Es dürfte kaum zu bestreiten sein, dass das sächsisch-magdeburgische Recht über Jahrhunderte grundlegend die Entfaltung des Rechts in Ost- und Mitteleuropa beeinflusst hat. Dem Transfer dieses Teiles der Rechtskultur aus Magdeburg gen Osten ist die Bücherreihe »Ius Saxonico-Maideburgense in Oriente« gewidmet, deren fünfter Band die Anwendung des sächsischen Stadtrechtes auf dem Gebiet von zwei slawischen Nachbarstaaten in den Blick nimmt, nämlich Tschechien und der Slowakei.
Die Vernunftheirat, welche die Tschechen mit den Slowaken seit 1918 für ein dreiviertel Jahrhundert in einem Staat zusammenschloss (wobei diese Rolle zuvor der Herrscher erfüllte), kann kaum etwas am Tatbestand ändern, dass die böhmischen Länder im Mittelalter und in der frühen Neuzeit – trotz gegenseitiger Kontakte und Einflussnahmen – eine etwas andere Entwicklung als das Gebiet der künftigen Slowakei genommen haben. Daher stellt die sehr sinnvolle gemeinsame Untersuchung der tschechisch-slowakischen Problematik in einem Band keine Selbstverständlichkeit dar.
Es überrascht aber, wie unterschiedlich die Passagen, welche jeweils die böhmischen Länder und die Slowakei betreffen, verfasst sind. Diese Unterschiedlichkeit wird bereits im Vorwort wie auch an anderen Textstellen erwähnt. Begründet wird sie u. a. mit der »Rücksicht auf die nicht vergleichbare Quellenlage« (1) oder dem Verweis auf die Tatsache, dass »die Rezeptionssituation in beiden Untersuchungsgebieten trotz vieler Gemeinsamkeiten aus rechtshistorischer Perspektive nicht homogen erscheint« (517) – zweifellos bedeutende Aspekte. Andererseits wäre es in praktischer Hinsicht noch nützlicher, wenn die Bearbeitung beider Regionen möglichst viele Vergleiche enthalten würden.
Unterschiedliche Ansätze werden gleich im ersten Kapitel sichtbar, das dem Rechtstransfer gewidmet ist. Der den böhmischen Ländern gewidmete Teil beginnt mit einer kurzen Skizze der Entwicklung der Verwaltung und der Rechtsprechung dieses Gebiets (11–25). Dabei war die Herausforderung für die Verfasserin Katalin Gönczi sehr groß, eine so umfangreiche Problematik auf einer begrenzten Zahl von Seiten zusammenzufassen. Diese anspruchsvolle Aufgabe ist ihr gut gelungen, auch wenn darüber diskutiert werden kann, welcher Raum der Entwicklung des Landrechtes gewidmet werden sollte, das durch die Einflüsse des magdeburgischen Rechtes höchstens am Rande berührt war. Es überrascht auch der Umstand, dass in der Rekapitulation der territorialen Zusammensetzung der böhmischen Krone die sog. feuda extra curtem kaum behandelt wurden: relativ umfangreiche deutsche Enklaven, auf die sich auch die Lehnsoberhoheit der böhmischen Könige bezog. |
Behandelt werden zudem der Landesausbau und die Stadtentwicklung (25–34), auswärtige Rechtseinflüsse (34–47) und kurz auch die Transferwege zwischen den böhmischen Ländern und Magdeburg (47–48). Im reichhaltigen Anmerkungsapparat wird bedauerlicherweise die tschechische rechtshistorische Literatur relativ wenig reflektiert; häufiger als spezialisierten Studien begegnen wir handbuchartigen Kompendien sowie im Ausland veröffentlichten Studien tschechischer Autoren.
Der »slowakische Teil« dieses Kapitels verzichtet erstaunlicherweise völlig auf jegliche Einführung in die Problematik der Geschichte und Rechtsorganisation von Oberungarn, wenn wir von der etwa einseitigen Zusammenfassung der Berichte aus der Zeit des Großmährischen Reiches und Anmerkungen zu den Kircheninstitutionen, welche ihren Einfluss hier geltend gemacht haben, absehen (48–49). Dem Bereich Landesausbau und Stadtentwicklung ist lediglich ein kurzes Unterkapitel gewidmet (49–50), ergänzt um die knappe Darlegung der königlichen Unterstützung durch Stadtprivilegien (51–52) und einigermaßen umfangreichere Passagen über die Blütezeit der Städte insbesondere im 14. Jahrhundert (52–56). Gründlicher ist die Frage des Rechtstransfers bearbeitet: also der Wege, auf denen das magdeburgische Recht in dieses Gebiet gelangte (56–72). Besonders interessant ist hier, dass die Herkunft des Silleiner Stadtrechtes ihren Ursprung im schlesischen Teschen hatte, was die Existenz der Bindungen von böhmischen Ländern zu den benachbarten Gebieten des Königreiches Ungarn bestätigt. Ein kurzer Ausblick zu weiteren Einflüssen auf das Stadtrecht auf dem Gebiet der heutigen Slowakei beendet das Kapitel.
Am augenscheinlichsten kommt der Unterschied zwischen beiden so konzipierten Teilen der Veröffentlichung in den historisch-linguistischen Passagen zum Ausdruck, welche zweifelsohne den Kern und wichtigsten »Mehrwert« der Veröffentlichung bilden. Als Ausgangspunkt für den Sprachvergleich wurde, zumindest was die deutschen Texte anbelangt, das Sächsische Weichbild als grundlegende repräsentative Sammlung von Normen des magdeburgischen Rechtes gewählt, welche sich intensiv außerhalb der Grenzen von Sachsen verbreitete, wovon viele erhaltene Abschriften und auch spätere Übersetzungen zeugen. In Böhmen ist eine solche Übersetzung in einem Manuskript erhalten, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden ist und den vielsagenden Titel »Práva saszká« (Sächsisches Recht) trug. Die anders gelagerte Situation in der Slowakei war auch der Grund, warum hier das Silleiner Rechtsbuch zum Ausgangspunkt geworden ist, welches auf Deutsch 1378 niedergeschrieben und 1473 ins slowakisierte Tschechisch übersetzt wurde. Zudem ist die Sammlung Zipser Willkür berücksichtigt, deren älteste Abschrift der Mitte des 15. Jahrhunderts entstammt.
Während die teilweise unterschiedlichen Ausgangspunkte nachvollziehbar sind, können die bereits auf den ersten Blick inkommensurablen Ansätze Fragen aufwerfen. So legt Inge Bily für die böhmischen Länder eine minutiöse deutsch-tschechische kontrastive Wortanalyse vor (135–396), deren Bestandteil ein umfangreicher rechtsrelevanter Wortschatz im frühneuhochdeutsch-alttschechischen Vergleich ist (169–343). Dagegen stellt das von Marija Lazar verfasste Pendant für das slowakische Milieu nur einen relativ spärlichen Text über linguistische Forschungen zum sächsisch-magdeburgischen Recht in der Slowakei dar (457–516), obwohl er interessante Aspekte und auch methodische Anregungen enthält.
Man könnte fragen, ob in diesem Fall nicht die Gelegenheit verpasst wurde, zum Zwecke weiterer linguistischer Erforschung das Material nebeneinander zu behandeln. Auf diese Weise hätte man klären können, in welchem Maße das mittelalterliche und frühneuzeitliche Tschechisch in den böhmischen Ländern und das slowakisierte Tschechisch in Oberungarn im Bereich der Rechtsterminologie einander ähnelten oder sich vielmehr voneinander unterschieden. Denn das erwähnte Lexikon beruht auf der deutsch-tschechisch-polnischen Trichotomie, wobei das Deutsche die Grundlage bildet und jedem deutschen Terminus auch ein tschechischer und polnischer hinzugefügt wird. Die tschechischen Begriffe werden dann in eine alphabetische Liste geordnet, die auf die entsprechenden Stichwörter unter dem deutschen Äquivalent verweisen.
Die Einbeziehung polnischer Termini als Ergebnis der vorangehenden Forschungen ist sicherlich sinnvoll (vgl. 171). Inwieweit dies praktikabel ist, ist natürlich eine ganz andere Frage. In linguistischer Hinsicht ergibt es für Allgemeinhistoriker, nicht nur für Rechtshistoriker vielleicht mehr Sinn, dass die lateinische Begrifflichkeit (zumindest in den Grundkonturen) aus den lateinischen Übersetzungen des Sächsischen Weichbildes extra|hiert werden konnte. Auf jeden Fall würden es aber Forscher aus der tschechisch-slowakischen Region schätzen, wenn in dieses Wörterbuch auch die Äquivalente aus dem Silleiner Rechtsbuch, ggf. aus der Zipser Willkür miteinbezogen würden; denn damit könnte gezeigt werden, in welchem Maße die Entwicklung der Rechtssprache in der Slowakei andere Wege als im tschechischen Staatsgebiet nahm. Ebenso hilfreich wäre die Erarbeitung eines selbstständigen Wörterbuchs auf Grundlage der deutschen und tschechischen Fassung des Silleiner Rechtsbuchs.
Der tschechisch-deutsch-polnische Wortschatz ist gründlich bearbeitet, und zwar auf der Grundlage methodischer Ausgangspunkte (131–132, insbes. 169–175). Der dreisprachigen Übersetzung folgt eine kurzgefasste Definition des Rechtsbegriffs (logischerweise nur auf Deutsch). Danach werden verschiedene Wortverwendungen des einschlägigen Terminus ergänzt, die aber nur ins Tschechische übersetzt sind. Deren reale Verwendung im Kontext des Rechtstextes wird durch die entsprechenden Abschnitte aus der deutschen und tschechischen Fassung des Sächsischen Rechtes dokumentiert. Der beigefügte Kommentar hat im Grunde ein linguistisches, kein rechtshistorisches Gepräge, wobei darin (möglicherweise überflüssig) wieder polnische Äquivalente angegeben werden. Jedem Stichwort sind verkürzte Literaturverweise beigefügt.
In Bezug auf die Zahl der gründlich ausgewählten Stichworte fallen nur geringfügige Unzulänglichkeiten auf. So findet man z.B. das Stichwort »(Fron-)Bote« (215–216), worauf ein weiteres Stichwort »Boten« (216–217) folgt. Der Logik der Sache angemessener wäre es, beide gemeinsam zu behandeln und, falls die alphabetische Einordnung unter dem Buchstaben F gewählt wurde, einen entsprechenden Verweis hinter dem Begriff »Bote« zu setzen.
Beim deutschen Begriff »Gericht« wird als zweites tschechisches Äquivalent der Begriff »právo« angegeben (224–225). Während in historischer Hinsicht diese Übersetzung richtig (und mit einschlägigen Textabschnitten aus den Quellen belegt) ist, wäre es nützlich zu betonen, dass der Begriff »právo« hier nicht die gleiche Bedeutung wie in der modernen Sprache hat (nämlich »das Recht«), sondern dass es sich um die alte, institutionelle übertragene Bedeutung handelt, welche dem gegenwärtigen tschechischen Äquivalent des Begriffes »Gericht« entspricht (»soud«). Auf jeden Fall sollte der Verweis auf das Stichwort »Gericht« beim tschechischen Begriff »právo« angeboten werden (272). Einer ähnlichen Uneindeutigkeit begegnet man auch beim Begriff »Recht« (275–280). Denn auch hier gilt, dass in manchen Fällen (Wortwendung Nr. II, IV) unter »Recht« die Rechtsinstanz verstanden wird, für die die betreffende Person zuständig ist, was nicht ausreichend betont wird.
Das Verb »vererben« (322) wird in dem einzigen angebotenen Textabschnitt ins Tschechische als »dědit« übersetzt. Das Problem besteht aber darin, dass in dem deutschen Text nicht das Verb »vererben«, sondern nur »erben« verwendet wurde (»sy erbit ir teil«). Dieses Stichwort sollte logischwerweise unter dem Buchstaben E eingeordnet werden. Die tschechische Übersetzung spiegelt konsequent das deutsche Originalmuster (»ta žena dědi svoj diel«) wider, somit entsprechen weder sie noch das deutsche Original der geläufigen zeitgenössischen Rechtsterminologie. Denn hinsichtlich seiner Bedeutung wird damit in der Tat »vererben«, im Tschechischen »odkázat« gemeint.
Unter dem Terminus »Vormund« (326–327) werden als tschechische Entsprechungen die Begriffe »poručník«, »ručitel« und »opatrovník« erwähnt. Den letztgenannten findet man aber nicht in der Stichwortliste, und er kommt auch in keinem der zitierten tschechischen Textabschnitte vor. Während »opatrovník« zumindest hinsichtlich seiner Bedeutung angemessen ist, entspricht der Begriff »ručitel« (alttschechisch »rukojmě« oder »jistec«) vielmehr dem deutschen Begriff des Bürgen.
Schließlich bietet das Substantiv »Wergeld« (333–334) in der Kopfzeile als alttschechisches Äquivalent das übernommene »vergelt«. In der Tat belegen aber auch die beigefügten Textbeispiele für das tschechische Gebiet die Verwendung des möglicherweise geläufigeren lokalen Begriffes »odklad«, der allerdings in der Begriffsliste fehlt (siehe 268).
Bei allen genannten Beispielen handelt es sich naturgemäß um Marginalien, welche keinesfalls die Qualität der geleisteten Arbeit mindern. Solche Hinweise könnten eher für den Fall vom Nutzen sein, dass das ganze Corpus noch weiter aktualisiert wird.
Neben den überaus interessanten Erkenntnissen aus dem Bereich von linguistischen und rechtshistorischen Kontexten bietet das Buch eine Reihe von Übersichtskapiteln (Teile), welche als Aus|gangspunkt für die weitere Forschung dienen können. Auf das historische Lexikon folgt das dreisprachige Wörterverzeichnis der Rechtstermini (403–445), woran die deutsch-tschechisch-polnische Übersicht der Titel relevanter Quellen des magdeburgischen Rechtes anschließt (446–456). Ebenfalls nützlich ist der Forschungsüberblick zu den Untersuchungsgebieten Tschechien und Slowakei (77–97); auch wenn sich hier die Frage stellt, ob man nicht neben der chronologischen Gliederung die Veröffentlichungen, welche sich auf die böhmischen Länder und die Slowakei beziehen bzw. solche Arbeiten, die auf dem Boden dieser Länder entstanden, klarer von derjenigen, die in Deutschland (also »von jenseits der Grenze«) verfasst wurden, getrennt werden sollten. Nicht minder wichtig sind das Verzeichnis der erhaltenen Handschriften bzw. der Drucke von grundlegenden Quellen (99–126) sowie die grundlegende geographische Übersicht (527–533) und das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis; danach folgen noch die Hilfsregister.
Trotz der genannten kleineren Einwände, welche lediglich den subjektiven Blick eines tschechischen Nutzers repräsentieren, besteht kein Zweifel daran, dass hinter dem Buch ein großes Pensum beachtlicher Arbeit steht und dass dieses Buch einen prinzipiellen Beitrag zur Erkenntnis der Verbreitung des magdeburgischen Rechtes in die böhmischen Länder und in den Raum der künftigen Slowakei darstellt. Es bleibt also nur zu bedauern, dass ein ähnliches Werk nicht bereits früher an tschechischen rechtshistorischen bzw. historisch-linguistischen Arbeitsstellen entstanden ist.
* Inge Bily, Wieland Carls, Katalin Gönczi, Marija Lazar, Sächsisch-magdeburgisches Recht in Tschechien und in der Slowakei, Berlin/Boston: De Gruyter 2021, 685 S., ISBN 978-3-11-044402-5