Die Monopolstellung des iberischen Transatlantikhandels mit Edelmetallen im 17. Jahrhundert ist Historikern gut bekannt. Sie wird aber oft aus einer imperialen historischen Perspektive missverstanden, wenn sie die Vielfalt der Regime vernachlässigt, die im Atlantik regional vernetzt waren und auf lokaler Ebene funktionierten.
David Freeman (Professor an der Universität von Missouri-Kansas City) untersucht die widersprüchlichen Interessen lokaler Eliten, Kaufleute und verschiedener europäischer Mächte rund um Handel und Transport von Silber im iberischen Atlantik. Er entwirft eine sehr überzeugende Argumentation zu den sozialen Beziehungen zwischen Handelsrecht und politischer Marktwirtschaft in Bezug auf den dynamischen Raum des Río de la Plata-Flussbeckens. Statt auf Kolonialverwaltungen oder -gesellschaften konzentriert sich seine Studie auf Beamte vor Ort und private Händler, die einen anderen, genaueren Blick auf die flexiblen Möglichkeiten kolonialen Regierens jenseits nationaler Interessen ermöglichen. Es werden die Grenzen der Implementierung von Gesetzgebung und königlichen Dekreten aufgezeigt, die niederländischen Kaufleuten in der Habsburgermonarchie Handel und Schifffahrt untersagten. Eine Fokussierung auf interimperiale Streitigkeiten zwischen Spaniern und Niederländern kann nach Ansicht des Autors unerwartete Ereignisse verbergen, wie z.B. indirekte Handelskooperationen, die mit Einverständnis lokaler Behörden erfolgten, welche nicht von einem nationalen Imperium gesteuert wurden. Anders ausgedrückt: »Dutch merchants not only provided trading opportunities to their Spanish American partners, but also accessed the silver they needed to trade with the Baltic, the Levant, and the Far East, their Silver World.« (8). Der Autor stellt detailliert dar, wie breit der normative Bereich war, der für lokale Notwendigkeiten und Interessen im Zusammenhang mit dem Silberhandel in der entstehenden Region von Buenos Aires bereitstand. Dieser war auch Ergebnis einer Abfolge von abrupten historischen Ereignissen, die die verflochtene Geschichte des frühneuzeitlichen iberischen Atlantiks beeinflussten. Kurzum, die einzelnen Handelsrouten und illegalen Transaktionen zwischen Schiffen mit exotischen Namen, die in den niederländischen Seehandel involviert waren, offenbaren eine Reihe weiterer kleiner wirtschaftlicher Transaktionen, welche normalerweise bei der – eher aus der Vogelperspektive erfolgenden – Suche nach der normativen Wirksamkeit von Entscheidungen, die von den europäischen imperialen Zentren ausgingen, nicht beachtet werden.
David Freeman nimmt das vom Historiker der frühneuzeitlichen Imperien J.H. Elliott entwickelte historische Konzept der »zusammengesetzten Monarchie« ernst und setzt es in Beziehung zu einem vielschichtigen Geflecht gesellschaftlicher Institutionen zwischen Monarchen, Grundherren und lokalen Eliten in einem gemeinsamen sozialen Umfeld wirtschaftlicher Akteure. Diese historische Interpretation, die den schöpferischen Charakter solcher Imperien hervorhob, kritisierten in letzter Zeit politische Historiker der iberischen Halbinsel, besonders mit Blick auf das 16. und 17. Jahrhundert. Darüber hinaus könnte das Modell der Zentrum-Peripherie-Beziehungen zwischen den imperialen Herrschaftsbereichen der europäischen Zentralmacht und ihren überseeischen Kolonien vereinfacht werden, indem man beide Räume als rechtlich-politisches (Epi-)Phänomen betrachtet. Viele dieser Kritiker wiederholen allerdings die angeprangerten Fehler, indem sie sich nur auf ein Imperium (z.B. das spanische, portugiesische, englische, holländische, französische) oder auf eindimensionale Dynamiken (nur Sklavenhandel, nur Gewürzhandel, nur juristische Aspekte) beziehen. Freeman versucht, diese Fallstricke zu vermeiden, |indem er sich erstens zunächst auf die weitverbreitete Gier nach Silber konzentriert, einer zu jener Zeit sehr wertvollen Ware und Grundlage des Weltwirtschaftssystems, von Iberoamerika über die Habsburger Monarchen bis zur chinesischen Han-Ming-Dynastie. Zweitens wählt er einen dezentralen Forschungsgegenstand außerhalb des Rahmens einer starken Einflusssphäre Madrids: das niederländische Handelsnetz im Atlantik. Und drittens kombiniert der Autor die Erkennt-nisse der vielsprachigen Historiographie mit einer Analyse archivalischer Quellen aus Spanien, England, Frankreich, Argentinien und den Niederlanden.
Der aus rechtshistorischer Sicht bemerkenswerteste Aspekt des Buches ist die Neubetrachtung der institutionellen Herausforderungen in den Atlantikhäfen und ihrer möglichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Das Buch zeigt, wie die historischen Akteure des Río de la Plata-Beckens auf Ereignisse wie den Waffenstillstand zwischen Spaniern und Niederländern, den Westfälischen Frieden sowie die portugiesische Restauration und die darauf folgenden Handelsembargos reagierten. Es wird auch verdeutlicht, wie holländische Kaufleute die Institutionen der Seekontrolle manipulierten, um ihre Schiffe in die Flussmündungen bringen zu können, da das System der Galeonen und spanischen Flotten dorthin nicht vordrang. Anhand einer Sammlung verschiedener, zum Teil detailliert recherchierter Fälle, von Eigentumsbeschwerden bis hin zu einzelnen Petitionen in den Notariaten von Buenos Aires, veranschaulicht der Autor sehr gut die zeitgenössischen Vorgänge bezüglich der Kontrolle und Entladung von Waren sowie der Überwachung der Seewege zwischen den Häfen beim Transport von Sklaven, Waren im Allgemeinen und wertvollen Mineralien wie Silber. Fälle von Betrug, Bestechung, Verkehrsstrategien, klandestinen Transporten von Kaufleuten, sogar Hinweise auf Orte, an denen Seefahrer gefälschte Dokumente erhalten konnten, werden anhand des Systems der navíos de registro, arribadas, avisos und situados aufgezeigt. Andere Institutionen, die eher auf dem Land als auf dem Meer verwurzelt waren, wie die juicios de residencia, die neben den cabildos bestanden, werden als wertvolle Mechanismen zur lokalen Informationsbeschaffung durch die Gouverneure sowie als Berufungskanal zur spanischen Krone beschrieben (59; 182–185).
Allerdings zeigt das Buch leider auch, wie schwierig es für den Historiker ist, in die behandelte Materie einzutauchen, um die Möglichkeit von Normen in der Frühen Neuzeit zu begreifen. Man gewinnt den Eindruck, dass Recht und Wirtschaft von zwei antagonistischen Normativitätsregimen beherrscht werden, von denen das erste immer auf dem Wiederaufleben von Traditionen und das zweite immer auf deren Überwindung beruht. All die geopolitischen Details von Verträgen, Kriegen und politischen Restaurationen zwischen den europäischen Machtzentren und ihre lokalen Auswirkungen, die Haltungen der juridisch-politischen und merkantilen Institutionen zwischen königlicher Politik und den lokalen Entscheidungen der cabildos und Gouverneure – all das scheint zuweilen als einfache Konsolidierung der Normalität zu funktionieren. In vielen Fällen scheint Freeman anzunehmen, dass die wirtschaftlich orientierten Individuen – meist Niederländer – diesen institutionellen Arrangements völlig entfremdet waren. Da die Niederländer in erster Linie als Personen dargestellt werden, die vor allem ein ausgeprägtes Gespür für Marktoperationen im Atlantik auszeichnete, konnten sie leicht manipulative Strategien einbauen. Und wenn der Autor im Verlauf des Textes versucht, diese Vereinfachung der Entscheidungsfindung historischer Akteure zu widerlegen, werden Normen zwar relevant, aber zu einem sekundären instrumentellen Wissen, dessen primäre Funktion es wäre, die Risiken von Nutzen und Notwendigkeit zu optimieren.
Trotz der Unterschiede zwischen der Art und Weise, wie die historischen Akteure ihre eigene Periode wahrnahmen und wie die soziale Realität derselben Periode selbst funktionierte, ist es wertvoll, nach den Grundlagen der Beziehungen zwischen den Semantiken und Strukturen der Frühen Neuzeit zu suchen. Das Phänomen sozialer Normen wird vor allem an den Schnittpunkten von Faktizität und Geltung greifbar, die die Vorstellung des Autors von geregeltem und ungeregeltem »contrabando« problematisieren. Im Gegensatz zu dem, was der Autor vorschlägt, dürfte zwischen regulierten und unregulierten Praktiken das Wirken anderer Sätze oder Formen von Normativitäten existieren. Über solche transversalen Aspekte von Idealen und Praktiken gibt es eine reichhaltige Literatur aus dem Bereich der moralischen Ökonomie in der frühen Neuzeit, auch über das theologische Verständnis von Verträgen, die in diesem Buch völlig außer Acht gelassen werden. Hier ist auf einige, Lucien Febvre folgende, wertvolle Beiträge unter anderem von Jacques Le Goff, Pier |Giuseppe Pesce, Christoph Bergfeld, Bartolomé Clavero, Wim Decock, Carlos Petit sowie einige Schriften von António M. Hespanha zu verweisen. All diese obligatorischen rechtsgeschichtlichen Referenzen, die in der angloamerikanischen akademischen Welt oftmals leider nicht zur Kenntnis genommen werden, verweisen unter anderem auf die Facetten religiöser Normativitäten im frühneuzeitlichen Europa und Übersee sowie auf deren Zusammenwirken mit katholischen monarchischen Politiken, Vertragspraktiken, kommerziellen wie kriegführenden Allianzen und lokalen Verhandlungsprozessen.
Die Überschneidungen zwischen säkularen und spirituellen normativen Fragen sind auch von Historikern der Niederländischen Westindien-Kompanie in der atlantischen Welt hervorgehoben worden, wie die neuere Arbeit von D.L. Noorlander (Heaven’s Wrath: The Protestant Reformation and the Dutch West India Company in the Atlantic World, 2019) zeigt. Dagegen enthält Freemans Konzeption, die sich als rechtlich-politisch gerahmte Dichotomie plus Rational-Choice-Verständnis der meist niederländischen Akteure verstehen lässt, einen Widerspruch zu dem von ihm selbst gewählten historischen Rahmen der zusammengesetzten Monarchien. Er übersieht, dass J.H. Elliotts entsprechendes Modell par excellence auf einem kondensierten multinormativen Wissen fußt, das die Verständnisse von Stadt Gottes und Stadt der Menschheit inmitten einer Pluralität von Bekenntnissen und normativen Praktiken bei der Entstehung der atlantischen Welt verschmilzt und vermischt. Der Kern von Elliotts These kann als das Ergebnis eines administrativen Lernprozesses zwischen der habsburgischen Monarchie und den kirchlichen Organisationen interpretiert werden, was die Formen der Angliederung neuer Territorien und die Regelung der Autoritätsbeziehungen zu den anderen Entitäten (zwischen zwei oder mehreren Diözesen, aber auch bezogen auf neue Territorien der Krone sowie ihren fueros und lokalen Entscheidungspraktiken) betrifft, die dem Prinzip des aeque principaliter folgten. Daher offenbart David Freeman trotz seiner hervorragenden Archivarbeit und der Heranziehung mehrsprachiger Quellen in dieser Hinsicht einen inneren Widerspruch zu seinem Gesamtbild.
* David Freeman, A Silver River in a Silver World: Dutch Trade in the Rio de la Plata, 1648–1678, Cambridge: Cambridge University Press 2020, 222 p., ISBN 978-1-108-41749-5