdauer des Urheberpersönlichkeitsrechts 70 Jahre nach dem Tod.47 Im Übrigen gilt, was ich über den zeitlichen Rahmen der Zeitgeschichte gesagt habe: Es kommt darauf an, ob Person und Vorgang heute noch die Gemüter bewegen, so als sei die Person noch am Leben. Ein besonders prominenter Fall betrifft eine Psychiatrie-Akte über den Schauspieler Klaus Kinski von 1950. Das Landesarchiv Berlin gab diese Akte im Jahr 2008, 18 Jahre nach Kinskis Tod, für die Forschung frei. Angehörige von Klaus Kinski prozessierten dagegen und erreichten im Vergleichsweg, dass die Akte nur mit Zustimmung von Kinskis Sohn genutzt werden darf.48 Fälle wie dieser erschüttern Archive und Journalisten ähnlich, wie es bei Hohenzollern und Historikern zu sehen war. Dazu sogleich.49

b) Geheime Justizräte

Bleiben wir aber noch einen Moment bei den Gerichtsakten aus meinem oben genannten Beispiel.50 Das Beratungsgeheimnis soll die »innere Unabhängigkeit des Richters« sichern.51 Welchem Zweck aber dient das Beratungsgeheimnis, wenn der Fall, über den geheim beraten wurde, rechtskräftig entschieden ist? Die vergangene Entscheidung kann nicht mehr beeinflusst werden, und wenn sie nicht beeinflusst wurde, dann wurde sie auch unabhängig getroffen. Wo also ist das Problem? Das Problem ist: Richter könnten mit einer Schere im Kopf entscheiden, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihre Auffassung und ihr Abstimmungsverhalten öffentlich bekannt werden. Es gibt ja nicht allzu viele Leute, die öffentlich dasselbe sagen wie im Verborgenen. Sondervoten gibt es nur beim Bundesverfassungsgericht.52 Richter denken zudem an Beurteilungen und Beförderungen, vielleicht auch an persönliche Bedrohung, weil richterliche Entscheidungen den Betroffenen ja nicht immer willkommen sind. Da ist es sicherer, im Kollektiv des Spruchkörpers unsichtbar zu bleiben.53 In der Regel erfährt man nicht einmal, wer den Fall als Berichterstatter betreut, wer also die Entscheidung entworfen hat, und das, obwohl |umstritten ist, ob vorbereitende Voten überhaupt dem Beratungsgeheimnis unterliegen, selbst wenn der Berichterstatter sie über die Geschäftsstelle auf den Weg an seine Kollegen gebracht hat.54 Eigennützig neige ich hier der publizitätsfreundlichen Auslegung zu: »Was der Richter vor Beginn der Beratung aus der Hand gibt, ist ohnehin faktisch nicht mehr geheim.«55 Aber ist es nicht doch rechtlich noch geheim?

Das Beratungsgeheimnis hat allerdings noch einen anderen Hintergrund als denjenigen der richterlichen Unabhängigkeit. Die Autorität von gerichtlichen Entscheidungen56 beruht nach meinem Eindruck zu keinem geringen Teil auf der uneingestandenen Illusion, dass die Richter aus Rechtsgelehrsamkeit, Erfahrung und Weisheit schöpfen, was im Recht bereits vorbestimmt und nur dem Laien nicht zugänglich ist, einer Illusion, die von Ferne an das volksgeistige Richterbild der Historischen Rechtsschule57 erinnert. Mindestens Laien gegenüber möchte man nicht gern eingestehen, dass das geschriebene Recht die Richter manchmal ziemlich allein dastehen lässt und die sich selbst überlassenen Richter zuweilen improvisieren müssen. Ist der Richterspruch nur Ausdruck des Rechts, begründen Zweifel am Richterspruch zugleich Zweifel am Recht. Deshalb sollen möglichst auch keine richterlichen Selbstzweifel sichtbar werden. Das ›Dogma der Unfehlbarkeit des Richters‹ ist nach meiner Überzeugung der wesentliche Grund, warum Richter nicht möchten, dass man ihnen bei der Herstellung der Entscheidung zu sehr auf die Finger schaut. Es gab einmal einen Senatsvorsitzenden beim Bundesgerichtshof, der las gern, was ich aus den Prozessakten des Reichsgerichts schrieb, fühlte sich aber ausgesprochen unbehaglich bei dem Gedanken, dass ich den Weg zu seinen Entscheidungen ebenso akribisch rekonstruieren könnte. So hielt er den damaligen Präsidenten des BGH an, die Akten frühestens nach 50 Jahren an das Bundesarchiv abzugeben. Überdies mahnte der Senatsvorsitzende seine Kollegen, ihre Entwürfe nicht in den Akten zu lassen. Und er warnte seinen Nachfolger vor mir. Dieser begrüßte mich bei unserer ersten Begegnung mit den Worten: »Ach, Sie sind das!« Ich bin das, der ich gern in den Akten wühle und enthülle, was es nicht geben darf. Der Nachnachfolger des Senatsvorsitzenden wiederum hatte aus familiären Gründen Verständnis für historische Forschung. Er sagte mir, von ihm aus könne ich seine Akten sehen, sobald die Entscheidung rechtskräftig sei. Aber das ist die Ausnahme.

Auch beim Bundesverfassungsgericht findet der Begriff des »Geheimen Justizrats« moderne Inkarnationen. Ein Vizepräsident sagte mir ganz offen, je mehr die Historiker suchen, umso weniger lassen die Richter in den Akten. Und es gibt eine hinreißende Korrespondenz zwischen einem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und einem Frankfurter Rechtshistoriker, der für den Ständigen Ausschuss des Deutschen Rechtshistorikertags dafür kämpfte, dass die Akten des Bundesverfassungsgerichts endlich über das Bundesarchiv zugänglich gemacht werden, was dem Gericht nicht willkommen war.58 Nach dem inzwischen geänderten Bundesverfassungsgerichtsgesetz müssen wir auf die Gerichtsakten übrigens auch 30 bis 60 Jahre warten, nicht anders als beim BGH.59 Für die Korrespondenz des Gerichtspräsidenten gilt das zwar nicht, doch möchte ich hier nicht der Frage nachgehen, ab welcher Schöpfungshöhe Briefe urheberrechtlich geschützt sind.60

Die Vorbehalte der Richter gegenüber einer zu frühen Öffnung der Akten illustrieren einen bestimmten Zweck aller Schutzfristen. Der Umstand, dass der Inhalt der Akten wenigstens für gewisse Zeit den Augen der Öffentlichkeit verborgen |bleibt, fördert die Bereitschaft von Behörden und Gerichten, überhaupt relevante Inhalte in den Akten zu belassen, bevor diese abgegeben werden.61 Angesichts steigender Lebenserwartung würden Amtsträger wohl eher für längere Fristen plädieren, während Archivnutzer zumal im Digitalzeitalter zunehmend an eine sofortige Verfügbarkeit von Informationen gewöhnt werden.62

Ist speziell das Beratungsgeheimnis ein alter Zopf? Das kommt darauf an, wen man fragt. Der Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann gibt zwar zu bedenken: »Die besondere Bedeutung, welche die Bundesgerichte und vor allem das Bundesverfassungsgericht dem richterlichen Beratungsgeheimnis beimessen, zeitigt zum Teil erhebliche Einschränkungen für die zeitgeschichtliche Forschung.«63 Aber er stellt die zugrunde liegenden Rechtsnormen nicht in Frage. Eine Fundamentalkritik an den Normen wie an deren Auslegung formuliert die Historikerin Annette Weinke. Ihr zufolge werden der juristischen Zeitgeschichte »jene wichtigen Justizakten« zum »Verhalten der NS-Juristen und deren Weiterwirken im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik« »mit zum Teil spitzfindigen legalistischen Begründungen wie einem angeblich mit Ewigkeitscharakter ausgestatteten richterlichen Beratungsgeheimnis […] bis heute erfolgreich verweigert«, was »hinter allgemein anerkannten Standards der bundesdeutschen Archivgesetzgebung zurückbleibt«.64 Johann-Friedrich Staats, Ministerialrat außer Dienst, Rechtsanwalt und Kommentator des Deutschen Richtergesetzes, hält hingegen das Beratungsgeheimnis für wichtiger als je zuvor:

»In einer Zeit, in der Indiskretionen durch Presse und andere Medien schnell zu weit verbreiteten Sensationen und Bloßstellungen führen können, hat das Beratungsgeheimnis heute noch mehr Bedeutung als früher. Der an der Beratung und Abstimmung teilnehmende Richter und das Kollegium müssen im Interesse ihrer Unbefangenheit frei davon sein, wegen einer vielleicht unpopulären oder erst in der Verhandlung sich entwickelnden Meinung oder wegen der Verhandlungsführung oder der Art der Teilnahme an den Pranger gestellt zu werden, dies auch im Verhältnis zu Justizangehörigen außerhalb der Beratung.«65

Das Beratungsgeheimnis als Rechtsnorm ist übrigens relativ neu; es wurde erst 1961 im Deutschen Richtergesetz normiert.66 Bis dahin galt es als selbstverständlicher Teil der Amtsverschwiegenheit, welcher die Richter als Justizbeamte unterlagen – ein Status, der seit dem Kaiserreich umstritten war. Als die Richter durch ein ihnen gewidmetes besonderes Gesetz aus dem Kreis der häufig weisungsgebundenen Beamten herausgenommen wurden, sah man neuen Regelungsbedarf. Die Gesetzgebungsmaterialien seit 1949 offenbaren, wie prekär die Autorität der Richter nach dem Ende der NS-Herrschaft erschien – »in einer Zeit des Überganges, für die ein Mangel allgemein anerkannter Werte und damit tiefgreifende Gegensätze und harte Machtkämpfe kennzeichnend sind«.67 Vielleicht leben wir ja wieder in einer solchen Zeit.

5. Informationsfreiheit und Datenschutz

Nur sehr kurz streifen kann ich hier eine weitere Facette des staatlichen Rechts. Bleiben die archivrechtlichen Schutzfristen unüberwindbar, kann man versuchen, den Weg über die Informationsfreiheitsgesetze von Bund und Ländern zu gehen.68 Was es etwa in den Vereinigten Staaten als Freedom of Information Act schon sehr lange gibt,69 gewinnt in Deutschland immer mehr an |Bedeutung. Doch reicht der Quellenzugang nach Informationsfreiheitsrecht nur scheinbar weiter als nach Archivrecht.

Schauen wir exemplarisch ins Informationsfreiheitsgesetz des Bundes.70 Aktenzugang ist zwar die gesetzliche Regel, kein Aktenzugang die gesetzliche Ausnahme.71 Praktisch kann der Zugang aber – vereinfacht gesagt – für jeden Vorgang verweigert werden, der noch nicht (lange genug) abgeschlossen ist, als dass nicht der Erfolg der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung durch vorzeitige Aufhellung ihrer Hintergründe gefährdet würde.72 Geheimhaltungsvorschriften wie das Beratungsgeheimnis gelten selbstverständlich auch hier.73 Weitere Zugangshindernisse werden begründet mit dem Persönlichkeitsrecht der in den Akten genannten Personen, ausgedrückt im Datenschutzrecht,74 oder – sehr phantasievoll, aber praktisch relevant – mit dem Urheberrecht des Autors eines behördlichen Vermerks.75 Grundsätzlich hat das Archivrecht ohnehin Vorrang vor dem Informationsfreiheitsrecht.76 Umgekehrt gilt aber: Was nach Informationsfreiheitsrecht frei geworden ist, darf nach Archivrecht nicht mehr gesperrt werden.77

Zum hochkomplexen Thema Datenschutz seien nur zwei Beruhigungen für die zeithistorische Forschung ausgesprochen. Erstens privilegiert das Datenschutzrecht eine Verarbeitung personenbezogener Daten »zu im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken«, wenn zugleich die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen gewahrt bleiben.78 Wie immer geht es also um eine Interessenabwägung. Und es liegt an der zeithistorischen Forschung, ihre Interessen im Konfliktfall zu artikulieren. Zweitens schützt das Datenschutzrecht nur Lebende.79 Um Schutzfristen und das postmortale Persönlichkeitsrecht muss man sich natürlich trotzdem kümmern.

6. Verfahrene Akteneinsicht

Gleichfalls nur kurz kann ich eingehen auf den Quellenzugang, den das Verfahrensrecht zu den juristischen Kernmaterien eröffnet. Hierzu zwei kleine Beispiele: Mehrere Forschungsprojekte untersuchen den Linksterrorismus der 1970er Jahre.80 Entsprechende Forschungen müssen selbstverständlich die Persönlichkeitsrechte der genannten Personen wahren. Die Forschung profitiert aber davon, dass vielfach Amtsträger oder Personen der Zeitgeschichte betroffen sind. Zeitzeugen, die Interviews geben, könnten sich allerdings in strafrechtlich relevanter Weise selbst belasten. Für Wissenschaftler gilt umgekehrt nicht ohne Weiteres derselbe Schutz durch ein »Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger«81 oder vor Durchsuchung und Beschlagnahme wie für Journalisten82. Abgesehen von diesen für die zeithistorische Forschung recht ungewöhnlichen Sorgen unterscheidet sich dieses Beispiel von anderen dadurch, dass die Strafprozessordnung ebenso wie andere Gesetze eine eigene Norm über »Auskünfte und Akteneinsicht zu Forschungszwecken« kennt, nämlich § 476 StPO.83 Die Zugangs- und Verwertungskriterien sind ähnlich wie im Archivrecht: Die personenbezogenen Daten müssen für die Durchführung der Forschungsarbeiten erforderlich sein, und das öffentliche Interesse an der Forschung muss das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. »[I]m Rahmen des öffentlichen Interesses« ist »das wissenschaftliche Interesse an dem Forschungsvorhaben besonders zu berücksichtigen«. So weit, so gut. Allerdings: Das wissenschaftliche Interesse wird von wissenschaftsfremden Personen beurteilt. In den Archiven arbeiten wenigstens Historiker, keine Staatsanwälte. Schwerer wiegt, dass die Daten nur an öffentliche Bedienstete übermittelt werden dürfen, die aufgrund ihrer Stellung zur Verschwiegenheit ver|pflichtet sind. Speziell bei Nachwuchswissenschaftlern in Drittmittelprojekten ergibt sich hier einiges an Begründungsaufwand. Bei Veröffentlichungen darf der Personenbezug nur dann sichtbar bleiben, »wenn dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist«.84 Im Übrigen ist zu anonymisieren. Außerdem muss die Stelle, welche die Daten übermittelt hat, der Veröffentlichung zugestimmt haben, ähnlich wie ich es bei der Verkürzung von Schutzfristen für Justizakten beschrieben habe. Ich selbst habe zu zeithistorisch bedeutenden Strafverfahren nicht geforscht, kenne aber die Sorgen von betroffenen Kollegen.

Ein weiteres, eher anekdotisches Beispiel kann ich wieder meiner eigenen Forschung entnehmen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel85 dürfte im Leserkreis dieser Zeitschrift wenigstens insoweit bekannt sein, als es ihn gibt. Was weniger bekannt ist: Das Bundesverfassungsgericht zitiert darin Otto von Gierkes Kritik am liberalen Eigentumsbegriff des ersten BGB-Entwurfs von 1889.86 Gierke beklagte hier besonders den mangelnden Mieterschutz des ersten Entwurfs. Deshalb wollte ich für einen Aufsatz87 wissen, ob Gierke den ersten BGB-Entwurf aus der Position des Eigentümers oder des Mieters kritisierte. Wie mir ein kluger Student an meiner Berliner Fakultät erklärte, findet man diese Information in den digitalisierten Berliner Adressbüchern, in welchen Eigentümer mit einem großen »E« gekennzeichnet sind.88 Das Ergebnis: Ab 1. April 1891 war Gierke Eigentümer; 1889 war er es noch nicht. Ich wollte nun aber sicherheitshalber noch die historische Grundakte sehen, die jenseits aller Schutzfristen liegt. Das Amtsgericht Charlottenburg verweigerte mir zunächst die Akteneinsicht mit dem Bemerken, bloße historische Neugier sei kein berechtigtes Interesse im Sinne von § 12 der Grundbuchordnung.89 Ich hatte es aber auch falsch angefangen, nämlich einfach eine E-Mail über das Kontaktformular des Gerichts im Internet geschrieben. Richtig belehrt, habe ich einen schriftlichen Antrag gestellt und dargelegt, dass ein wissenschaftliches Interesse (entgegen der herrschenden Meinung) sogar im Sinne der Grundbuchordnung ein berechtigtes Interesse ist.90 Dann durfte ich alles sehen.91 Es hilft also ungemein, wenn man sich als Jurist rechtskonform verhält. Gierkes Haus ist auch im Übrigen ein Lehrstück für den Quellenzugang. Die Bauakte für das Grundstück wird bis heute geführt. Man bekommt sie im Bauaktenarchiv Charlottenburg-Wilmersdorf.92 Rechtsgrundlage ist das Berliner Informationsfreiheitsgesetz. Einzig die Abrissakte für Gierkes im Zweiten Weltkrieg zerbombtes Wohnhaus findet man ganz regulär im Landesarchiv.93 Anders als die Grundakte und die Bauakte wird die Abrissakte im Geschäftsgang der Behörden nicht mehr gebraucht. Drei Akten für dasselbe Grundstück – drei Aktenzugänge.

7. Rechtsschutz durch Wissenschaftsfreiheit?

Meine wichtigste Frage habe ich mir fast bis zum Schluss aufgehoben: Wen und was schützt die Wissenschaftsfreiheit? Ich möchte dies anhand des Beispiels illustrieren, das in jüngster Zeit am meisten Aufmerksamkeit gefunden hat: der Streit um die Entschädigung der Hohenzollern.94 Alles, was ich über staatliches Archivrecht gesagt habe, hilft uns hier nur begrenzt weiter. Denn viele Quellen sind im Privatarchiv des Hauses Hohenzollern überliefert. Es ist in einem solchen Fall buchstäblich eine Privatangelegenheit des Eigentümers, welche Archivalien Historikern zur Verfügung gestellt werden oder nicht. Dies gilt auch für viele Unternehmensarchive95 ebenso wie für private |Archive, deren Träger aufgrund ihrer Erfahrungen Anlass haben, auf Distanz zum Staat zu gehen.96 Es gilt sogar dann, wenn Private ihre Archivalien dem Bundesarchiv anvertraut haben, weil »besondere Vereinbarungen zugunsten von Eigentümern Archivguts privater Herkunft […] unberührt« bleiben.97 Besteht eine solche Vereinbarung, bleibt es dem (gegebenenfalls vormaligen) privaten Eigentümer, dessen Erben oder Testamentsvollstrecker überlassen, was er wem zur Einsicht überlässt. Das Bundesarchiv prüft im Einzelfall zurückhaltend, ob es sinnvoll ist, Akten unter den vom Eigentümer vorgegebenen Restriktionen in Verwahrung zu nehmen.98

Ein Privatarchiv unterhält übrigens auch die Max-Planck-Gesellschaft. Dies allein rückt die Max-Planck-Gesellschaft natürlich noch nicht in die Nähe der Hohenzollern, ungeachtet der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als Vorgängerin. Übrigens folgt das Statut des Max-Planck-Archivs in weiten Teilen dem Bundesarchivgesetz.99 Das ist konsequent, denn ein privatrechtlicher Verein, der seine Institute fast ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert,100 kann seine archivalische Überlieferung nicht legitimerweise als Privatangelegenheit behandeln. Ich selbst habe von dem umfassenden Aktenzugang profitiert, den mir das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft und das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte gewährt haben, als ich über dessen Geschichte gearbeitet habe – herzlichen Dank an dieser Stelle. Inhaltlich möchte ich hier dazu nichts sagen; man kann dies inzwischen nachlesen.101 Es ist lediglich ein drittes Beispiel aus meiner Forschung, das zeigt, wie unterschiedlich die Arbeitsbedingungen für zeithistorische Forschung sein können. Hier waren sie sehr gut.

Doch zurück zu den Hohenzollern. Der Streit um deren Entschädigung war immer wieder in der Presse nachzulesen; inzwischen ist etwas Ruhe eingekehrt, zuletzt deshalb, weil das Haus Hohenzollern den Fall nicht weiterverfolgt, die Entschädigungsklagen ebensowenig wie die äußerungsrechtlichen Verfahren gegen Historiker.102 Vier Gutachter – übrigens kein Rechtshistoriker103 – behandelten die Frage, ob eine Rückgabe von entzogenen Gütern deswegen ausgeschlossen sei, weil die Hohenzollern dem Nationalsozialismus »erheblichen Vorschub geleistet« hätten. Zwei Gutachter beantworteten die Frage mit ja, zwei weitere mit nein, einer davon hat seine Meinung inzwischen geändert.104 Nicht aber die von Jan Böhmermann geleakten Gutachten105 sind das hier interessierende rechtliche Problem, sondern Äußerungen von zum Teil nicht in den Entschädigungsstreit involvierten Historikern.

Ein Anwalt des Hauses Hohenzollern hatte Historikern Unterlassungserklärungen für einzelne Äußerungen abverlangt oder Äußerungen durch einstweilige Verfügung untersagen lassen. Die Rechtsverfolgung seitens des Hauses Hohenzollern hat die betroffenen Historiker, darüber hinaus aber nahezu die ganze wissenschaftliche community nicht allein überrascht, sondern geradezu bestürzt. Fast durchweg wurde es als Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit gewertet, dass Historiker mit oder ohne Hilfe der Gerichte auf Unterlassung in Anspruch genommen wurden. Der Historikertag hatte im Herbst 2021 eine eigene Sektion zu dem Thema »Klio vor dem Kadi«.106 Außerdem gibt es im Internet ein »Hohenzollern-Klage-Wiki«, das die Streitfälle nachzeichnet.107 Allerdings hat der Hohenzollern-Anwalt betont, dass er keinesfalls wissenschaftliche Thesen, son|dern unwahre Tatsachenbehauptungen angreife, so dass die Wissenschaftsfreiheit nicht berührt sei.108

Ich kenne diese Fälle nur als Medienkonsument und kann daher manches nur abstrakt beurteilen. Ich meine aber auch: Wir Juristen schulden den Historikern und uns selbst als Rechtshistorikern abstrakte Maßstäbe für derartige Fälle.

Äußern sich Historiker darüber, ob das eine oder andere vor langer Zeit verstorbene Mitglied des Hauses Hohenzollern dem Nationalsozialismus »erheblichen Vorschub« geleistet hat, so betrifft dies die Rechtsposition der Hohenzollern im Entschädigungsstreit mit der öffentlichen Hand. Das hiermit verbundene Interesse der Hohenzollern an zutreffender Berichterstattung steht nur scheinbar im Konflikt mit der Wissenschaftsfreiheit. Zunächst muss der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit109 überhaupt eröffnet sein. Nicht alles, was wie ein Angriff auf die Wissenschaft wirken mag, lässt sich unter Hinweis auf die Wissenschaftsfreiheit zurückweisen. Nicht alles, was ein Wissenschaftler tut, ist Wissenschaft, ebenso wie nicht alles, was ein Künstler tut, Kunst ist, und nicht alles, was ein Jurist tut, Recht ist. Dass eine Äußerung von einem Wissenschaftler stammt, macht die Äußerung nicht automatisch wissenschaftlich.

Geht es um Geschichtswissenschaft bzw. Rechtsgeschichte, so ist es selbstverständlich, dass eine These zu einem historischen Vorgang mit Quellen belegt werden muss. Denn ohne Quellen kann es keine Quelleninterpretation geben, und eine Quelleninterpretation muss nach wissenschaftlichen Standards anhand der Quellen reproduzierbar und gegebenenfalls widerlegbar sein. Soweit ein Quellenbeleg fehlt, muss klargestellt werden, dass es sich um eine Hypothese und damit letztlich um Spekulation handelt.110 Deshalb scheinen mir die Maßstäbe, die ein Wissenschaftler an eine wissenschaftliche Äußerung stellen sollte, keine wesentlich anderen zu sein als die Maßstäbe, die medienrechtlich an eine Äußerung in Presse, Funk und Fernsehen zu stellen sind. Damit wird nicht etwa der äußerungsrechtliche Tatsachenbegriff111 disziplinfremd in die Geschichtswissenschaft implantiert.112 Sondern für eine wissenschaftliche These muss ebenso wie für eine Tatsachenbehauptung belegbar sein, worauf die eine wie die andere sich stützt.

Auf die Wissenschaftsfreiheit kann sich die Wissenschaft umso eher berufen, als sie sich in anerkannten wissenschaftlichen Formaten bewegt.113 Überschreitet die Wissenschaft etwa die in Historikerkreisen umstrittene Grenze zwischen Fachbuch und Sachbuch,114 ist sie angreifbarer, weil ein Sachbuch anders als ein Fachbuch nicht jede Aussage mit einer Quellenangabe belegt. Eine gewisse Vorsicht ist geboten bei Interviews zu laufenden rechtlichen Auseinandersetzungen. Juristen nehmen in solchen Fällen entweder nicht öffentlich Stellung, oder sie tun dies in Abstimmung mit ihren Auftraggebern und in wissenschaftlichem Format mit der salvatorischen Fußnote: »Dieser Beitrag beruht auf einer Anregung aus der Praxis.« Ich halte hier kein Plädoyer für einen Rückzug der Wissenschaft aus der Öffentlichkeit – so wenig wie ein Plädoyer für den überstrapazierten »Wissenstransfer« in die »Zivilgesellschaft«.115 Wissenschaft ist keinesfalls auf traditionelle wissenschaftliche Formate beschränkt; es gibt keinen abschließenden Kanon. Auch ein Interview kann wissenschaftlichen Standards genügen.116 Insoweit teile ich nicht die Auffassung des Bonner Wissenschaftsrechtlers Klaus Ferdinand Gärditz, dass Parteigutachten von Historikern in Gerichtsprozessen keine Wissenschaft darstellten.117 Es kommt halt auf den |Gutachter und das Gutachten an.118 Zur Wissenschaft und Wissenschaftsfreiheit gehört nicht allein das ernsthafte und planmäßige Streben nach Erkenntnis, sondern auch deren Präsentation.119 Voraussetzung für zeithistorische Forschung bleibt immer, dass ein Zusammenhang zwischen Aussage, Quellenbeleg und Interpretation besteht. Dann übrigens beschränkt sich die Wissenschaftsfreiheit für Historiker (und Rechtshistoriker) auch nicht auf Vorgänge und Quellen, die lange zurückliegen. Ist ein Vorgang vom heutigen Tag durch eine Quelle belegt, so können Historiker (und Rechtshistoriker) diese Quelle als Ausdrucksmittel einer bestimmten, nämlich der heutigen Zeit interpretieren. Hierauf beruht auch sonst die Anschlussfähigkeit der Geschichte und Rechtsgeschichte für Interdisziplinarität. Jede Äußerung jeder Wissenschaftsdisziplin jeder Zeit ist zugleich eine historische Quelle, die somit in das Instrumentarium der Geschichte und Rechtsgeschichte übersetzt werden kann.120

Stützt sich also eine interpretative Aussage auf eine Quelle, so mag der Interpretationsspielraum je nach Quelle und Aussage größer oder kleiner sein. Instruktiv sind hierzu zwei heftig umstrittene Beispiele aus dem Hohenzollern-Streit, die immer wieder, zuletzt auch im Zusammenhang mit der Klagerücknahme vom Chef des Hauses Hohenzollern, diskutiert wurden.121 Geht es etwa um die Frage, ob die Hohenzollern über ein zu gründendes Museum die Deutungshoheit über ihr eigenes Bild in der Geschichte beanspruchen, so beruht eine solche Aussage auf einer Interpretation der Quellen. Schließlich wird man in kaum einer Quelle den Satz lesen: »Ich arbeite an meinem Bild in der Geschichte.« Also wird man fragen müssen: Wer hat wann welchen Vorschlag für welche Art von Museum unterbreitet, wer hat darauf wann wem gegenüber wie reagiert? Geht es hingegen um die gleichfalls umstrittene Frage, ob die Hohenzollern den Zugang zu ihrem Privatarchiv beschränken, wird man Zugangswunsch, Zugangsgewährung oder Zugangsverweigerung belastbar darstellen müssen.

Überdies ist allen, die zeithistorische Forschung betreiben, ernsthaft zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung zu raten. Allerdings ist eine berufsbezogene Rechtsschutzversicherung nicht leicht zu erhalten, sofern nicht die Berufsausübung von vornherein an eine Berufshaftpflichtversicherung geknüpft ist. Viele Hindernisse ließen sich aber ausräumen, wenn die betroffenen Wissenschaftler nicht vor dem gegen sie in Anspruch genommenen einstweiligen Rechtsschutz kapitulierten, sondern in das Hauptsacheverfahren gingen. Dazu fühlen sich einzelne Wissenschaftler aber oft nicht in der Lage, oder sie fühlen sich eingeschüchtert durch die angedrohte Pflicht zur Zahlung einer hohen Summe im Fall eines behaupteten Verstoßes gegen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Institutionelle Unterstützung erfahren die einzelnen Wissenschaftler nicht ohne Weiteres, weder durch die Universität noch durch Verlage. Die Angst der Historiker ist die Macht des Anwalts. Ohne entsprechende Fälle kann die Rechtsprechung aber weder Erfahrungen mit den Konflikten um zeithistorische Forschung sammeln noch Maßstäbe hierfür entwickeln.122

Ganz ähnliche Fragen stellen sich bei Rezensionen, wenn Autoren sich in der Rezension nicht zutreffend wiedergegeben oder gewürdigt fühlen. Da hilft es, wenn man Rezensionen weder schreibt noch liest.123 Hierauf kann ich angesichts des schon jetzt angewachsenen Umfangs dieses Beitrags aber nicht mehr eingehen. Vielmehr komme ich nun wirklich zum Schluss. |

IV. Die Grenzen des Rechts

Für zeithistorische Forschung bestehen rechtliche Grenzen. Ich habe viel über staatlich gesetzte Grenzen gesprochen, wie sie etwa durch Archivgesetze oder die Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht gezogen sind. Ebenso wichtig sind rechtliche Grenzen, die man sich selbst setzt. Wenn ich dem Auftraggeber einer wissenschaftlichen Studie oder einem Zeitzeugen Vertraulichkeit oder sogar Anonymität zusichere, dann habe ich mir selbst eine vertragliche Grenze gezogen. Verträge sind heilig; dies gilt hier wie überall. Es gilt dies auch im eigenen Interesse, denn das Vertrauen von Auftraggebern und Zeitzeugen ist für die zeithistorische Forschung ebenso unabdingbar wie die eigene wissenschaftliche Unabhängigkeit und gehört deshalb zur guten wissenschaftlichen Praxis juristischer Zeitgeschichte.124

Hierzu gehört auch eine Grenze, die nicht verrechtlicht ist, aber die nötige Sensibilität gegenüber dem Gegenstand der zeithistorischen Forschung betrifft. Wenn ich über Zeitgeschichte schreibe, bin ich Zeuge, nämlich Zeitzeuge. Zugleich bin ich Partei und also Richter in eigener Sache, da es um Debatten meiner eigenen Zeit geht.125 Schreibe ich über Otto von Gierke,126 berühre ich den heftigen Streit darüber, wie sonderabwegig oder modern das wilhelminische Kaiserreich war.127 Schreibe ich über die historische Kriminalisierung von Sinti und Roma,128 muss mir bewusst sein, dass die heute vieldiskutierte »Clankriminalität« zwar die Frage berührt, wie familiäre und soziale Strukturen Kriminalität begünstigen, dass aber rassistische Vorurteile den Blick verzerren können.129 Schreibe ich über ein Max-Planck-Institut,130 dann schreibe ich über den heutigen Wissenschaftsbetrieb, dessen Teil ich bin, auch wenn ich als hauptamtlicher Universitätsprofessor auf der anderen Seite stehe.131 Immer muss ich aufpassen, dass der Zeitzeuge in mir nicht dem Wissenschaftler im Weg steht.

Ganz zum Schluss muss ich noch meine Suggestivfrage beantworten, die diesen Beitrag überschreibt: Behindert das (deutsche) Recht die zeithistorische Forschung? Weil das Recht verhindert, dass öffentlich wird, was die zeithistorische Forschung als öffentlich beansprucht? Ist ein solches Recht überhaupt Recht? Oder anders gefragt: Sind »[a]lle auf das Recht anderer Menschen bezogene[n] Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, […] unrecht?132 Sollten wir uns also mit dem Kommentator des Bundesarchivgesetzes133 darauf einlassen, aus Kant Schlüsse für das geltende Recht zu ziehen?134

Mit Blick auf das Wort »Maxime« ist zumindest eine Differenzierung angebracht, da Kant nicht schlechthin nach »Handlungen« fragte, sondern nach »deren Maxime«, die er wie folgt definierte: »Maxime ist das subiective Prinzip zu handeln, und muß vom obiectiven Prinzip, nämlich dem practischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die practische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subiects gemäß (öfters der Unwissenheit oder auch den Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subiect handelt; das Gesetz aber ist das obiective Prinzip, gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d.i. ein Imperativ.«135 Im »categorischen Imperativ« sah Kant die »Maxime der Handlung« mit der »Allgemeinheit eines Gesetzes« verknüpft: »[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.«136 Sind nun aber »[a]lle auf das Recht anderer Menschen bezogene[n] Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, […] unrecht«,137 dann deshalb, weil solchen Handlungen eine Maxime zugrunde liegt, die man nicht als allgemeines Gesetz wollen kann, |weil sie nicht als allgemeines Gesetz akzeptiert würde, ließe man sie laut werden.138

Schauen wir also nicht auf das angestrebte Ergebnis des heimlichen Handelns, sondern auf dessen »Maxime«, den »Grundsatz, nach welchem das Subiect handelt«, und zwar gemäß seinen »Neigungen« handelt, also den Anreizen und Motiven, warum jemand überhaupt heimlich handelt.139 Wer heimlich handelt, um einem als Gesetz verallgemeinerungsfähigen Gebot zu folgen, handelt nicht unrecht. Wer aber heimlich handelt, um ohne Rücksicht »auf das Recht anderer Menschen« seine Interessen durchzusetzen, handelt unrecht. Hiernach lässt sich durchaus entscheiden, was wann offenbart werden muss und was nicht – genauer: was wann offenbart werden könnte,140 ohne den »Widerstand Aller« gegen eine »Ungerechtigkeit« auszulösen, die »jedermann bedroht«.141

Bezogen auf das Archivrecht kommt es darauf an, ob der in historischen Dokumenten sichtbare Akteur sich für eine Handlung nach eigenem Belieben entschieden hat, etwa zur bloßen Festigung seiner eigenen Machtposition oder zur Befriedigung seiner eigenen Eitelkeit, oder ob er annehmen durfte, eine verallgemeinerungsfähige, gesetzestaugliche Pflicht zu erfüllen. Eine bloß eigennützige Maxime könnte nicht zum allgemeinen Gesetz erhoben werden, weil sie nicht jeden in der gleichen Situation zum gleichen Handeln verpflichten würde. Das betreffende Handeln wäre unrecht, weil es allgemeiner Ablehnung ausgesetzt wäre, wenn es bekannt würde. Der Anspruch an sich selbst, einer Maxime zu folgen, die allgemeines Gesetz werden könnte, müsste hingegen das Licht der Öffentlichkeit nicht scheuen.

Für den Zugang zu historischen Akten erlaubt dies zwei scheinbar paradoxe Konsequenzen. Eine Allgemeinheit, die aus eigennützigen Neigungen eines Akteurs manipuliert werden soll, muss genau diese Neigungen kennen, um ihnen zu begegnen. Die zeithistorische Forschung hat insoweit ein ganz ähnliches Wächteramt wie die Medien als vierte Gewalt. Demgegenüber kann eine Allgemeinheit, die ebenso handeln würde wie der konkrete Akteur, diesen auch im Verborgenen gewähren lassen, wenn das verborgene Handeln notwendig ist, um das allgemein akzeptierte Motiv umzusetzen. Solche Motive können etwa beim Schutz einer unbeeinflussten Gerichtsentscheidung oder der Privatsphäre eines Amtsträgers eingreifen.

Behindert also das deutsche Recht die zeithistorische Forschung? Zugegeben: Manchmal sind rechtliche Grenzen den eigenen Neigungen lästig. Aber wenn man die Grenzen des Rechts nicht respektiert, macht es auch keinen Spaß.

Bibliographie

ARK [Archivreferentenkonferenz]-Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Wiedergutmachung« (2010), Übersicht über die Überlieferung und Rechtsgrundlagen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Bundesrepublik Deutschland in den staatlichen Archiven, Düsseldorf, https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/KLA/wiedergutmachung-doku mentation.pdf, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Backhaus, Fritz, Dan Diner, Julia Francke, Raphael Gross, Stefan Paul-Jacob, Lili Reyels (Hg.) (2023), Roads not Taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können. Deutsche Zäsuren 1989–1848, München

Bahners, Patrick (2021), Demokratie, Nationalsozialismus und eine umgekehrte Dolchstoßlegende. Eine deutsche Affäre: Die maßlose Kritik an der Historikerin Hedwig Richter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. März 2021, 12

Bleyer, Alexandra (2022), 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution, Ditzingen

Bong, Jörg (2022), Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1848/1849, Köln |

Brose, Johannes, Nicola Grau (2023), Kommentierung zu § 1004 BGB, in: Gersdorf, Hubertus, Boris P. Paal (Hg.), Beck’scher Online-Kommentar Informations- und Medienrecht, 39. Edition, Stand: 1. Februar 2023, https://beck-online.beck.de, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Cassier, Philip, Martin Klemrath (2023), »Ich will eine unbelastete Debatte«, in: Die Welt vom 8. März 2023, 8

Conze, Eckart (2020), Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe, München

Cubo Ugarte, Óscar (2018), Öffentlichkeit und Politik. Kants Publizitätsprinzip, in: Hüning, Dieter, Stefan Klingner (Hg.), … jenen süßen Traum träumen. Kants Friedensschrift zwischen objektiver Geltung und Utopie, Baden-Baden, 277–293

Deiseroth, Dieter, Annette Weinke (Hg.) (2021), Zwischen Aufarbeitung und Geheimhaltung. Justiz- und Behördenakten in der Zeitgeschichtsforschung, Berlin

Doering-Manteuffel, Anselm, Lutz Raphael (2012), Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, 3. Aufl., Göttingen

Feichtner, Isabel (2022), Koloniales Wirtschaftsrecht und der Wert der Kolonisation, in: Dann, Philipp et al. (Hg.), (Post)Koloniale Rechtswissenschaft. Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus in der deutschen Rechtswissenschaft, Tübingen, 189–229

García-Marzá, Domingo (2012), Kant’s Principle of Publicity: The Intrinsic Relationship between the two Formulations, in: Kant-Studien 103, 96–113

Gärditz, Klaus Ferdinand (2019), Kommentierung zu Art. 5 Abs. 3 GG, in: Dürig, Günter et al. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 88. Ergänzungslieferung, München

Gärditz, Klaus Ferdinand (2020), Geschichte vor Gericht. Wissenschaft hat kein Monopol auf historische Wahrheit; und die Judikative beendet einen Diskurs nicht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. September 2020, 6

Gärditz, Klaus Ferdinand (2021), Die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in geschichtspolitischen Auseinandersetzungen. Der Fall »Hohenzollern«, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 69, 269–310

Goethe, Johann Wolfgang von (1822), Aus meinem Leben, Zweyte Abtheilung, Fünfter Theyl, Stuttgart

Grieger, Manfred (2016), Zugänglichkeit von Unternehmensarchiven. Widersprüchliche Interessen von Imagebildung und Wahrheitssuche?, in: Bundeskonferenz der Kommunalarchive (Hg.), Lokale und regionale Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte als Herausforderung archivischer Überlieferungsbildung. Beiträge des 24. Fortbildungsseminars der Bundeskonferenz der Kommunalarchive, Münster, 134–141

Hachtmann, Rüdiger (2022), 1848. Revolution in Berlin, Berlin

Haferkamp, Hans-Peter (2004), Georg Friedrich Puchta und die »Begriffsjurisprudenz«, Frankfurt am Main

Haferkamp, Hans-Peter (2018), Die Historische Rechtsschule, Frankfurt am Main

Hillgruber, Christian, Philipp Bender (2021), Hat der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet? Zur Auslegung und Anwendung von § 1 Abs. 4 Ausgleichsleistungsgesetz, in: Kroll et al. (Hg.) 35–61

Hollmann, Michael (2021), Die Sicherung von Behörden- und Justizakten als staatliche Aufgabe. Anmerkungen zur Neufassungt des Bundesarchivgesetzes, in: Deiseroth/Weinke (Hg.) 37–34

Holtman, Sarah (2015), Publizität, in: Willaschek, Marcus et al. (Hg.), Kant-Lexikon, Bd. 2, Berlin, 1864–1865

Institut für Zeitgeschichte (1978), Wissenschaftsfreiheit und ihre rechtlichen Schranken. Ein Colloquium, München

Jansen, Christian (2021), Rezension zu: Hedwig Richter, Demokratie. Eine deutsche Affäre, München 2020, in: H-Soz-Kult vom 9. Februar 2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-49883, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Jessberger, Florian, Inga Schuchmann (2021), Die Stammheim-Protokolle. Der Prozess gegen die erste RAF-Generation, Berlin

Johnson, Robert, Adam Cureton (2022), Kant’s Moral Philosophy, in: Zalta, Edward N., Uri Nodelman (Hg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2022 Edition), https://plato.stanford.edu/archives/fall2022/entries/kant-moral, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Jordan, Stefan (2021), Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, 5. Aufl., Paderborn

Kant, Immanuel (1785), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Riga

Kant, Immanuel (1795), Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Königsberg

Kilb, Andreas (2023), Preußen zieht zurück. Hohenzollern wollen nicht mehr klagen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 2023, 9

Klatt, Matthias K. (2023), Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht, Tübingen

Klippel, Diethelm (1985), Juristische Zeitgeschichte. Die Bedeutung der Rechtsgeschichte für die Zivilrechtswissenschaft, Gießen

Korsgaard, Christine M. (1996), Introduction, in: Gregor, Mary (Hg.), Immanuel Kant: Groundwork of the Metaphysics of Morals, Cambridge, i–xxx

Kraetzig, Viktoria (2022), Das Urheberrecht als Zensurrecht, Tübingen

Kramer, Helmut (2009), »Wer im Namen des Volkes Recht spricht…«. Über Schwierigkeiten bei der Erforschung der Vergangenheit, in: Kritische Justiz 42, 316–318

Kroll, Frank-Lothar et al. (Hg.) (2021), Die Hohenzollerndebatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit, Berlin

Kümmel-Schnur, Albert, Sibylle Mühleisen, Thomas S. Hoffmeister (2020), Transfer in der Lehre. Zivilgesellschaftliches Engagement als Zumutung oder Chance für die Hochschulen?, Bielefeld

Liebscher, Doris (2020), Clans statt Rassen – Modernisierungen des Rassismus als Herausforderungen für das Recht, in: Kritische Justiz 53, 529–542

Loock, Kathleen (2014), Kolumbus in den USA. Vom Nationalhelden zur ethnischen Identifikationsfigur, Bielefeld

Malinowski, Stephan (2021), Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration, Berlin |

Manegold, Bartholomäus (2002), Die Archivierungspflicht öffentlicher Stellen und das Archivzugangsrecht des historischen Forschers im Licht der Forschungsfreiheitsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 GG, Berlin

Meinel, Florian, Benjamin Kram (2014), Das Bundesverfassungsgericht als Gegenstand historischer Forschung. Leitfragen, Quellenzugang und Perspektiven nach der Reform des § 35b BVerfGG, in: JuristenZeitung 69, 913–921

Metzler, Gabriele (2004), Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn

Möller, Horst (2003), Was ist Zeitgeschichte?, in: Möller, Horst, Udo Wengst (Hg.), Einführung in die Zeitgeschichte, München, 13–51

Ogorek, Regina (1986), Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main

Otto, Martin (2010a), 2046 weiß man alles über die KPD, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. August 2010, 33

Otto, Martin (2010b), Keine Gnade für Doktoren!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Oktober 2010, 35

Partsch, Christoph J. (2021), Bundesarchivgesetz. Handkommentar, 2. Aufl., Baden-Baden

Pawelletz, Regina (2021), Der Zugang zu den Akten des Bundesverfassungsgerichts aus archivrechtlicher Sicht, in: Deiseroth/Weinke (Hg.) 147–153

Richter, Hedwig (2020), Demokratie. Eine deutsche Affäre, München

Richter, Hedwig (2021), Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich, Berlin

Schmidt-Räntsch, Jürgen (2009), DRiG. Deutsches Richtergesetz. Richterwahlgesetz. Kommentar, 6. Aufl., München

Schmoeckel, Mathias, Matthias Maetschke (2016), Rechtsgeschichte der Wirtschaft. Seit dem 19. Jahrhundert, 2. Aufl., Tübingen

Schönberger, Sophie (2021), Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie, München

Schröder, Jan (2020), Recht als Wissenschaft, 2 Bde., 3. Aufl., München

Schubert, Werner (2020), Quellen zum Deutschen Richtergesetz vom 8.9.1961, Teil I, Frankfurt am Main

Schulz, Wolfgang, Keno C. Potthast (2021), Wissenschaftskommunikation und ihre Förderung aus verfassungsrechtlicher Perspektive, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Wissenschaftskommunikation und Social Media zwischen Rechtsschutz und Regulierungsbedarf, Wissenschaftspolitik im Dialog 15/2021, Berlin, 11–33

Schwartz, Maria (2006), Der Begriff der Maxime bei Kant. Eine Untersuchung des Maximenbegriffs in Kants praktischer Philosophie, Münster

Shohat, Ella, Robert Stam (2014), Unthinking Eurocentrism. Multiculturalism and the Media, 2. Aufl., London

Specht-Riemenschneider, Louisa (2023), Allgemeines Persönlichkeitsrecht, in: beck-online.Grosskommentar, § 823 Rn. 1157–1640, Stand: 1. Februar 2023, München, https://beck-online.beck.de, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Staats, Johann-Friedrich (2012), Deutsches Richtergesetz, Baden-Baden

Süss, Winfried (2021), »Um Erbe und Ehre«. Der Streit um das Hohenzollernvermögen als Skandal und Lehrstück, in: Bösch, Frank et al. (Hg.), Public Historians. Zeithistorische Interventionen nach 1945, Göttingen, 429–443

Tack, Anja (2021), HT 2021: Klio vor dem Kadi. Geschichtswissenschaft zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht (Tagungsbericht), in: H-Soz-Kult vom 20. November 2021, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-127722, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Teubner, Gunther (2015), Rechtswissenschaft und -praxis im Kontext der Sozialtheorie, in: Grundmann, Stefan, Jan Thiessen (Hg.), Recht und Sozialtheorie im Rechtsvergleich – Law in the Context of Disciplines. Interdisziplinäres Denken in Rechtswissenschaft und -praxis, Tübingen, 141–164

Thiessen, Jan (2021), Otto von Gierke (1841–1921), in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 29, 892–937

Thiessen, Jan (2022), Schuld und Entschuldigung – die Entschädigung von Sinti und Roma vor dem Bundesgerichtshof, in: Jessberger, Florian et al. (Hg.), Strafrecht und Systemunrecht. Festschrift für Gerhard Werle zum 70. Geburtstag, Tübingen, 663–684

Thiessen, Jan (2023), Das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, in: Duve, Thomas, Jasper Kunstreich, Stefan Vogenauer (Hg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948-2002, Göttingen, 141–196

Torp, Cornelius(2005), Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860–1914, Göttingen

Torp, Cornelius (2022), Das Deutsche Kaiserreich in der ersten Globalisierung, in: Riotte, Torsten, Kirsten Worms (Hg.), Das Kaiserreich vermitteln. Brüche und Kontinuitäten seit 1918, Göttingen, 167–192

Tuchman, Barbara W. (1964), Can History Be Served Up Hot?, in: The New York Times Book Review vom 8. März 1964, 1, 28, 30

United States Senate, Subcommittee on Administrative Practice and Procedure of the Committee on the Judiciary (1974), Freedom of Information Act Source Book. Legislative Materials, Cases, Articles

Weinke, Annette (2021), Erfolgreiche Selbstaufklärung? Zur Erforschung der NS-Justizvergangenheit durch die juristische Zeitgeschichte, in: Deiseroth/Weinke (Hg.) 87–99

Welcker, Carl Theodor (1841), Oeffentlichkeit, in: Rotteck, Carl von, Carl Theodor Welcker (Hg.), Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands, Bd. 12, Altona, 252–309

Werner, Frank, Judith Scholter (2022), »Die Weltgeschichte hat ihr Urteil geprochen«, in: ZEIT Geschichte vom 8. Februar 2022, 16–21

Wiegrefe, Klaus (2019), »Der Mann war eine Flasche«. Historiker Christopher Clark über den Hohenzollern-Streit, in: DER SPIEGEL 44/2019, 56

Wieling, Hans Josef, Thomas Finkenauer (2020), Sachenrecht, 6. Aufl., Berlin

Wilsch, Harald (2023), § 12 GBO, in: Beck’scher Online-Kommentar zur Grundbuchordnung, https://beck-online.beck.de/, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Wirsching, Andreas (2021), Rezension von: Hedwig Richter, Demokratie. Eine deutsche Affäre. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2020, in: sehepunkte 21, Nr. 3 vom 15. März 2021, http://www.sehepunkte.de/2021/03/34995.html, zuletzt abgerufen am 29. März 2023

Notes

* Erweiterte Schriftfassung der Max Planck Lecture in Legal History and Legal Theory vom 17. Januar 2023. Die Vortragsform wurde beibehalten. Dem Institut sei für die Einladung, dem Publikum für die Diskussionsbeiträge, die ich im Text vielfach aufgreife, herzlich gedankt.

1 Zu Periodisierungen in der Geschichtswissenschaft Metzler (2004) 27 ff.; Möller (2003) 22 ff.; für die juristische Zeitgeschichte Klippel (1985) 39; für die »gegenwartsnahe Zeitgeschichte« Doering-Manteuffel/Raphael (2012) 25 ff.

2 Tuchman (1964).

3 Zu der nicht erst seit 1992 geführten Debatte Loock (2014) 23 ff.; Shohat/Stam (2014) 61 ff.

4 In diesem Sinne bereits Klippel (1985) 39 unter Hinweis auf die damalige zeithistorische Forschung.

5 Aus der aktuellen Jubiläumsliteratur siehe nur Bleyer (2022); Bong (2022); Hachtmann (2022).

6 Wie bekanntlich rückblickend behauptet von Goethe (1822) 112.

7 Zum Konzept der Kontrafaktischen Geschichte Jordan (2021) 17 f.; für einen gelungenen Versuch die ab 9. Dezember 2022 im Deutschen Historischen Museum gezeigte Ausstellung, hierzu Backhaus et al. (Hg.) (2023).

8 Da der diesem Beitrag zugrunde liegende Vortrag, der aus persönlichen bzw. pandemischen Gründen zweimal verschoben werden musste, bereits am 3. November 2021 hätte stattfinden sollen und das Manuskript in seiner ersten Fassung zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen war. Die »Zeitenwende«-Rede von Scholz ist dokumentiert im Plenarprotokoll 20/19 des Deutschen Bundestags vom 27. Februar 2022, 1350–1355.

9 Zum voluntaristischen Rechtsbegriff, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt und nach der NS-Zeit modifiziert wiederaufgenommen wurde: Schröder (2020), Bd. 1, 285 ff.; Bd. 2, 117 f.

10 Unten IV.

11 Torp (2005) 51 ff.; Torp (2022) 171 ff.

12 Vgl. nur die Kapitel D.–O. bei Schmoeckel/Maetschke (2016).

13 Feichtner (2022) 189 ff.

14 So banal dies ist, bin ich dankbar für einen Lehrbuchbeleg: Jordan (2021) 21.

15 Grundlegend bereits die Beiträge in: Institut für Zeitgeschichte (1978).

16 Die Archivgesetze und -benutzungsordnungen aus Bund und Ländern sind abgedruckt bei Partsch (2021).

17 Gesetz über die Nutzung und Sicherung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 10. März 2017, BGBl. I, 410.

18 Partsch (2021).

19 Partsch (2021) 6.

20 Kant (1795) 93 f., Hervorhebungen im Original.

21 Partsch (2021) 6. Im Weiteren zitiert Partsch (2021) 34 f., 305–310 umfangreich aus dem Artikel »Oeffentlichkeit« von Welker (1841) und verweist auf die Darstellung zur Öffnung der Archive in Frankreich und die entsprechenden Hardenbergschen Reformbemühungen von Manegold (2002) 23–32.

22 § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG.

23 Kritisch deshalb Partsch (2021) § 11 Rn. 8 ff., 20 ff.

24 § 11 Abs. 1 BArchG.

25 § 11 Abs. 2 BArchG.

26 Partsch (2021) § 11 Rn. 6.

27 § 11 Abs. 3 BArchG.

28 Zum Folgenden, soweit nicht anders gekennzeichnet, mit allen Nachweisen Thiessen (2022).

29 https://invenio.bundesarchiv.de/, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

30 BGH, Urteil vom 30. April 1955 – IV ZR 288/54 – BeckRS 2015, 19231, Bundesarchiv Koblenz, B 283/48610; BGH, Urteil vom 27. April 1972 – IX ZR 45/70 – BeckRS 1972, 31207478, Bundesarchiv Koblenz, B 283/118229.

31 § 1 Nr. 5 BArchG.

32 Allgemein zum Kriterium der letzten inhaltlichen Bearbeitung Partsch (2021) § 1 Rn. 20.

33 ARK-Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Wiedergutmachung« (2010). Leicht zugänglich ist etwa die Wiedergutmachungs-Datenbank im Landesarchiv Berlin, wga-datenbank.de/, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

34 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivsrechts, BT-Drucks. 18/9633, 57.

35 § 12 Abs. 3, 4 Satz 1 BArchG.

36 § 1 Nr. 11 a bb BArchG.

37 § 10 Abs. 2 BArchG.

38 § 12 Abs. 2 Nr. 1 BArchG.

39 § 12 Abs. 3 BArchG, dazu bereits oben bei Fn. 35.

40 § 13 Abs. 1, 3 BArchG.

41 Vgl. Partsch (2021) § 10 Rn. 1, § 11 Rn. 1.

42 Zur Behebung einer Beweisnot Partsch (2021) § 12 Rn. 13.

43 Partsch (2021) § 11 Rn. 23–28; § 12 Rn. 1.

44 § 12 Abs. 2 Satz 1 BArchG.

45 § 12 Abs. 2 Satz 2 BArchG.

46 Specht-Riemenschneider (2023) § 823 Rn. 1177 f.

47 Specht-Riemenschneider (2023) § 823 Rn. 1181.

48 Frankfurter Rundschau vom 30. April 2009, 47.

49 Unten III.7.

50 Oben bei Fn. 28.

51 Staats (2012) § 43 Rn. 12.

52 § 30 Abs. 2 BVerfGG; hierzu Klatt (2023) 96 ff.

53 Insoweit kritisch Schmidt-Räntsch (2009) § 43 Rn. 4.

54 Dafür Schmidt-Räntsch (2009) § 43 Rn. 5.

55 Staats (2012) § 43 Rn. 5.

56 Sie ist traditionell ein wesentliches Motiv für das Beratungsgeheimnis, Schmidt-Räntsch (2009) § 43 Rn. 4.

57 Ogorek (1986) 171 ff.; Haferkamp (2004) 150 ff., 176 ff.; Haferkamp (2018) 284 ff.; zur Fortentwicklung nach 1900 Schröder (2020) 309 ff.

58 Mir zur Kenntnis gelangt als Mitglied des Ständigen Ausschusses des Deutschen Rechtshistorikertags zwischen 2016 und 2022 aus den Akten des Ständigen Ausschusses. Anlass war eine Resolution des 38. Deutschen Rechtshistorikertags in Münster, die wiederum auf die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Bezug nahm, dazu Otto (2010a); Otto (2010b).

59 § 35b Abs. 5 BVerfGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom 29. August 2013, BGBl. I, 3463. Einen Unterschied zum BGH sieht Pawelletz (2021) 151 darin, dass die Fristen gemäß § 35b Abs. 5 BVerfGG nicht gemäß § 12 Abs. 1 und 3 BArchG verkürzbar seien. Doch verweist § 35b Abs. 5 BVerfGG auf die »archivgesetzlichen Regelungen«, also auch auf § 12 Abs. 1 und 3 BArchG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/13469, 3. Anders war dies nach §§ 5 Abs. 3 Satz 1, 2 Abs. 4 Nr. 2 BArchG a.F., dazu Meinel/Kram (2003) 917.

60 Zu Briefen von Friedrich Nietzsche RG, Urteil vom 7. November 1908 – I 638/07 – RGZ 69, 401, 404 f.

61 Partsch (2021) § 11 Abs. 1 unter Hinweis auf Manegold (2002) 269 f., der dies mit abweichenden internationalen Erfahrungen konfrontiert.

62 Hiermit greife ich Fragen von Stefanie Rüther und Heinz Mohnhaupt aus der Diskussion nach dem diesem Beitrag zugrunde liegenden Vortrag auf.

63 Hollmann (2021) 44.

64 Weinke (2021) 99, welche für eine auf das Beratungsgeheimnis gestützte Weigerung, Akten vorzulegen, keine Beispiele nennt. Im Übrigen verweist sie auf eine – im Ergebnis gerade nicht erfolgreiche – Verweigerung von Akteneinsicht auf der Grundlage von »nicht näher konkretisierten Bestimmungen des Bundesbeamtengesetzes«, die von Kramer (2009) berichtet wurde, dem die Personalakten von Heinrich Ebersberg und Eduard Dreher vom Bundesjustizministerium dann doch vorgelegt wurden, allerdings erst nach mehrfacher »Belehrung der Ministerialbeamten über die eindeutige Rechtslage«.

65 Staats (2012) § 43 Rn. 2.

66 Überblick bei Schmidt-Räntsch (2009) § 43 Rn. 1.

67 Entwurf von 1949 zum Gesetz über die Rechtsstellung der Richter in Bayern (Bayerisches Richtergesetz), in: Schubert (2020) 84.

68 Zur Abgrenzung auch zum Umweltinformationsgesetz und zum Verbraucherinformationsgesetzt Partsch (2021) § 10 Rn. 29 ff.

69 Zur dortigen Gesetzgebungsgeschichte: United States Senate (1974) 6 ff.

70 Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) vom 5. September 2005, BGBl. I, 2722.

71 §§ 1, 3 IFG.

72 §§ 3 Nr. 1 g, 4 Abs. 1 IFG.

73 § 3 Nr. 4 IFG.

74 § 5 Abs. 1 IFG.

75 Kritisch hierzu Kraetzig (2022) 37 ff.

76 § 1 Abs. 3 IFG.

77 § 11 Abs. 5 Nr. 2 BArchG.

78 Siehe nur Art. 89 DSGVO, §§ 27 f. BDSG.

79 Siehe nur Erwägungsgrund 27 zur DSGVO.

80 Publizierte Ergebnisse bei Jessberger/Schuchmann (2021); siehe außerdem das von Margit Szöllösi-Janze betreute DFG-Projekt »Politische Gewalt in der Bundesrepublik. Bewegung 2. Juni – Revolutionäre Zellen und Rote Zora – Rote und Schwarze Hilfen«.

81 § 53 StPO.

82 § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO.

83 Ähnlich § 150 GewO, § 21 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG) oder § 19 des Zollfahndungsdienstgesetzes.

84 § 476 Abs. 7 StPO.

85 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2021 – 2 BvF 1/20 – BVerfGE 157, 223–298.

86 BVerfGE 157, 223, 268 Rn. 117.

87 Mit allen Nachweisen Thiessen (2021) 893, 937.

88 https://digital.zlb.de/viewer/berliner-adressbuecher/, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

89 Der Präsident des Amtsgerichts Charlottenburg an den Verfasser vom 4. Mai 2021: »Die Einsichtnahme in ein Grundbuch wird lediglich auf schriftlichen bzw. persönlichen Antrag und nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses erteilt. Dieses müssen Sie sehr detailliert vortragen. Eine historische Recherche alleine stellt noch kein solches Interesse im Sinne der Grundbuchordnung dar.«

90 Wilsch (2023) § 12 Rn. 3, 6; Wieling/Finkenauer (2020) § 19 Rn. 22.

91 Grundbuch von Stadt Charlottenburg Bd. 380 Blatt Nr. 12208.

92 Carmerstraße 12, Bd. 1.

93 Landesarchiv Berlin, B Rep. 207-01 Nr. 152.

94 Unter bewusstem Verzicht auf eine eigene Einordnung in den Debattenkontext seien hier nur genannt die Beiträge in Kroll et al. (Hg.) (2021) sowie als Kontrapunkt Conze (2020) 249 ff.; Malinowski (2021) 567 ff.; Schönberger (2021) 22 ff.; Süss (2021).

95 Grieger (2016).

96 Thomas Duve danke ich für den Hinweis auf Überlieferungen indigener Bevölkerungsgruppen weltweit, die ihre Bestände abseits staatlicher Archive verwalten, welche mitunter von den früheren Kolonialherren gegründet wurden.

97 § 10 Abs. 1 Satz 2 BArchG.

98 https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/hitler-tagebuecher-ndr-veroeffentlicht-alle-baende-a-a9a1c3c3-1851-4d1a-a0b4-068dbf94bc0d, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

99 Statut für das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Fassung vom 24. Mai 2018, https://www.archiv-berlin.mpg.de/61105/Statut_Archiv-MPG.pdf, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

100 https://www.mpg.de/zahlen-und-fakten, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

101 Thiessen (2023).

102 Kilb (2023).

103 Aus juristischer Sicht allerdings Hillgruber/Bender (2021); Gärditz (2021) 283 ff., 306, der den Umgang der Historiker mit Rechtsbegriffen kritisiert.

104 Wiegrefe (2019); Werner/Scholter (2022); siehe auch Malinowski (2021) 580 f.

105 http://hohenzollern.lol, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

106 Tagungsbericht von Tack (2021).

107 https://wiki.hhu.de/display/HV/Hohenzollern-Klage-Wiki, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

108 https://www.deutschlandfunkkultur.de/hohenzollern-anwalt-kontert-vorwuerfe-von-historikern-ist-100.html, zuletzt abgerufen am 29. März 2023.

109 Gärditz (2019) Art. 5 Abs. 3 Rn. 52 ff.

110 Für diese methodischen Selbstverständlichkeiten verweise ich einmal mehr auf Jordan (2021) 21.

111 Leicht zugänglich Brose/Grau (2023) § 1004 BGB Rn. 6 ff.

112 Zu dieser Gefahr Schulz bei Tack (2021).

113 Zu den spezifischen Problemen unterschiedlicher zeithistorischer Kommunikationsformate Malinowski bei Tack (2021).

114 Für diesen Hinweis danke ich Martin Sabrow.

115 Dazu nur die Beiträge in Kümmel-Schnur/Mühleisen/Hoffmeister (2020).

116 Gärditz (2019) Art. 5 Abs. 3 Rn. 14.

117 Vielleicht ist meine Interpretation von Gärditz auch zu verkürzt, vgl. Gärditz (2020): »Wer für einen Rechtsstreit ein Gutachten verfasst, betreibt keine Geschichtswissenschaft, sondern muss Tatsachenmaterial für konkrete Rechtsfragen aufbereiten, was rein instrumentell methodisch sauberes ›Handwerk‹ erfordert. Auf die Wissenschaftsfreiheit kommt es insoweit jedenfalls nicht unmittelbar an.« Differenzierend Gärditz (2021) 306.

118 Für die an beides anzulegenden Maßstäbe überzeugend Gärditz (2021) 305. Entwaffnend offen Clark bei Werner/Scholter (2022): »Das Gutachten habe ich sehr schnell geschrieben; es ist kein Glanzlicht der Geschichtsforschung.« Sehr kritisch zu Clarks Gutachten Gärditz (2021) 307.

119 Schulz bei Tack (2021); Schulz/Potthast (2021) 18 unter Hinweis auf Gärditz (2019) Art. 5 Abs. 3 Rn. 111; siehe aber Gärditz (2019) Art. 5 Abs. 3 Rn. 56, wonach nicht nur die Erkenntnis, sondern auch die Erkenntnisvermittlung wissenschaftlichen Methoden folgen muss, um in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit zu fallen.

120 Zur vergleichbaren Aufgabe interdisziplinärer Arbeit für die Übersetzung von Sozialtheorie in Rechtsdogmatik Teubner (2015) 157.

121 Cassier/Klemrath (2023).

122 In diesem Sinne auch Puhlemann und Schulz bei Tack (2021).

123 Ernsthafte Erwägungen zum Thema »Rezensionskritik auf dem Rechtsweg« finden sich bei Hohls in Tack (2021).

124 Mit der »guten wissenschaftlichen Praxis juristischer Zeitgeschichte« greife ich eine Formulierung von Jasper Kunstreich aus der Diskussion nach dem diesem Beitrag zugrunde liegenden Vortrag auf.

125 Deshalb zurückhaltend bereits Tuchman (1964).

126 Thiessen (2021).

127 Ausgelöst durch Richter (2020); dazu sehr kritisch Conze (2020); Jansen (2021); Wirsching (2021); Richter verteidigend Bahners (2021); siehe nochmals Richter (2021).

128 Thiessen (2022).

129 Liebscher (2020).

130 Thiessen (2023).

131 Zum prinzipiellen Gegensatz von Max-Planck-Instituten und universitärer Forschung Thiessen (2023) 144. Die dem Institut angehörenden Herausgeber des Bandes, in welchem der zitierte Beitrag erschienen ist, hatten mich für den Beitrag dezidiert mit dem Wunsch nach einer Außenperspektive angefragt.

132 Kant (1795) 93.

133 Partsch (2021) 6.

134 Ich führe diesen Punkt hier näher aus, um eine – skeptische – Frage von Albrecht Cordes in der Diskussion aufzugreifen.

135 Kant (1785) 51 Fn*.

136 Kant (1785) 51 f.

137 Kant (1795) 93.

138 Zum Zusammenhang von kategorischem Imperativ und der transzendentalen Formel des öffentlichen Rechts Cubo Ugarte (2018) 277 f., 283 ff.; zu Kants Publizitätsbegriff García-Marzá (2012); Holtman (2015).

139 Ich folge hier der auf Anreize und Motive konzentrierten Interpretation von Kants »Maxime«-Begriff durch Korsgaard (1996) xiv; in diesem Sinne auch Schwartz (2006) 94 ff.; zu weiteren, zum Teil abweichenden, formelhaft ausgedrückten Interpretationen Schwartz (2006) 67 ff., 98 ff.; Johnson/Cureton (2022).

140 Dass es sich hierbei um ein »Gedankenexperiment« handelt, betont Cubo Ugarte (2018) 291 im Anschluss an García-Marzá (2012) 101: »The principle requires that the maxim can be enunciated or proclaimed in public, not that it actually is

141 Kant (1795) 93 f.