In dem viel zitierten Abschnitt 43 seiner »Philosophischen Untersuchungen« erklärt Ludwig Wittgenstein: »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache«.1 Er wendet sich damit gegen die Vorstellung, Wörter seien (immer gleichbleibende?) »Benennungen von Gegenständen«. Wittgensteins Satz ist auch von Juristen aufgegriffen worden,2 zuweilen wird sogar gefordert, die Juristen sollten ihre Interpretationslehre nunmehr an der Wittgensteinschen »Gebrauchstheorie« orientieren.3
In Wirklichkeit gibt es aber eine Gebrauchstheorie der Wortbedeutung in der deutschen Rechtswissenschaft schon etwa dreihundert Jahre vor Wittgenstein.4 Diese Tatsache ist an sich bekannt,5 nicht aber ihre Gründe. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie es vor dem Hintergrund einer ganz anders orientierten spätantiken und mittelalterlichen Lehre zu der Gebrauchstheorie gekommen ist. Aus rechtshistorischer Sicht ist diese Frage bisher nicht behandelt worden. In der philosophiegeschichtlichen Literatur ist die umfassendste mir bekannte Untersuchung das Buch von Stephan Meier-Oeser über die Entwicklung der Zeichentheorie von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit.6 Naturgemäß beschränkt sich Meier-Oeser aber auf die philosophischen Quellen und spart die oberen Fakultäten (Theologie, Medizin, Rechtswissenschaft) aus.
Ich fasse zunächst die Entwicklung in der Rechtswissenschaft von Bartolus bis in das 18. Jahrhundert kurz zusammen (I), wende mich dann dem Schicksal der Schlüsselbegriffe Autorität (II) und Etymologie (III) in Philosophie und Rechtswissenschaft zu und schließe mit einer Zusammenfassung (IV). Angesichts der enormen Fülle von Quellen und der schwer zu übersehenden, zersplitterten und hochspezialisierten philosophischen Literatur strebe ich natürlich keine Vollständigkeit an, öfters mag auch eine wichtige Quellen- oder Literaturstelle fehlen. Die Grundzüge der Entwicklung hoffe ich aber richtig gesehen zu haben.
In seiner Kommentierung von D.1,1,9 (»omnes populi«) fragt Bartolus, wie die eigentliche Bedeutung, die »significatio propria« eines Wortes ermittelt wird. Sie ergibt sich nach seiner Meinung zunächst aus der Autorität, dann aus der Definition und schließlich aus der »Allusion« oder der Ableitung (»derivatio«) des Wortes,7 wir würden sagen aus der Etymologie. Bartolus’ Lehre wird von zahlreichen Juristen noch in das 15. und 16., sogar in das frühe 17. Jahrhundert weiter getragen. |Unter ihnen sind die ersten Verfasser selbständiger Interpretationstraktate wie Constantius Rogerius, Bartholomaeus Caepolla und Valentin Wilhelm Forster,8 aber auch andere namhafte Autoren wie Andreas Alciatus, Johannes Corasius und Johannes Althusius.9
Blickt man dann aber in die Literatur des mittleren und späten 17. sowie des 18. Jahrhunderts, so zeigt sich ein ganz anderes Bild. Mehr und mehr tritt an die Stelle der bartolischen Trias der allgemeine, gewöhnliche Sprachgebrauch. Schon nach Hugo Grotius sind die Wörter im Sinne des »populären Sprachgebrauchs« zu verstehen, und ebenso äußern sich seine naturrechtlichen Nachfolger Samuel Pufendorf und Christian Wolff.10 Dieselbe Lehre findet sich auch in den zeitgenössischen Schriften über die Gesetzesinterpretation, so in der umfangreichen Dissertation von Johannes Eichel von 1650 und in einem Werk des Hamburger Polyhistors Vincenz Placcius von 1693.11 In der juristischen Hermeneutik des 18. Jahrhunderts scheint dann unumstritten zu sein, dass der gewöhnliche, übliche Sprachgebrauch maßgeblich ist.12
Wie ist diese Neuorientierung der juristischen Bedeutungslehre zu erklären? Offenbar verlieren die Gesichtspunkte, die Bartolus und seine Anhänger für entscheidend hielten – nämlich Autorität, Definition und Etymologie – nach und nach an Gewicht. Unter ihnen kommt es im Grunde nur auf Autorität und Etymologie an, mit deren Hilfe sich eine Wortbedeutung ja erst erkennen läßt, während eine (Real-)Definition13 voraussetzt, dass die Bedeutung eines Wortes schon auf andere Weise erkannt ist. Auf die beiden Schlüsselbegriffe Autorität (II.) und Etymologie (III.) wollen wir uns deshalb konzentrieren.
Bartolus hat seinen Begriff der »Autorität« nicht weiter expliziert. Er bringt aber Beispiele in Gestalt von Worterklärungen aus dem Digestentitel »De verborum significatione« (D. 50,16), aus denen sich ergibt, dass er an die Autorität römischer Juristen denkt, die diese Regeln über Wortbedeutungen aufgestellt haben oder bezeugen. Autorität haben also angesehene Repräsentanten der Rechtswissenschaft. Autorität hat aber natürlich auch das Gesetz selbst,14 wenn es Legaldefinitionen kreiert.15 |
Um Bartolus’ Lehre einordnen zu können, muß man sich einige Grundbegriffe der abendländischen Sprachtheorie (die als solche freilich bis zum 19. Jahrhundert noch keine selbständige Wissenschaft ist) vergegenwärtigen. In der griechischen Philosophie war umstritten, ob die Wörter ihre Bedeutung von Natur aus haben (»physei«) oder erst durch menschliche Setzung (»thesei«) bekommen.16 Platon hatte in seinem Dialog »Kratylos« noch die »physei«-Theorie zu verteidigen versucht. Aber angesichts der biblischen Erzählung von der Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel und der tatsächlichen Verschiedenheit der Sprachen war Platons Standpunkt – nach dem ja alle Sprachen gleich sein müßten – offensichtlich unhaltbar. Die weitere Diskussion orientierte sich deshalb an Aristoteles, der in seiner Schrift »Peri hermeneias« (später übersetzt als »De interpretatione«) erklärt hatte, dass die Wörter ihre Bedeutung κατὰ συνθήκην (kata syntheken), nach Vereinbarung, haben.17 Maßgebend für die spätere Entwicklung wurde die Deutung dieses »kata syntheken« durch Anicius Manlius Severinus Boet(h)ius, den einflußreichen römischen Interpreten und Vermittler der antiken Philosophie. Boetius übersetzte »kata syntheken« mit »secundum placitum«, also »nach Gefallen«,18 und dieses Verständnis der Wortschöpfung behauptete sich19 auch in der philosophischen Literatur der Neuzeit.20 Die Wörter haben ihre Bedeutung nicht von Natur aus, sondern erhalten sie nach dem Gefallen, der Willkür, der Menschen.
Am Anfang steht also eine Bedeutungsverleihung, von den Quellen als »Imposition«21 bezeichnet. Dabei soll die erste Imposition immer die maßgebliche bleiben. In seinen »Summulae logicales«, der verbreitetsten mittelalterlichen Logik, schreibt Petrus Hispanus, die Wortbedeutung »ad placitum« beruhe auf dem Willen des ersten Wortschöpfers.22 Warum das so sein muß, erklärt sein Kommentator Johannes Versorius. Wenn einfach das »placitum« jedes beliebigen (späteren) Sprechers den Wortsinn bestimmte, meint Versorius, dann wäre die Bedeutung eines Wortes bis ins Unendliche veränderbar und es gäbe keine sichere Kenntnis. Deshalb muß es auf das »placitum« des |ersten Imponenten ankommen.23 Es gibt also nicht weitere, zweite, dritte und vierte usw. Impositionen, die den ursprünglichen Wortsinn abwandeln.24
Wer ist nun dieser erste Imponent oder Impositor, auf dessen »placitum« es ankommt? Entsprechend der biblischen Schöpfungsgeschichte konnte man Gott als Sprachschöpfer ansehen, dann auch Adam, der den Tieren und seinem Weib einen Namen gegeben hatte (1. Mose 2, 20 und 3, 20).25 Aber das galt nur für das Hebräische und nicht für die anderen siebzig oder mehr Sprachen, die man am Beginn der Neuzeit kannte. Sie beruhen offenbar auf menschlichen Impositionen. Der Impositor kann bekannt sein, wie etwa ein Gesetzgeber, der eine Legaldefinition einführt oder ein bedeutender Gelehrter, der ein Wort für einen bestimmten Begriff findet. Soweit man annimmt, das Wort müsse irgendwelche Eigenschaften des bezeichneten Objekts wiedergeben, wird zuweilen überhaupt verlangt, daß der Impositor wissenschaftlich geschult, ein Metaphysiker26 oder ein Philosoph und Grammatiker27 ist. Die Imposition erfolgt also durch eine geistige, politische28 oder sonstige Autorität. Ist der Wortschöpfer unbekannt, dann genügt es wohl auch, wenn eine andere Autorität die Wortbedeutung bezeugt.29 Allerdings reicht die Autorität allein noch nicht aus, um eine Imposition in der Sprachgemeinschaft durchzusetzen. Es muß eine entsprechende Sprachgewohnheit hinzukommen.30 Aber der »usus populi«, der Sprachgebrauch des Volkes, |kann die Imposition nur bestätigen, nicht jedoch von sich aus einen Wortsinn schaffen oder verändern. »Das Volk kann nicht machen, dass die eigentliche Bezeichnung [propria significatio] einer Sache wirklich verändert wird«, heißt es bei Bartolus.31 Ein etwa abweichender volkstümlicher Sprachgebrauch repräsentiert also niemals die eigentliche Bedeutung eines Wortes, die man vielmehr immer auf die ursprüngliche Imposition durch eine Autorität zurückführt.
Die Lehre, daß ein von den Autoritäten abweichender Sprachgebrauch des Volkes wirkungslos ist und nichts an der »propria significatio« eines Wortes ändert, ist bis in die frühe Neuzeit hinein herrschend. Ganz unumstritten war sie aber schon am Ende des Mittelalters und in der frühesten Neuzeit nicht mehr. Vor allem gab es Widerspruch von humanistischer Seite. Besonders nachdrücklich kritisiert der bedeutende römische Philologe Lorenzo Valla (gest. 1457) die Impositions- und Autoritätstheorie. Das Volk, so sagt er, spreche besser als die Philosophen.32 Zum Beispiel nennt das Volk ein Faß leer, in dem keine Feuchtigkeit ist, ein Fischbecken leer, in dem kein Wasser oder Fische sind. Der Philosoph dagegen sagt, es sei nicht leer, weil Luft darin ist. Aber wenn alles in der Natur voll wäre, dann gäbe es keine Leere. Oder Aristoteles sagt, eins sei keine Zahl, sondern der Anfang (»principium«) der Zahlen. Aber die Anfänge sind die Sachen selbst: wer den Anfang eines Buches liest, liest das Buch selbst. Wenn zwei Frauen abgezählte Hühnereier verteilen und die eine erhält die mit den geraden, die andere die mit den ungeraden Zahlen, dann bekommt die zweite das Ei, wenn nur ein einziges da ist. »Manchmal haben kleine Frauen eine richtigere Ansicht über die Bedeutung von Wörtern als die größten Philosophen.«33 Das betont Valla immer wieder: Maßgeblich für die Bedeutung eines Wortes ist der Sprachgebrauch des Volkes, bei ihm liegt (nach einer auch später immer wieder zitierten Horaz-Stelle) die Entscheidung und die Norm der Sprache.34
So weit geht die juristische und schulphilosophische Literatur zwar noch nicht. Aber gerade die Juristen waren schon im Spätmittelalter auf die Frage aufmerksam geworden, worauf es ankommen sollte, wenn die »eigentliche« Bedeutung und der Sprachgebrauch auseinandergehen. In diesem Fall hatte sogar schon Bartolus gemeint, bei Statuten gelte der gemeine Sprachgebrauch, sofern sie nicht ausdrücklich auf die »propria significatio« verweisen.35 Baldus wollte von der »propria significatio« zugunsten des gemeinen Sprachgebrauchs abweichen, wenn die »mens« des Gesetzes es erfordere.36 Spätere Juristen gehen weiter und meinen, der Sprachgebrauch habe generell Vorrang, und |dies sei auch schon die Ansicht von Bartolus und Baldus gewesen.37 Für Francisco Suárez ist das dann ein Grund, auch den Sprachgebrauch auf die Ebene der eigentlichen Bedeutung, der »propria significatio«, zu heben. Er zählt drei Arten der »propria significatio« auf: Die erste, »natürliche«, beruht auf »placitum« und Imposition (z.B. »mors« als Tod); neben ihr steht eine zweite »zivile«, welche die natürliche ausdehnt (z.B. »mors civilis« als bürgerlicher Tod); schließlich aber läßt sich noch eine dritte hinzufügen, die man »usualis« nennen kann, die vom Gebrauch und der Sprachgewohnheit herrührt und große Bedeutung in der Rechtswissenschaft hat.38 Sie tritt sogar an die Stelle der »natürlichen«, wenn sie die ursprüngliche Bedeutung verdrängt, weshalb Suárez aus ihr gar keinen besonderen Einteilungsgesichtspunkt machen möchte.39 Ebenso äußert sich Georg Frantzke in seinem Pandektenkommentar von 1644.40 In dieselbe Richtung bewegt sich, ähnlich vorsichtig, die Schulphilosophie der frühesten Neuzeit. So weist etwa Johannes a Sancto Thoma darauf hin, daß Normen ja nicht nur durch ein Gesetz, sondern auch durch Gewohnheit geschaffen werden können.41 Der Sprachgebrauch erhält jetzt also den Rang der »eigentlichen« (propria) Bedeutung, den man ihm früher verweigert hatte. Aber neben ihm bleibt immer noch die ursprüngliche Imposition maßgeblich.
Der letzte Entwicklungsschritt im 17. Jahrhundert liegt dann darin, daß sich die »propria significatio« überhaupt nur noch nach dem Sprachgebrauch richten soll. Ein wichtiger Grund dafür dürfte sein, daß sich in der Sprachtheorie allmählich ein historisches Denken verbreitet.42 Man erkennt die Geschichtlichkeit der Sprache; der Sprachgebrauch kann über die primäre Imposition einer Wortbedeutung hinweggehen und wandelt sich ständig. Besonders deutlich wird der Zusammenhang in der Dissertation von Johannes Eichel über die Gesetzesinterpretation (1650). »Am Anfang«, so sagt er, »sind die Wörter den Dingen durch freien Willen auferlegt worden«. »Aber mit fortschreitender Zeit wurden die Bezeichnungen, die den Dingen nicht richtig zugeteilt erschienen, durch den Gebrauch oder auch die Sachkunde derjenigen, welche die Kunst des Sprechens beherrschten, korrigiert und verändert, so daß wir nun über die eigentliche Bedeutung der Wörter weder aus der ersten Imposition, noch aus der Etymologie und noch viel weniger aus der Allusion urteilen können«,43 vielmehr »meinen wir, daß die eigentliche Bedeutung eines Wortes in jeder Sprache ganz aus dem Gebrauch und der Gewohnheit |herzunehmen ist«.44 Ähnlich hatte schon 25 Jahre vorher Hugo Grotius geäußert, die Wörter seien nach dem populären Gebrauch zu verstehen und nicht nach ihrem ursprünglichen grammatischen Sinn und dazu mit einem Prokop-Zitat angemerkt, die Wörter könnten ihren Sinn verändern.45 Nur noch kurz schreibt 1746 Christian Wolff: »Durch langen Gebrauch pflegt sich die eigentliche Bedeutung eines Wortes zu verändern, daher sind Verträge zu interpretieren nach dem Sprachgebrauch der Zeit, in der sie entstanden sind«.46 Die Entdeckung der Geschichtlichkeit der Sprache ist offenbar eine Parallele zu der, gleichfalls im 17. Jahrhundert beginnenden,47 Entdeckung der historischen Gesetzesinterpretation.
Auch außerhalb der Jurisprudenz verbreitet sich die Einsicht in die Historizität der Sprache und mit ihr die Neigung, nicht mehr nur auf die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes, sondern auf den jeweiligen Sprachgebrauch zu sehen. Es ist kein Zufall, daß Lorenzo Valla, der Vorkämpfer des gemeinen Sprachgebrauchs, auch als einer der ersten das Faktum des Sprachwandels wissenschaftlich nutzbar macht. In seiner berühmt gewordenen Schrift über die Konstantinische Schenkung spielt nicht zuletzt der Nachweis eine Rolle, daß die gefälschte Urkunde Wortbedeutungen unterstellt, die es zur Zeit der angeblichen Niederschrift noch gar nicht gab (etwa »papa« als Anrede für den Papst).48 In der Schulphilosophie weisen schon kurz nach 1600 Bartholomaeus Keckermann und Clemens Timpler auf die Veränderlichkeit der Sprache hin. Für Keckermann ist der Sprachwandel einer von vielen Beweisen dafür, daß die Wortbedeutung nicht »physei« (von Natur), sondern »thesei« (durch Setzung) entsteht,49 und er erklärt dann, das Wort müsse, um Bezeichnungskraft zu haben, durch allgemeine Zustimmung und Gebrauch aufgenommen sein.50 Ebenso verwendet Clemens Timpler die Historizität der Sprache als Beweis für Aristoteles’ »thesei«-Lehre und leitet die Bedeutung der Wörter aus »Vertrag und Übereinkunft« ab.51 Beide Autoren bedienen sich auch des alten Vergleichs zwischen dem Sprachsinn und dem Münzwert: der eine wie der andere ist schwankend und vom »Usus« der Menschen abhängig.52 Auch die ersten fachübergreifenden Interpretationslehren des 17. Jahrhunderts53 legen entscheidenden Wert auf den »Usus«.
Johann Conrad Dannhauer weist in seiner »Idea boni interpretis […]« von 1630 immer wieder auf ihn hin: Grundsätzlich besteht die richtige Auslegung in dem allgemeinen (communis) Begriff eines Wortes, es ist auf den »Usus« abzustellen, für dessen Ermittlung die Lexika nützlich sind, aus dem Usus der Menschen und der Imposition sind die Wörter entstanden und aus ihm müssen sie auch verstanden und erklärt werden.54 Johann |Clauberg sagt schon in den Prolegomena zu seiner »Logica vetus et nova«, daß wir richtig sprechen, wenn wir dem gewöhnlichen (vulgaris) Sprachgebrauch folgen, und an anderer Stelle, es sei der »Usus« zu erklären, den die Wörter im Verständnis derjenigen haben, die sie zu gebrauchen pflegen, also bei allgemein üblichen Ausdrücken das, was alle darunter verstehen.55 Natürlich wissen Dannhauer und Clauberg, daß Wörter ihren Sinn verändern können.56 Später weist auch Johann Martin Chladenius darauf hin und will den »eigentlichen Verstand des Wortes« mehr der »Rede des gemeinen Mannes« als der Gelehrten entnehmen,57 und wie die ihm vorangehenden Hermeneutiker stellt auch Georg Friedrich Meier auf den »Sprachgebrauch im gemeinen Leben und in den Künsten und Wissenschaften ab«.58 Dasselbe findet sich in deutschen Logiken des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, etwa bei dem sächsischen Dichter und Gelehrten Christian Weise, der den eigentlichen (proprius) Sinn der Wörter aus dem Gebrauch beurteilen will oder aus dessen Hilfsmitteln, den Lexika,59 und bei Christian Wolff, der nicht nur in seinem »Ius Naturae« sondern auch in seiner Logik den Sprachgebrauch für maßgeblich erklärt.60
Die Überzeugung, daß der Sprachgebrauch die Wortbedeutung bestimmt, scheint sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weit über Deutschland hinaus durchzusetzen. Die bekannte »Logik von Port Royal« unterscheidet willkürliche, zur eigenen Verwendung gebildete Nominaldefinitionen und nicht willkürliche, diese müssen den allgemeinen Gebrauch (usum communem) eines Namens angeben.61 In England spricht Thomas Hobbes vom »common use« der Wörter,62 und John Locke erklärt, die verbale Kommunikation unter Menschen setze voraus, daß jeder ein Wort »in the common acceptation of that language« verwende.63 Überall soll also nicht mehr die autoritative »erste Imposition«, sondern nur noch der wechselnde, gewöhnliche Sprachgebrauch maßgeblich sein.
Der Übergang zur »Gebrauchstheorie« läßt sich aber nicht allein aus der Entdeckung der Geschichtlichkeit der Sprache erklären. Aus ihr ergibt sich zwar, daß man nicht bei der »ersten Imposition« stehen bleiben kann. Wenn ein Wort seinen Sinn verändert hat, werden seine erste oder weitere frühere Bedeutungen irrelevant, wie etwa Johannes Eichel ausführlich entwickelt.64 Aber der Wegfall des Autoritätserfordernisses ist so nicht zu begründen. Die Wandelbarkeit der Sprache eliminiert ja nicht ohne weiteres den Einfluß von Autoritäten. Nicht nur durch den gemeinen Sprachgebrauch, sondern auch durch Autoritäten kann sich die Bedeutung eines Wortes verändern. Es ist zum Beispiel denkbar, daß eine Legaldefinition nicht durch den Sprachgebrauch, sondern durch den Gesetzgeber selbst eingeschränkt oder erweitert wird, oder daß nicht die Gemeinsprache, sondern die Wissenschaft ein Wort in einer neuen, bisher unüblichen Bedeutung verwendet. Es bedarf also der Erklärung, warum mit dem Übergang zu der neuen Gebrauchstheorie der »propria significatio« nicht nur das Erfordernis der ersten |Imposition, sondern auch das Erfordernis der autoritativen Setzung entfällt.
Die Lösung scheint mir darin zu liegen, daß das Autoritätserfordernis nicht wirklich verschwindet, sondern nur einen anderen Platz (außerhalb der Gemeinsprache) zugewiesen bekommt, nämlich im Rahmen der Fachsprachen.65 Dieser Begriff scheint im Mittelalter noch nicht vorhanden gewesen zu sein. Bei Bartolus und seinen Nachfolgern ist er nicht zu finden, sondern in der alten Vorstellung einer auf autoritativer Imposition beruhenden eigentlichen Wortbedeutung irgendwie mitenthalten. Erst als sich die neue Vorstellung von der durch den gemeinen Sprachgebrauch bestimmten eigentlichen Wortbedeutung durchzusetzen begann, benötigte man eine besondere Rubrik für die Fachsprachen. Sie findet sich denn auch sofort bei den Juristen. Für die »proprietas« eines Wortes, so erklärt Hugo Grotius, ist der populäre Gebrauch maßgeblich, aber für die Wörter der »artes«, die das Volk nicht versteht, die Definition der jeweiligen Fachleute.66 Johannes Eichel spricht 1650 (als erster Jurist?) schon von »termini technici« und unterscheidet zwischen der Bedeutung alltagssprachlicher Wörter, die »vulgo communis« ist, einerseits, und der »termini technici«, bei denen es auf die Autorität der Fachkundigen ankommt, andererseits.67 In der folgenden juristischen Literatur wird die Differenzierung zwischen der eigentlichen, umgangssprachlichen und der besonderen fachsprachlichen Bedeutung der Wörter ganz selbstverständlich.68 – Bei den Philosophen unterscheidet schon 1603 Bartholomaeus Keckermann den allgemeinen Wortgebrauch eines gleichsprachigen Volkes und den besonderen der »artifices« einer Disziplin.69 Ebenso differenziert ein anderer Logiker wie Christian Weise zwischen den »gemeinsamen« Wörtern, bei denen sich die Bedeutung aus dem »Usus« ergibt, und den Wörtern der Fachdisziplinen, bei denen die Übereinstimmung der wichtigsten Fachleute (consensus artificum praecipiorum) maßgeblich ist.70 Auch in der allgemeinen Hermeneutik wird so unterschieden.71 Außerhalb Deutschlands kennt z.B. |Thomas Hobbes neben dem »common use« der Wörter noch die besondere Sprache der Philosophen, und die Logik von Port Royal, mit anderer Systematik, neben den herkömmlichen Nominaldefinitionen, welche die gewöhnliche Bedeutung eines Wortes angeben, noch eine andere Art von Nominaldefinitionen, die willkürlich und frei gebildet sind, wie die der Mathematiker.72 Sicherlich gibt es noch viele weitere Belege. In der neuen Sprachtheorie der frühen Neuzeit steht also zwar durchweg der gewöhnliche, populäre Sprachgebrauch im Vordergrund, aber neben ihm gibt es immer auch die Fachsprachen, die auf die Autorität der Fachvertreter zurückweisen. Daß das Wort »Autorität« nicht so oft vorkommt, erklärt sich aus der wachsenden Abneigung der aufgeklärten Wissenschaft gegen Autoritätsargumente.73 In der Sache bestreitet aber niemand, daß bei den Fachausdrücken das alltägliche Sprachverständnis nicht ausreicht und besondere Fachkunde vorausgesetzt ist.
Wenn also durch die Einführung der »Gebrauchstheorie« nicht nur die erste Imposition, sondern auch das Autoritätserfordernis entfällt, dann liegt darin keine völlige Eliminierung der Sprachautoritäten. Es kehren sich nur Regel und Ausnahme um. Wurde im Mittelalter die »propria significatio«, die eigentliche Bedeutung, eines Wortes durch Autoritäten bestimmt, neben denen die populäre Sprachbedeutung zweitrangig war, so wird in der frühen Neuzeit gerade dieser populäre Sprachgebrauch zur eigentlichen Bedeutung, und die (in der Theorie erst jetzt entdeckten) Fachsprachen der Sachkundigen treten dahinter zurück. Begründungsbedürftig ist also nicht der Ausschluß der Autoritäten, sondern die Rangerhöhung des populären Sprachgebrauchs. Eine quellenmäßig belegbare Erklärung dafür dürfte sich kaum finden lassen. Aber eine Hypothese ist vielleicht möglich. Der populäre Sprachgebrauch ist die »Rede des gemeinen Mannes«74 und gehört damit der jeweiligen Volkssprache an. Der Bedeutungszuwachs des gemeinen Sprachgebrauchs hängt also vielleicht mit der generellen Aufwertung der Volkssprachen in der frühen Neuzeit zusammen. Diese Entwicklung ist allgemein bekannt und oft beschrieben worden.75 In Deutschland macht sie sich seit dem 16. Jahrhundert bemerkbar. Es entstehen erste deutsche Wörterbücher und Grammatiken.76 Die gedruckten Bücher erscheinen mehr und mehr in deutscher Sprache, so daß ausweislich der Meßkataloge schon 1681 mehr deutsche als lateinische Bücher veröffentlicht werden77 und im Zehnjahresabschnitt 1691–1700 erstmals die deutschsprachige Buchpublikation überwiegt.78 Die deutsche Sprache dringt allmählich auch in die Wissenschaft ein. Christian Thomasius kündigt 1687 als erster Universitätslehrer offiziell eine deutschsprachige Vorlesung an79 und veröffentlicht viele seiner Lehrwerke auf Deutsch, ebenso Christian Wolff, der auch in die Philosophie eine zum Teil sehr erfolgreiche deutsche Terminologie einführt.80 Der neue Vorrang des populären Sprachgebrauchs könnte also eine Erscheinungsform des Aufstiegs der Volkssprachen sein.
Als Zwischenresultat ergibt sich: Im Mittelalter folgte die »eigentliche« Bedeutung eines Wortes aus der ersten Imposition und aus der Autorität. Im Laufe der frühen Neuzeit setzt sich dagegen die Vorstellung durch, die eigentliche Bedeutung sei dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu entnehmen. Der eine Grund für diese Veränderung ist die Einsicht in die Geschichtlichkeit der Sprache, wonach es nicht mehr entscheidend auf die erste Imposition ankommen kann. Der zweite Grund dürfte mit dem Aufstieg der Volkssprachen in der frühen Neuzeit zusammenhängen, der die Autorität in den sekundären Bereich der Fachsprachen zurückdrängt.|
Als weiteres Hilfsmittel zur Erkenntnis der Wortbedeutung nennt Bartolus die »allusio seu Derivatio«.81 »Derivatio«, also die sprachliche Ableitung eines Wortes, kann man mit »Etymologie« übersetzen, obwohl sich dieses Wort in der Jurisprudenz erst seit dem 16. Jahrhundert einzubürgern scheint.82 Der Begriff der »allusio« (Anspielung) und wie sie sich von der »derivatio« oder Etymologie unterscheidet, ist dagegen unklar: Manche meinen, die »allusio« beziehe sich nur auf das Wort und seinen Klang, die Etymologie dagegen auf den wahren sprachlichen Ursprung des Wortes,83 andere setzen, wie Bartolus, beides gleich,84 noch andere erwähnen die Allusion neben der Etymologie schon gar nicht.85 Einigkeit besteht aber darin, daß die Etymologie (und/oder Allusion) der Definition nicht widersprechen darf:86 Etymologisch mag z.B. das Testament von »testatio mentis« (Willensbezeugung) herkommen. Aber nicht jede Willensbezeugung ist ein Testament, wie sich aus dessen gesetzlicher Definition in D.28,1,1 ergibt (Äußerung des Willens, was nach unserem Tod geschehen soll); diese hat also Vorrang vor der Etymologie. Davon abgesehen gilt aber die Etymologie als brauchbares Hilfsmittel zur Ermittlung der (aktuellen) Wortbedeutung. Das entspricht einer alten Tradition seit der Antike (1.), die sich erst in der frühen Neuzeit aufzulösen beginnt (2.).
Cicero hatte in seiner Topik drei »loci« genannt, aus denen sich Beweisgründe über einen Gegenstand gewinnen lassen, nämlich Definition, Aufzählung der Teile und »notatio«, »wenn aus der Eigenart des Wortes irgendein Argument gezogen wird«.87 »Notatio« (ein von ihm neu gebildetes Wort), so erklärt er später, ist das, was die Griechen »Etymologie« nennen.88 In der Folgezeit verbindet sich die Etymologie mit der Lehre von der Interpretation bzw. der Nominaldefinition oder wird sogar mit ihr gleichgesetzt. Cicero folgend nennt Marius Victorinus in seiner, früher Boetius zugeschriebenen, Schrift »De diffinitione« drei Arten der Definition, nämlich 1) durch Gattung und Art, 2) durch Aufzählung der Teile und 3) aus der »nota«, aus der sich das ergibt, was die Griechen »etymologia« nennen. Allerdings sei nur die erste wirklich (vere) eine Definition, die anderen – denen er noch weitere hinzufügt – nur dem Namen nach.89 Boetius selbst unterscheidet mit Cicero ebenfalls drei Topoi aus der »Substanz« des Gegenstandes, nämlich Definition, Deskription und Interpretation des Namens, die » ἐτυμολογία« (etymologia) heiße.90 Man könne die Namensinterpretation in gewissem Sinne auch »Definition« nennen, aber eben nur des Wortes, nicht der Sache selbst.91 In seinen bekannten »Etymologiae« bezeichnet auch Isidor von Sevilla die Etymologie als Ursprung der Wörter, als Ermittlung der Wortbedeutung durch Interpretation.92 Die Etymologie |ist also das maßgebliche Hilfsmittel zur Feststellung eines Wortsinnes, auch wenn sie, wie Isidor bemerkt,93 nicht überall angewendet werden kann.
Die hoch- und spätmittelalterliche Logik scheint diese Lehre im wesentlichen fortzuführen.94 Bei den aus der Substanz des Gegenstandes gewonnenen Topoi unterscheidet man nach wie vor zwischen Definition, Deskription (die anstelle von Ciceros »Aufzählung der Teile« tritt) und Interpretation des Namens;95 erst William Ockham und seine Anhänger ersetzen offenbar die Rubrik »Namensinterpretation« durch »Nominaldefinition«.96 Die Namensinterpretation oder Nominaldefinition wird jetzt aber nicht mehr ohne weiteres mit der Etymologie gleichgesetzt, vielmehr beschreibt man sie als eine Art der Definition, die ein Wort durch andere (bekanntere) in derselben und/oder einer anderen Sprache erklärt.97 Sieht man dann aber auf die Erläuterungen, die dazu gegeben werden, so erscheinen sofort wieder die alten etymologischen Beispiele. Allerdings fordern die Logiker, daß diese und das zu erläuternde Wort »konvertibel« sind, also nicht weiter oder enger.98 Beispiel für eine mit dem Wort nicht konvertible Etymologie ist die im Mittelalter besonders beliebte Herleitung von »lapis« (Stein) aus »laedens pedem« (den Fuß verletzend). Da nicht alles, was den Fuß verletzt, ein Stein ist, können Wort und Etymologie hier nicht ausgetauscht werden. Anders soll es mit φιλόσοφος (Philosophos), d.h. griechisch Freund der Weisheit, liegen.99
An der grundsätzlichen Eignung der Etymologie zur Erschließung der Wortbedeutung wird aber nicht gezweifelt, und so bleibt es – nach dem noch konservativeren humanistischen Zwischenspiel100 – auch in der Schulphilosophie der frühesten Neuzeit. Nur kommt es jetzt offenbar zu einem Kompromiß zwischen der antiken Identifizierung von Namensinterpretation und Etymologie und dem mittelalterlichen Verständnis von Namensinter|pretation als Umschreibung: Die Nominaldefinition101 ist entweder Umschreibung eines Wortes oder Etymologie. So kennen jetzt etwa Keckermann und Jakob Martini zwei Arten der Nominaldefinition, nämlich die κατὰ λέξιν (kata lexin), welche ein Wort durch ein anderes bekannteres umschreibt, und die κατ’ ἐτυμολογίαν (kat’ etymologian), welche das Wort aus seinem Ursprung erklärt,102 und Alsted und Timpler unterscheiden bei der Nominaldefinition zwischen der primären (durch Etymologie) und der sekundären (durch andere Wörter).103
Schon bei diesen Autoren104 mehren sich allerdings die Bedenken gegen eine Worterklärung durch Etymologie: Sie funktioniert nicht bei »primitiven«, also nicht irgendwoher abgeleiteten Wörtern,105 sie kann ungenau, also zu eng oder zu weit sein,106 manche Wörter haben mehrere Etymologien;107 überhaupt können Etymologien falsch sein, wie etwa die von »aqua« (Wasser): »a qua sint omnia« (von dem alles kommt)108 usw.109
Der wohl entscheidende Einwand gegen die Etymologie scheint sich aber in der Schulphilosophie um 1600 noch nicht zu finden, nämlich daß sie bestenfalls die erste Bedeutung, nicht jedoch spätere veränderte Bedeutungen eines Wortes erklären kann. Zum Beispiel mag Philosophie etymologisch »Liebe zur Weisheit« sein, sie ist es aber im frühen 21. Jahrhundert, wo jeder Discounter oder Reiseveranstalter seine »Philosophie« hat, sicherlich nicht mehr. Wenn also die Etymologie als Instrument zur Ermittlung des Wortsinnes in der frühen Neuzeit verschwindet, dann kann das nur auf der Einsicht beruhen, daß der Sinn eines Wortes wandelbar ist. Schon 1530 weist Andreas Alciatus (als erster Jurist?) darauf hin, daß die Etymologie versagt, wenn ein Wort seine Bedeutung verändert hat: Die Eheschließung heißt vermutlich deshalb »nuptiae«, weil früher die Frauen bei der Hochzeit ihre Köpfe verhüllt haben (obnubere), aber das ist für die heutige Bedeutung des Wortes nicht mehr relevant.110
Bei den Juristen des 17. und 18. Jahrhunderts wird dann die Historizität der Sprache zum maßgeblichen Argument gegen die Etymologie. So verwirft Johannes Eichel, wie wir schon gesehen haben, wegen der Wandelbarkeit des Wortsinnes nicht nur die »erste Imposition«, sondern auch die Etymologie: »so daß wir nun über die eigentliche Bedeutung der Wörter weder aus der ersten Imposition, noch aus der Etymologie […] urteilen können«.111 Vincentius Placcius erklärt 1664 in seinem unter Pseudonym erschienenen ersten Buch zur Methodenlehre, es sei klar, dass die Etymologie kein ausreichendes Argument ist. Dies |könne durch unzählige Beispiele von Wörtern bewiesen werden, die ihren früheren, etymologisch ableitbaren, Sinn verändert und eine ganz andere Bedeutung angenommen hätten. Die Etymologie gelte also nicht, wo sie dem gemeinen Sprachgebrauch widerspricht.112 Christian Wolff bildet folgende Beweiskette: Bei der Interpretation von Versprechen und Verträgen ist vom gemeinen Sprachgebrauch auszugehen – durch längeren Gebrauch pflegt sich aber die eigentliche Bedeutung der Wörter zu ändern, so dass Verträge nach dem Sprachgebrauch ihrer Entstehungszeit zu interpretieren sind – durch die Etymologie erkennen wir die ursprüngliche Ausprägung eines Wortes – deshalb ist die etymologische Herleitung bei der Interpretation nicht zuzulassen, denn jeder weiß, dass es bei der Bedeutung, die ein Wort im gemeinen Sprachgebrauch hat, nicht auf den Ursprung des Wortes ankommt.113 Soweit ich sehe, verteidigt im 18. Jahrhundert kein Jurist mehr die etymologische Beweisführung bei der Gesetzesinterpretation.
Auch bei den Philosophen zeigt sich zunehmende Skepsis gegenüber der Etymologie. Blickt man zunächst auf die allgemeine Hermeneutik, so setzt sich zwar deren Begründer Johann Conrad Dannhauer für die »Etymologie« ein, versteht darunter aber nicht die »Ableitung« (derivatio) eines Wortes, sondern dessen »Usus«, der aus Lexika eruiert werden kann.114 Etymologie ist hier also nicht mehr der historische Ursprung, sondern die aktuelle Bedeutung eines Wortes, dessen »Semantik«.115 Johann Clauberg verwendet »Etymologie« im alten Sinne und weist darauf hin, daß Wörter ihren Sinn verändern können und dann die ursprüngliche Wortbildung nicht mehr relevant ist.116 Im Ergebnis warnen also beide Autoren davor, den (etymologischen) Ursprung eines Wortes zur Ermittlung des aktuellen Sinnes heranzuziehen. Dasselbe könnte auch die Ansicht von Johann Martin Chladenius sein, bei dem das Wort »Etymologie« schon gar nicht vorzukommen scheint. Aus dem Rahmen fällt allerdings Georg Friedrich Meier, der den »buchstäblichen Sinn« (das ist auch bei ihm der gewöhnliche Sprachgebrauch) der Wörter durch »die Ableitung derselben von ihren Stammwörtern«, mithin »aus der Etymologie« erkennen will.117 Freilich läßt Meier in seinem pedantischen Büchlein auch kein Verständnis für die Geschichtlichkeit der Sprache erkennen. – Von anderen Philosophen kann man wieder Christian Weise nennen. Auch Weise will nur mit Vorsicht auf die Etymologie zurückgreifen, hält jedenfalls positive oder negative Schlüsse von der Etymologie auf |den Namen nur beim grammatischen, nicht aber beim gewöhnlichen (»politischen«) Sinn für zulässig.118 Christian Wolff scheint in seiner Logik weniger auf die Etymologie einzugehen als im Naturrecht, bemerkt aber immerhin, daß die etymologische Auslegung nicht einen dem Autor fremden Wortsinn unterstellen darf.119 Von nichtdeutschen Logikautoren sagt Thomas Hobbes nichts zur Etymologie, wohl weil er überhaupt keine Nominal-, sondern nur noch Realdefinitionen akzeptiert. Und auch in der Logik von Port Royal spielt die Etymologie kaum eine Rolle. An einer Stelle wird das Wort möglicherweise schon im moderneren »semantischen« Sinne verstanden,120 an der einzigen anderen – im Rahmen der Topik, die Arnauld und Nicole überhaupt für überflüssig halten121 – eher ironisch: Mittels der Etymologie könne man beweisen, daß Leute von Welt sich niemals entspannen, weil sie sich niemals mit ernsten Dingen beschäftigen: Entspannen (französisch divertir) bedeute ja etymologisch, sich einmal nicht mit ernsten Dingen zu beschäftigen.122
Es lassen sich vermutlich noch weitere Belege finden, aber die hier gegebenen zeigen jedenfalls, daß auch viele Philosophen (bei der Ermittlung der aktuellen Wortbedeutung) der Etymologie nur noch geringen Wert zumessen. Daß auf sie, namentlich in philologisch-historischen Fragen, nicht ganz verzichtet werden kann, ist ebenso klar und wird auch von juristischer Seite nicht bestritten.123
Nach Bartolus ist die eigentliche Bedeutung, die »propria significatio«, eines Wortes durch Autoritäten, (Legal-)Definitionen und Etymologie zu ermitteln. Auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch kommt es nicht an. Diese Lehre bleibt bis in die frühe Neuzeit hinein herrschend. Im Laufe des 17. Jahrhunderts beginnt die Rechtswissenschaft jedoch, die eigentliche Bedeutung dem gemeinen Sprachgebrauch zu entnehmen.
Ebenso verläuft die Entwicklung in der Philosophie. Die eigentliche Bedeutung eines Wortes soll sich bis zum 16. Jahrhundert aus der Wortschöpfung, der »ersten Imposition«, und aus der dafür verantwortlichen Autorität ergeben (mindestens müssen Autoritäten den Wortsinn bezeugen). Aber wie die Jurisprudenz setzt im 17. Jahrhundert auch die Philosophie den gemeinen Sprachgebrauch an die Stelle der ersten Imposition und der Autoritäten.
Verantwortlich dafür dürften die Einsicht in die Geschichtlichkeit, d.h. Veränderbarkeit der Sprache und der Aufstieg der Volkssprachen sein. Wenn sich die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes ändern kann, dann kommt es nicht mehr auf die erste Imposition an. Und wenn der populäre Sprachgebrauch, die Alltagssprache, die eigentliche Bedeutung eines Wortes bestimmt, dann wirkt sich die Meinung der Autoritäten nur noch in den Fachsprachen aus.
Entsprechend wandelt sich bei Juristen und Philosophen die Wertschätzung der Etymologie. Sie gilt bis zum 16. Jahrhundert als brauchbares |Hilfsmittel zur Ermittlung der aktuellen Wortbedeutung. Auch diese Vorstellung wird mit der Einsicht in die Geschichtlichkeit der Sprache unhaltbar, weil es nicht mehr auf die ursprüngliche Herleitung eines Wortes ankommen kann, wenn dessen Sinn sich verändert hat.
Eine »Gebrauchstheorie« der Sprache, ob nun im Wittgensteinschen Sinne oder nicht, hat sich also schon im 17. Jahrhundert durchgesetzt und bis in die Gegenwart behauptet.
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* Ich widme diese Abhandlung, die im März 2021 fertiggestellt wurde, dem Andenken von Sten Gagnér (geboren am 3. März 1921) und von Michael Stolleis (gestorben am 18. März 2021). Die von diesem zum 70. Geburtstag Gagnérs 1991 herausgegebene Festschrift trug den Titel »Die Bedeutung der Wörter«.
1 Wittgenstein (1960), (§) 43, S. 311.
2 Nachweise bei Schröder (2020), II, § 147 I 1, S. 197f. Wittgensteins Satz wird zitiert z.B. von Fikentscher (1977) 291; Schiffauer (1979) 86; Koch/Rüssmann (1982) 136. Auf Wittgenstein greifen u.a. auch zurück Säcker (1984), Einleitung, Rn. 120; Depenheuer (1988) 39–41; Christensen (1989), s. Register S. 341.
3 So verstehe ich Schiffauer (1979) 86.
4 Ob im Sinne der Wittgensteinschen Theorie, mag hier dahinstehen. Sicherlich herrscht aber seit dem 17. Jahrhundert nicht (mehr) die Vorstellung, Rechtsbegriffe seien unveränderliche »Benennungen von Gegenständen«.
5 Schröder (2020), I, § 31, S. 146.
6 Meier-Oeser (1997) erörtert die Theorie der Wortbedeutung im Rahmen der allgemeineren Lehre vom Zeichen. Die im Folgenden unter III. behandelte Geschichte des etymologischen Gesichtspunkts spielt bei ihm allerdings keine Rolle.
7 Bartolus (1588). Er behandelt zu D.1,1,9, S. 41ff., die deklarative oder expositive Interpretation von Statuten. Zur significatio propria: »Quaero, unde sumatur ista propria, et qualiter cognoscatur?«. »Primo ab auctoritate […]«, »Item a diffinitione […]«, »Item quando praedicta deficiunt, sumitur propria significatio ex allusione seu derivatione vocabuli […]« (S. 43).
8 Rogerius (1549) 23, 27f., Rn. 5, 6; Caepolla (1551), Sp. 12, Rn. 39; Forster (1613), lib. 2, cap. 4, Nr. 17, S. 353.
9 Alciatus (1530) 6 (im weiteren allerdings sehr kritisch zum etymologischen Argument); Corasius (1603), Bd. 1, S. 437ff. (S. 439, Rn. 18); Althusius (1649), lib. 1, cap. 17, Rn. 5, S. 52. Weiterhin etwa noch Everardus a Middelburg (1568) 50, Rn. 11; Decianus (1579), vol. 2 resp. 1, Nr. 38, S. 11.
10 Grotius (1680), lib. 2, cap. 16, § II, S. 304: »Si nulla sit conjectura quae ducat alio verba intelligenda sunt ex proprietate, non Grammatica quae est ex origine, sed populari ex usu«; Pufendorf (1672), lib. 5, cap. 12, § 3, S. 525: »verba intelligenda sunt in proprio suo, & famoso, ut loquuntur, significatu, quem ipsis imposuit […] popularis usus«; Wolff (1746), VI, § 470, S. 327: »a communi usu loquendi recedendum non est«, wenn keine »rationes urgentes in contrarium« vorliegen.
11 Hahn/Eichel (1650), cap. 13, § 11: Die Bedeutung ist »omne ex solo usu & consuetudine desumendum« (zu Eichel s. Schröder (2020), I, § 28, 1, S. 136); Placcius (1693), cap. 8, Rn. 19, S. 221f.: Der eigentliche Sinn ist der, welcher »nunc omnibus lingua illa sive communione orationis utentibus« als maßgeblich erscheint. Placcius hatte schon in einer unter Pseudonym erschienenen, ebenso betitelten Schrift dieselbe Auffassung vertreten: Nomicus Pacemutus Analyticophilus (1664).
12 Holderrieder (1736), sect. 2, § 12, S. 33: »populari atque vulgato sensui tam diu esse inhaerendum, donec necessitas nos urget ab eo recedere«; Eckhard (1750), lib. 1, cap. 1, § 17, S. 8: Die grammatische Interpretation »sensum verborum ex usu loquendi declarat«; Thibaut (1806), § 2, S. 12: Der »Wortverstand des Gesetzes« sind die »Ideen, welche der gemeine Redegebrauch des Volkes oder der besondere Redegebrauch einer Classe von Personen mit den Worten verbindet«; Glück (1797), § 35, S. 227: Die Bedeutung richtet sich im Zweifel »nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Nation, für welche das Gesetz bestimmt war«.
13 Legaldefinitionen, wenn sie wirklich eine neue Wortschöpfung darstellen, kann man dagegen auch der Autorität zuordnen, s. den folgenden Text mit den Fn. 14, 15.
14 Von Autorität des Gesetzes sprechen denn auch mehrere Juristen, welche die bartolische Trias übernehmen, etwa Rogerius (1547) 27, Rn. 5; Caepolla (1551), Sp. 12, Rn. 39 (»ut si in aliqua lege hoc dicatur«); Decianus (1579).
15 Bartolus (1588), zu D.1,1,9, S. 43, ordnet der »diffinitio« nur verschiedene Legaldefinitionen (Testament, D.28,1,1; tutela, D.26,1,1 pr.; obligatio, Inst.1,3,13 pr.) zu, die er auch bei der »auctoritas« hätte unterbringen können.
16 Übersichtliche Darstellungen dazu geben Coseriu (1975) 42ff., 68ff.; Trabant (2006) 20ff.
17 Aristoteles (2014), 2. Kap., 16a; 4. Kap., 16b, 17a.
18 Boetius (1847b), Sp. 293ff. (301 C): »Nomen igitur est vox significativa secundum placitum sine tempore« (im Gegensatz zum Verb, das ein Wort mit Zeitbezug, aber ebenso »ad placitum« ist).
19 Ausführlich dazu Coseriu (1967).
20 An die Stelle von »ad placitum« tritt auch »secundum arbitrium« oder »ex institutione«. Drei Belege aus sehr unterschiedlichen Logiken: Mittelalter: Petrus Hispanus (1572), fol. 7v: »Vocum significativum alia significat naturaliter, alia ad placitum. Vox significativa naturaliter, est illa, quae apud omnes homines idem repraesentat, ut latratus canem, & gemitus infirmorum. Vox significativa ad placitum, est illa, quae ad voluntatem primi instituentis aliquid repraesentat. ut homo, hominem, equus, equum«. – Frühe Neuzeit: Burgersdicius (1666), lib. 1, cap. 24, II 1, S. 78: voces bezeichnen »animi conceptus« und zwar »ex instituto, sive κατὰ συνθήκην«, »ex usu arbitrario hominum eadem societate utentium«; Hobbes (1839) 1ff.: »I suppose the original of names to be arbitrary« (Kap. 2, 2, S. 14). – Zur allgemeinen Anerkennung der aristotelischen Theorie in der Renaissance und in allen philosophischen Schulen s. auch Demonet (1992). Zu abweichenden »kratylistischen« Tendenzen in der Literaturtheorie der frühen Neuzeit s. jedoch Gardt (1994) 45ff., 129ff.
21 Von »positio« spricht Boetius (1847b), Sp. 301 D: Die Bedeutung wird den Wörtern verliehen »secundum positionem, quemadmodum ipsis hominibus placuit, a quibus nomina illa formata sunt«; von »impositio« zum Beispiel Abaelardus (1836) 173ff. (212) Wortbedeutungen, »quae videlicet, prout libuit ab hominibus format […] et ad res designandas impositæ«; Alsted (1628), lib. 1, cap. 3, S. 35: »Hinc recte dicimus, omnem vocem esse impositionis […]«, und viele andere. – Ausführlich zur »impositio« mit einer Fülle von Quellenbelegen Meier-Oeser (1997), vor allem 59–65, 147–153, 263–279, vgl. weiter die Angaben im Register (470).
22 Petrus Hispanus (1572), fol. 7v: »Vox significativa ad placitum, est illa, quae ad voluntatem primi instituentis aliquid repraesentat, ut homo, hominem, equus, equum«.
23 Johannes Versorius, in: Petrus Hispanus (1572), fol. 8 r–v: »si vox significet ad placitum, sua significatio erit variabilis in infinitum, et sic nulla erit certa cognitio de significatione vocis significativae«. Variabel ist nur das nicht, »quod determinate sit ad placitum unius, sicut est vox significativa, quae significat solum ad placitum primi instituentis« (auch zitiert bei Meier-Oeser (1997) 273 Anm. 354, aber ohne das letzte »significat«). Die Bedeutung der ersten Imposition betonen ohne weitere Begründung z.B. auch Boetius (1847b), Sp. 301 D: Die nicht naturaliter gebildeten Wörter gehen zurück auf den »Primus qui rebus nomina condidit«; Alsted (1628), lib. 1 cap. 3, S. 35: »Hinc recte dicimus, omnem vocem esse impositionis, vel primae, vel secundae«.
24 Allerdings kennt man neben der ersten auch eine zweite Imposition. Aber sie ändert nicht die Bedeutung der ersten, sondern bezieht sich, anders als diese, nicht auf Dinge und Begriffe, sondern auf Wörter. S. dazu Pinborg (1967) 37f., 45f.; Hickman (1976); Kelly (2002) 17–23. Davon abweichend, nämlich als eine Modifikation der Wortbedeutung, scheint hingegen Roger Bacon die zweite Imposition zu verstehen, dazu Fredborg (1981) 168f. Anders möglicherweise auch der von Meier-Oeser (1997) 149 zitierte Johannes Aznar (1513).
25 Beispiele aus der Literatur der frühesten Neuzeit: Gott als Sprachschöpfer: Keckermann (1603), lib. 1, sect. 1, cap. 1, S. 10; Timpler (1612b), lib. 3, cap. 4, problema 12, S. 310; Hornejus (1642), lib. 3, quaestio 3, Rn. 4, S. 304f. So noch im 18. Jahrhundert Süssmilch (1766); Adam als Sprachschöpfer: Timpler (1612b), wie oben. Belege auch bei Gardt (1999) 343–348; Meier-Oeser (1997) 149 (Johannes Aznar 1513).
26 So z.B. Roger Bacon, De signis, § 156, nach Fredborg (1981) 168.
27 So der dänische Grammatiker Boethius de Dacia (ca. 1240–1280), Modi significandi, Q. 12, 52–57: Der Imponent muß Grammatiker sein, um das Wort richtig in die Sprache einzufügen, und Philosoph, um die Eigenschaften des Gegenstandes zu erkennen: »Unde si [sc. impositor] purus grammaticus esset, proprietates rerum non consideraret, et si purus philosophus esset, modos significandi et constructiones non consideraret, et ideo debet esse uterque, ut possit imponere voces ad significandum sub modis significandi designantibus proprietates circa res ipsas significatas«, zitiert nach Beuerle (2010) 185. Ein ähnliches Zitat von Boethius de Dacia bei Meier-Oeser (1997) 75 Anm. 141.
28 S. etwa Johannes a Sancto Thoma (1948), 655b 47f.: »impositio et destinatio a republica«, zitiert bei Meier-Oeser (1997) 274, und die weiteren Nachweise dort 273ff.
29 So sind die Autoritäten, die Bartolus aus dem Digestentitel »De verborum significatione« für die Wortbedeutung anführt, wohl eher wortsinnbezeugende als wortschöpfende: D.50,16,83: Güter (bona) kann man nicht die nennen, die größere Nachteile als Vorteile haben (»Javolenus lib. 5 ex Plautio«). D.50,16,235 pr.: Unterscheidung von ferri, portari und agi (»[Gaius] libro tertio ad legem duodecim tabularum«). Hält man allerdings alle »leges« der Digesten für regelrechte Gesetze, dann handelt es sich hier um die Autorität des Gesetzes und nicht um die eines namhaften Autors.
30 Augustinus (2017), S. 69ff., lib. 3, 3, S. 118: »res omnium mentibus communiter sunt insitae, nomina uero ut cuique placet imponit; quorum uis auctoritate atque consuetudine maxime nititur« (auch zitiert bei Meier-Oeser [1997] 28 Anm. 135, der aber nicht »imponit«, sondern »imposita« schreibt); Valla (1540) 643–761: »Nam quis nescit maximam loquendi partem autoritate niti & consuetudine« (lib. 2, S. 708. Valla erklärt allerdings später die »consuetudo« für maßgeblich, s.u. 2); Manderston (1528), fol. B 4va: »impositio est actus voluntatis per quem terminus imponatur ad significandum […] quaedam est sufficiens, et ad talem requiruntur duo: scilicet quod fiat ab habente auctoritatem et quod recipiatur apud illos quoad fit illud impositio« (zitiert nach Meier-Oeser [1997] 147 Anm. 127; weitere Belege dort 149 Anm. 131, 274 Anm. 356).
31 Bartolus (1509) zu D.33,10,7 (»Labeo ait«), Rn. 4–6, fol. 96 r: »Praeterea populus non posset facere, quod [quo?] vere alteretur propria significatio rei«. Vgl. auch Caepolla (1551), Sp. 12, Rn. 42: »Item proprius sensus vocabuli est ille, quem lex ei dat, non quem vulgus imperitum assignat«.
32 Valla (1540), lib. 1, S. 643–761, 684f.: »Melius igitur populus, quam philosophus loquitur«. Hier auch das im Text folgende Beispiel.
33 Valla (1540), lib. 1, S. 649 (falsch paginiert als 651): »Itaque melius de intellectu verborum mulierculae nonunquam sentiunt, quam summi philosophi.«
34 Valla (1540), lib. 1, S. 685: »Respondeat populus penes se esse arbitrium, et normam loquendi«. Weitere Stellen, an denen Valla die Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs betont, finden sich zum Beispiel a.a.O., lib. 1, S. 651 (falsch paginiert als 653): »At philosophia ac dialectica […]«, 656: »Ergo ut veritati […]«; 658: »Quis enim dixerit […]«, 679: »Agamus igitur […]«, 681: »Si alius adhuc […]«; lib. 2, S. 709: »itaque consuetudine tanquam quodam iure civili standum est«; lib. 3, S. 731: »relicta veterum consuetudine […]«, 751: »Id fit consuetudine […]«, 756: »ac quotidianae communique loquendo consuetudine«.). Zu Vallas Sprachtheorie Gerl (1974) 191ff., 211ff. (hier auch zahlreiche Belege zum Vorrang des gewöhnlichen Sprachgebrauchs bei Valla); Waswo (1987) 88ff., 207ff. Sehr kritisch zu Waswo: Vickers (2002) 320–329.
35 Bartolus (1509). Baldus (1586), zu C.1,14,5 (non dubium), Rn. 8, fol. 65r, versteht ihn allerdings in dem umgekehrten Sinn: auf den »communis usus loquendi« kommt es nur dann an, wenn das Gesetz auf ihn verweist.
36 Baldus (1586), fol. 65v. Er demonstriert das an einem alten rhetorischen Beispiel: Es ist verboten, im Palast Blut zu vergießen. Wie aber, wenn im Palast ein Aderlaß vorgenommen wird? Hier liegt zwar nach der »propria significatio« ein »Blutvergießen« vor, nicht aber nach der »mens« des Gesetzes und dem Verständnis des Wortes »Blutvergießen« im gemeinen Sprachgebrauch.
37 Etwa Caepolla (1551), Sp. 10, Rn. 27 (unter Berufung auf Baldus, über den er aber möglicherweise nicht hinausgehen will). Everardus a Middel-burg (1568), locus ab etymologia, Rn. 10, S. 50 (Vorrang des gemeinen Sprachgebrauchs bei Statuten, unter Berufung auf Bartolus). Bei Unbekanntheit der eigentlichen Bedeutung bzw. Dunkelheit soll der gemeine Sprachgebrauch auch maßgeblich sein nach Lagus (1592), pars 1, cap. 8, Rn. 6, S. 40, und Althusius (1649), lib. 1, cap. 17, Rn. 9, S. 53 (unter Berufung u.a. auf Bartolus).
38 Suárez (1613), lib. 6, cap. 1, Rn. 9, S. 418: »Quibus [sc. den ersten beiden] addi potest tertia significatio, quae vocari potest usualis, qui est ab usu, & consuetudine loquendi, quae magnam vim habere solet in significatione vocum interpretanda, adeo ut in legum expositione proprietati etiam verborum usus praeferendus sit, ut iuris periti cum Barth. docent«. Allerdings vereinfacht Suárez hier die eben dargestellte juristische Lehre.
39 Suárez, wie vorige Fn.: »nam si usus verbi sit communis totius populi in vulgari modo loquendi, iam illa significatio est facta magis propria magisque naturalis, quam primaeva«.
40 Frantzke (1644), lib. 1, tit. 3, Rn. 17, S. 42: Die natürliche Bedeutung ergibt sich, »quando intelliguntur [sc. verba], uti jacent, & ab initio rebus imposita, aut certo communi usu totius populi in vulgari modo loquendi recepta fuerunt« (kursiv von mir). Bei zweideutigen Wörtern soll es sogar allein auf den »communis usus« ankommen (Rn. 23, S. 43).
41 Johannes a Sancto Thoma (1948) 719 b: »consuetudinem habere vim legis. Ergo consuetudo introducens aliquid ad significandum eadem auctoritate introducit rem illa in signum, qua ipsa lex introduceret«, nach Meier-Oeser (1997) 278 Anm. 366. Meier-Oeser spricht in diesem Zusammenhang von einem »juristischen Modell der Begründung sprachlicher Bedeutung« (277).
42 So schon, m.E. zutreffend, Meier-Oeser (1997) 279.
43 Hahn/Eichel (1650), cap. 13, VII, fol. I 2v, I 3r: Nomina »ab initio liberrima voluntate fuerunt imposita, ita procedente tempore ea [sc. nomina], quae haud recte rebus tributa visa sunt, usu vel etiam peritia illorum, qui artem dicendi calluerunt, correcta & mutata sunt, ut adeo de proprietate vocabulorum neque ex prima impositione, neque etymologia, multo minus allusione judicare queamus«.
44 Hahn/Eichel (1650), cap. 13, XI, fol. Kr: »Quicquid itaque in ulla lingua propriarum s. κυρίων [kyriōn] vocum deprehendere licet, id omne ex solo usu & consuetudine desumendum esse putamus« (kursiv von mir).
45 Grotius (1625). Das griechische Prokop-Zitat (S. 304 Anm. 2) gibt Grotius wie folgt wieder: »longa dies non solet servare voces in quibus primum datae sunt. Sensu vertuntur enim res ipsae, qua volunt homines […]«. Das Prokop-Zitat benutzt später, mit anderer Übersetzung, in diesem Zusammenhang auch Pufendorf (1662); daneben zitiert er u.a. Quintilians (Institutio oratoria 1, 6, 3) Vergleich von Wort und Münze, dazu auch u. zu Fn. 52.
46 Wolff (1746), VI, § 471, S. 328: »longiore autem usu proprius verborum significatus mutari solet; pacta interpretanda sunt secundum usum loquendi ejus temporis, quo condita fuerunt« (kursiv im Original).
47 Dazu Schröder (2003).
48 Setz (1975) 44.
49 Keckermann (1603), lib. 1, sect. 1, cap. 1, S. 11: »at linguas semper varias pati mutationes quis ignorat?«.
50 Keckermann (1603) 26: »vox sit communi consensu & usu recepta«.
51 Timpler (1612b), lib. 3, cap. 4, problema 12, S. 311, und zur Wortbedeutung S. 310 (»ex pacto et consensu«). Zu Timpler auch Meier-Oeser (1997) 278f.
52 Keckermann (1603) 26: »verba valent usu sicut nummi«; Timpler (1612b) 312. Bezeichnenderweise benutzt auch Valla (1540), lib. 2, S. 708, den Münzvergleich unter Berufung auf Quintilian, Institutio oratoria, 1, 6, 3. In der Rechtsliteratur findet er sich jedenfalls noch am Ende des 18. Jahrhunderts bei Glück (1797), § 35, S. 227. – S. dazu auch Gardt (1994) 334, und die von ihm zitierten Weinrich (1958); Dascal (1976). Hier stehen allerdings andere Vergleichspunkte als die Wertveränderung im Vordergrund.
53 Dazu Danneberg (2001) 98ff., 106ff. Als dritten frühen Hermeneutiker, noch vor Dannhauer und Clauberg, nennt Danneberg Bartholomäus Keckermann.
54 Dannhauer (1652): Richtige Auslegung besteht grundsätzlich »in communi vocum notione in intelligendo aliquo scripto« (§ 51, S. 85), sie ergibt sich »ex usu, penes quem vis est & norma loquendi [Horaz-Zitat!] […] quam ad rem prosunt Lexica« (§ 71, S. 129), »Ex usu hominum & impositione omnes voces natae sunt«, deshalb auch »ex eodem usu cognosci illae & explicari omnes debent« (§ 75, S. 137). Daß es immer nur auf die erste Imposition ankommen soll, sagt Dannhauer nicht!
55 Clauberg (1658), Prolegomena, cap. 5, S. 36: »si usum loquendi vulgarem sequamur, recte loquemur«; p. 2, cap. 7, S. 182: »Usus earum est explicare, quid voces tum singulae, tum conjunctae valeant in mente eorum, qui illis uti consueverunt«, bei allgemein üblichen Ausdrücken »quid omnes promiscue intelligere soleant«.
56 Dannhauer (1652), § 74, S. 135f., der aber darauf hinweist, daß willkürliche individuelle Veränderungen die Zustimmung der Sprachgemeinschaft finden müssen. Deutlich Clauberg (1658), p. 3, cap. 5, S. 272: »Ne autem fallabis, dum significationem vocabuli ex origine investigas, observabis, originalem significationem saepe differre ab usuali« (kursiv im Original).
57 Chladenius (1742), §§ 83–84, S. 42.
58 Meier (1757/1996), § 143, S. 56.
59 Weise (1684) p. 2, lib. 3, cap. 4, S. 445: »Sensus vocabulorum priprius [sic] judicatur ex usu, seu ut nominemus potiora usus adminicula, ex Lexicis«.
60 Wolff (1744), 2. Kap., § 16, S. 67: »Wie denn überhaupt nöthig ist, daß, wenn man die eigentliche Bedeutung der Wörter finden will, man sich einige Fälle vorstellet, in denen das Wort gebraucht wird, und dabey auf alles genau acht giebt, was uns selbiges zu brauchen veranlasset«.
61 Arnauld/Nicole (1718), p. 1, cap. 14, S. 71: Nicht willkürliche Nominaldefinitionen sind solche »per quas significationes notantur secundum usum communem« (franz. Ausgabe S. 115: »ce qu’ils signifient dans l’usage«).
62 Hobbes (1839), Kap. 2, 4, S. 16: Aber, »whatsoever the common use of words be«, Philosophen können auch Wörter mit abweichender Bedeutung bilden.
63 Locke (1690), Buch 3, Kap. 2, § 4.
64 Oben zu Fn. 43.
65 Allgemein zu deren Geschichte: Seibicke (2003).
66 Grotius (1680), lib. 2, cap. 16, § III, S. 305: »In artium autem vocabuli, quae populus vix capit, adhibenda erit cuiusque prudentum definitio«.
67 Hahn/Eichel (1650), cap. 16, fol. L3v: De proprietate terminorum technicorum […], und I, fol. Mr: »peculia vocabula, quae a Iurisconsultis solis, frequentantur, & quorum proprietas a nemine, nisi auctoritate prudentium, & si haberi possunt, prudentissimorum desumenda est«.
68 Placcius (1693), cap. 8, Rn. 19, S. 221f., unterscheidet zwischen der vox propria, die von allen Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft benutzt wird, und der »vox technica«, die »omnibus illius artis, vel studii peritis« eigentümlich ist; Pufendorf (1672), lib. 5, cap. 12: einerseits Wörter, die »ex proprietate populari« (popularis usus) zu verstehen (§ 3, S. 525), andererseits »verba artis ex arte«, bei denen die »definitiones prudentum cujusque artis« maßgeblich sind (§ 4, S. 526); Thomasius (1702), lib. 2, cap. 12: Wörter sind entweder »vulgaria seu popularia« oder »technica seu termini artis« (Nr. 14), bei den letzten kommt es auf die »artis periti« an (Nr. 15), bei termini technici muß der fachfremde Ausleger die Regeln und Prinzipien der ars von den artifices lernen (Nr. 16) (alles S. 336); Wolff (1746), § 475, S. 327: Grundsätzlich kommt es auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch an. Aber § 478, S. 334: »Vocabula artium, seu termini technici explicandae sunt per definitiones prudentum cujusque artis […]«; Holderrieder (1736), sect. 2, § 8, S. 26–28: Einerseits gibt es den gewöhnlichen Sprachsinn (»vulgatus significatus«), andererseits »Omnis fere ars peculiaribus utitur vocabulis, usu atque consensu artificium introductis, quae technicorum nomine veniunt« (S. 26).
69 Keckermann (1603), lib. 1, sect. 1, cap. 1, S. 27: »Nunc id observetur inprimis, usum & συνθήκην [syntheken] vocis duplicem esse: publicum nimirum & communem totius populi ὁμογλώττου [homoglottou], & peculiarem artificum in certa disciplina, qui in singulis disciplinis, praesertim instrumentalibus, ut Logica vel Rhetorica, Grammatica suas habent peculiares voces ac terminos«. Da Keckermann sich auf keinen Vorgänger (außer Cicero) beruft, ist er möglicherweise der erste frühneuzeitliche Philosoph, der auf diesen Unterschied hinweist.
70 Weise (1684), p. 3, cap. 4, S. 445: »In vocabulis communibus praevalet usus, in terminis disciplinarum consensus artificum praecipiorum«.
71 Clauberg (1658), p. 2, cap. 7, nr. 47: Einige Wörter sind dem ganzen Menschengeschlecht gemeinsam, andere nur bestimmten Disziplinen, hier richtet sich die Bedeutung nach den Vorstellungen der »Magister«: »Itaque cum quaedam voces sint notionum toto hominum generi communium, aliae vero propriae certas disciplinas profitentium, in illis attendendum, quid omnes promiscue intelligere soleant«, bei den anderen »quid illarum disciplinarum magistri per eas denotare consueverint« (182); Chladenius (1742), §§82–83, S. 52f.: die eigentliche Bedeutung des Worts ist die »im gemeinen Leben«, andererseits gibt es »Kunst-Wörter«, und ein Kunstwort ist ein solches, das »von Künstlern und in Wissenschafften gebraucht (53) wird, einen Begriff anzudeuten, welcher im gemeinen Leben nicht bekannt ist« (S. 52f.); Meier (1757/1996), § 143, S. 56: »Sprachgebrauch im gemeinen Leben und in den Künsten und Wissenschaften«.
72 Hobbes (1655), Kap. 2, 4, S. 16: »whatsoever the common use of words be, yet philosophers, who were to teach their knowledge to others, had always the liberty, and sometimes they both had and will have a necessity, of taking to themselves such names as they please for the signifying of their meaning, if they would have it understood«; Arnauld/Nicole (1718), p. 1, cap. 12, S. 62f.: frei gebildete Nominaldefinitionen, wie in der Geometrie, cap. 14, S. 71: herkömmliche Nominaldefinitionen, »per quas significationes notantur secundum usum communem«.
73 Dazu Schröder (2020), § 27, I, S. 130ff.
74 Chladenius (1742), § 83, S. 42.
75 Siehe etwa Pörksen (1983); Gardt (1999) 45–71; Henkel (2004); Klein (2011).
76 Dazu Gardt (1999) 52ff.; Klein (2011) 480ff.
77 So Pörksen (1983) 234.
78 Nach der Tabelle bei Paulsen (1885) 787. Zweifel an der Aussagekraft der Meßkataloge äußert allerdings Pörksen (1983) 238f.
79 Wolf (1951) 382; Pörksen (1983) 231.
80 Dazu Piur (1903); Ricken (1995); Menzel (1996).
81 Oben Fn. 7.
82 Von »derivatio« sprechen noch Rogerius (1549) 28, Rn. 6; Caepolla (1551), Sp. 12, Rn. 39f.; Forster (1613), lib. 2, cap. 4, Nr. 17, S. 353. Von »etymologia« aber Alciatus (1530), S. 6; Everardus a Middel-burg (1568) 41; Corasius (1603) 439, Rn. 18; Decianus (1779), vol. 2 resp. 1, Nr. 38, S. 11 (»ethimologia«).
83 So Everardus a Middelburg (1568) Rn. 2–5, S. 45f.; Alciatus (1530) 87.
84 So Rogerius und Caepolla, wie Fn. 82.
85 So Decianus und Corasius, wie Fn. 82.
86 So Bartolus (1588) 43. Ebenso Rogerius und Caepolla, wie Fn. 82, und alle anderen.
87 Cicero (1993), II, Rn. 9f., S. 10, 12: »notatio, cum ex verbi vi argumentum aliquod elicitur« (Rn. 10, S. 12).
88 Cicero (1993), VIII, Rn. 35, S. 28: notatio »est autem, cum ex vi nominis argumentum elicitur; quam Graeci ἐτυμολογίαν [etymologian] appellant«.
89 Boetius [richtig: Marius Victori-nus] (1847a), Sp.891–910 (901 A–C). Zur Autorschaft von Marius Victorinus (300–379), die 1877 entdeckt wurde, s. Bruce (1946) 135 m.w.N.
90 Boetius (1847c), Sp. 1040ff. (1111, 1200f.).
91 Boetius (1847c), Sp. 1200: »Nam interpretatio nominis quaedam ipsius nominis diffinitio est«, aber »a nota vero rem non diffinit, sed nomen interpretatur. Diversa vero sunt res et nomen.«
92 Isidor von Sevilla (1911), lib. 1, Abschnitt 29: »Etymologia est origo vocabulorum, cum vis verbi vel nominis per interpretationem colligitur.«
93 Wie vorige Fn.
94 Eine umfassende moderne Untersuchung dazu scheint es nicht zu geben. Wenig ergiebig ist der Artikel »Etymologie« von Trier (1972). Einige Überlegungen zur Etymologie bei Abälard und Thomas von Aquin finden sich bei Grubmüller (1975). Zur »Praxis des Etymologisierens« in der frühen Neuzeit Gardt (1994) 361–364.
95 Abaelardus (1836), p. 3, S. 368ff., 375; p. 5, S. 490–492; Lambert von Auxerre (1971), fol. 97v, S. 124; William of Sherwood (1995) 80–84; Petrus Hispanus (1572), tract. 5, fol. 147v, 149r, 150r.
96 Ockham (1675), lib. 1, cap. 26, S. 53: Die Definition kann ausdrücken »quid rei« und »quid nominis«. Die erste kann wieder Definition im engeren Sinne oder Deskription sein; Buridanus (2001), tract. 6, cap. 3, S. 411 u. ff.
97 Abaelardus (1836), p. 5, S. 491: »per quam ignotum alterius linguæ vocabulum exponitur«; Lambert von Auxerre (1971), fol. 98r, S. 125: »est expositio unius nominis per alia nomina«; Petrus Hispanus (1572), tract. 5, 3. Abschnitt, fol. 150r: »Interpretatio, est expositio unius nominis minus noti per aliud nomen magis notum vel per integram orationem« (das gilt aber nur für die konvertible Interpretation, s. den folgenden Text); William of Sherwood (1995) 84: »Est autem interpretatio nominis expositio nominis per idem idioma vel per aliud«; Ockham (1675), lib. 3, p. 3, cap. 26, S. 452: Die Nominaldefinition muß nicht »per notiora« gegeben werden, sondern es genügt »per aeque nota«.
98 Lambert von Auxerre (1971), fol. 98r, S. 125; Petrus Hispanus (1572), tract. 5, 3. Abschnitt, fol.150r. Dagegen meint William of Sher-wood (1995) 84, das Interpretierte und das Interpretierende seien immer austauschbar, s. dazu die Erklärung der Herausgeber in Anm. 110f., S. 254.
99 Auch das bestreitet jedoch Abaelardus (1836), p. 5, S. 492, der überhaupt der Etymologie sehr kritisch gegenübersteht: nicht jeder Liebhaber der Weisheit sei ein Philosoph, sondern nur derjenige, der die »artis doctrina« innehabe. Über Abaelards Einstellung zur Etymologie s. auch Grubmüller (1975) 227.
100 Hier gibt es eine Rückwendung zur spätantiken Lehre, indem die Gleichsetzung von Etymologie und Nominalinterpretation/-definition wieder auflebt, zum Beispiel bei Melanchthon (1536), lib. 1, 2. Abschnitt: »Primum genus [sc. der Definition], definitio nominis est, ea simpliciter ἐτυμολογία [etymologia] vocabuli est«. Allerdings nennt er später (Melanchthon [1548], lib. 1, fol. 47r) die Etymologie von »solstitium« (Sonnenwende) als »solis statio« (Stillstand der Sonne) »knabenhaft« (puerilis). Ebenso die »rhetorisch« orientierte Logik von Ramus (1579), lib. 1, cap. 24, S. 76: »Notatio est nominis interpretatio. Nomina siquidem sunt notae rerum, nominumque vel derivatorum, vel compositorum, si vera notatione fiant, ratio reddi potest ex aliquo argumento primo: ut homo ab humo«. Siehe etwa auch Caesarius (1539), tract. 8, S. 159: Die dritte Art der Definition (nach Cicero) ist die »a nota, ut Cicero, sive ab etymologia […]«.
101 Das Wort (Nominal-)Definition tritt jetzt durchweg an die Stelle des älteren »interpretatio nominis«: Martini (1610), lib. 5, cap. 10, S. 99 (»nominis definitio«); Alsted (1628), lib. 4, cap. 3, S. 270 (»definitio verbalis«); Keckermann (1603), lib. 1, sect. 2, cap. 1, S. 208 (»definitio nominis«); Scheibler (1665), S. 35ff., p. 2, cap. 26, S. 326 (»definitio nominis«); Timpler (1612a), lib. 2, cap. 8, Nr. 11, S. 366 (»definitio nominalis«); Burgersdicius (1666), lib. 2, cap. 4, S. 108 (»definitio nominis«).
102 Keckermann (1603), lib. 1, sect. 2, cap. 1, S. 209; Martini (1610), lib. 5, sect. 2, cap. 10, S. 99.
103 Alsted (1628), lib. 4, cap. 3, S. 270: Verbaldefinition »primaria« und »secundaria«; Timpler (1612a), lib. 2, cap. 8, S. 366f. – Eine noch etwas andere Terminologie verwenden Scheibler (1665), p. 2, cap. 26, S. 327: Die Nominaldefinition ist »notatio« (Etymologie) oder »transsumptio« (Erklärung eines dunklen Wortes durch ein klareres); Burgersdicius (1666), lib. 2, cap. 4, S. 108f.: Die Nominaldefinition erklärt das Wort »vel etymologia, vel voce conjugata, vel voce synonyma«.
104 Sehr kritisch schon früher auch Valla (1538), lib 4, cap. 20, S. 286: »plerunque fallax«; ebenso lib. 6, cap. 27, S. 478. Mehrfach auch zu seiner Meinung nach falschen juristischen Etymologien: lib. 6, cap. 26, S. 447 (Testament als »testatio mentis«); lib. 6, cap. 52, S. 501f.
105 So Keckermann (1603), lib. 1, sect. 2, cap. 1, S. 211; Timpler (1612a), lib. 2, cap. 8, qu. 4, S. 375; Martini (1610), lib. 5, cap. 10, S. 102.
106 Scheibler (1665), p. 2, cap. 26, S. 327, Rn. 3.
107 Timpler (1612a), lib. 2, cap. 8, qu. 4, S. 376; Scheibler (1665), p. 2, cap. 26, S. 331, Rn. 31.
108 Timpler (1612a), lib. 2. cap. 8, qu. 4, S. 375.
109 Noch zahlreiche weitere Regeln führt Scheibler (1665), p. 2, cap. 26, S. 329–331 auf (insgesamt zehn »canones«).
110 Alciatus (1530) 215. Hier auch eine Reihe weiterer Beispiele zur Veränderung von Wortbedeutungen.
111 Hahn/Eichel (1650), wie oben Fn. 43.
112 Nomicus Pacemutus Analytico-philus [Pseudonym von Vincentius Placcius] (1664), Appendix, sect. 6, § 53, S. 257: »Id quod exemplis innumeris vocum probari potest, quae a sententia priori quam habebant, cum primo ab etymo suo derivarentur, in aliam diversissimam transierunt. Ne nunc et a contrario saepe aliquid denominari, & obscurissimas esse, & dubiosas originum divinationes, multis adstruere laborum.« Es werde daher mit Recht gesagt, dass die Etymologie nicht gilt, »ubi repugnat communi usui loquendi […] & non concludere necessario«.
113 Wolff (1746), VI, §§ 470–472, § 474 (S. 327–331). § 474 lautet: »Enimvero nemo est qui nesciat, in significatu, quem vocabulum communi loquendi usu obtinet, minime attendi originem ejus« (S. 331).
114 Dannhauer (1652), p. 1, sect. 3, art. 6, S. 129: Zur grammatischen Interpretation gehört unter anderem »Etymologia, cuius est in vocum significationem, seu definitionem nominalem inquirere, non certe ex derivatione vocum, sed ex usu, penes quem vis est & norma loquendi [Horaz!] […] quam ad rem prosunt Lexica, quibus hoc seculum utitur instructissima« (kursiv im Original).
115 Auf diesen Bedeutungswandel hat Dascal in seinem Kommentar zu Leibniz (2008) 79 Anm. 5 (Abschnitt »Interpretation and Argumentation in Law«), hingewiesen: »Etymologie« bezieht sich jetzt nicht mehr nur »to the origin of words, but also to their meaning – i. e. to what is today known as ›semantics‹«, zitiert nach Barck (2020) 57 Anm. 258. Auch Leibniz scheint in seiner Abhandlung »De Legum interpretatione, rationibus, applicatione, systemate« (erstmals 1885 gedruckt) diesen neueren Begriff zu verwenden, wenn er zwischen der »Etymologie« eines einzelnen Wortes und der Verbindung der Wörter unterscheidet, s. Barck (2020) 56f.
116 Clauberg (1658), p. 3, cap. 5, nr. 27, S. 272: »illa [sc. lexica] suppeditant nominum definitiones per vocabula synonyma, vocum homonymias tollunt per distinctiones, denique per etymologias vocabula ex origine declarant«. Aber »Ne autem fallaris, dum significationem vocabuli ex origine ejus investigas, observabis, originalem significationem saepe differre ab usuali, h.e. multa vocabula aliud nunc vulgo denotare, aliud olim, cum primum inventa & rebus imposita fuere, sive, usum vocum haud raro ab earum origine recedere« (kursiv im Original). An einer anderen Stelle scheint Clauberg jedoch das neuere Verständnis von »Etymologie« zugrunde zu legen, wenn er von der »Konstruktion« der usualen Bedeutung durch »Etymologie« spricht (p. 2, cap. 7, nr. 47, S. 182f.).
117 Meier (1757/1996), § 145, S. 56.
118 Weise (1684), p. 2, lib. 1, cap. 5: »Sensus Politicus s. Consuetudinarius« (S. 244), dieser soll keinen Schluß auf den Namen zulassen (S. 245). Weises Etymologiebegriff ist allerdings wenig klar, am Anfang scheint er das Wort im neueren »semantischen« Sinne zu verstehen (S. 242: Etymologie »refertur ad nomen quod significat«), später kommen dann aber wieder die alten Beispiele: testamentum von »testatio mentis«, »mulier« von »mollities« usw.
119 Wolff (1732), § 914, S. 649.
120 Arnauld/Nicole (1718), p. 1, cap. 12, S. 62: Nominaldefinitionen (im traditionellen Sinn) sind »nominis ex vulgari Idiomatis usu, vel Etymologa interpretatio«. Ob »etymologische Interpretation« eine Alternative zur Interpretation aus dem gemeinen Gebrauch oder nur ein anderer Ausdruck dafür sein soll, bleibt offen. Die spätere Stelle spricht aber vielleicht für das erste.
121 Arnauld/Nicole (1718), p. 3, cap. 17, S. 234, cap. 18, S. 245.
122 Arnauld/Nicole (1718), p. 3, cap. 18, S. 239 (franz. Ausgabe p. 3, cap. 17, S. 297: Etymologisch argumentiert man, »quand on dit, par example, que plusieurs personnes du monde ne se divertissent jamais, à proprement parler, parce que se divertir, c’est se desappliquer des occupations serieuses, et qu’ils ne s’occupent jamais serieusement«). Die hier benutzte lateinische Ausgabe gibt das französische »personnes du monde« nicht wieder, so daß die Pointe des Satzes unverständlich ist.
123 Hahn/Eichel (1650), cap. 15, IX, fol. L3v: »non negemus interdum occasionem praebere Etymologia, ad investigandum, quaenam significatio vocabuli primaeva fuerit […]«.